Zweiter Auftritt.

[164] Ein schwarzes Zimmer, in dessen Hintergrunde eine goldene Sonne von der alle Beleuchtung ausgeht, unter der Sonne ein Altar mit einem Kreuze von Rosen umwunden. Ordensversammlung, alle Brüder in schwarzen Mänteln, ihr Schwert an der Seite. Kümmermann und Stürmer begrüßen sich im Vordergrunde, die andern reden im Hintergrunde mit einander.


KÜMMERMANN. Was mag heute vorsein, so ungewohnte Zeit und Stunde.

STÜRMER. Mir kam der Ruf recht ungelegen doch da es der rothe Ruf, so wagte ich nicht auszubleiben, Cardenio hat ihn noch nie gebraucht. Schnur kam nach Lauchstädt, uns zu rufen, ich stand am Markte als er kam, sein Pferd rauchte als wär er durch das heiße Bad geritten, auch starb es als ich es in den Stall gezogen.

KÜMMERMANN. Beinah so fromm wie jene beiden Brüder die ihre Mutter in den Tempel bei der großen Hitze zogen und sanft entschliefen bei des Tempels Dienst.

STÜRMER. Vielleicht gehts meinem Pferdchen auch nicht besser, es thut mir leid, es gleitete so flüchtig übern Wiesenplan als wär er noch mit Eis belegt, als könnt es Schlittschuh laufen, es sauste mir der Wind in meinen Haaren als wär ein Tausend Hummeln in der Luft; das mochte wohl mein Pferd zum Durchgehn bringen, an Führung war nicht mehr zu denken, die Bügel hatt ich fortgeworfen und war zum[165] Sturz bereit, auf einmal steht es still, ich sehe zu warum, da liegt ein Kind im Weg und schläft. Ich stieg herunter, weckte auf das Kind, damit ein andres Unglück es nicht treffe, und nun besah ich mich, wie sah ich aus, bestaubt bespritzt vom Pferdeschaum, wie mit Eiweiß überzogen war mein Kollet.

KÜMMERMANN. Nun gut, das muß dein Kleiderklopfer wissen, was hast du denn die lange Zeit gemacht, ich glaube fast daß du ganz heimlich etwas schreibst, das uns verwundert.

STÜRMER. Wahrhaftig nicht, kaum weiß ich mehr wie man die Feder hält, mich ließen die Gedanken da nicht zum Studiren kommen. Ich schied nicht gerne von den Schauspielleuten, wir waren eben recht vergnügt am Schwanenweiher, wo unter den Kastanien kühle Luft mit schönen Frauen buhlt, die Sonne schwamm so heiß und träge auf der Fluth, das alte Schloß sah wunderlich in unsre Flüchtigkeit hinein. Ich bin zum Nichtstun ganz geschaffen. O lieber Freund du kennst Lenoren von der Bühne nur, dort lernte ich sie noch viel reizender in dem gesellgen Kreise kennen, wie war sie doch so schmeichelnd hart, so zierlich traulich listig aller ihrer Rollen Widerschein, der Inbegriff von allem was auf der Bühne uns gereizt, und wie viel reicher noch in ihrem Wesen.

KÜMMERMANN. So scheint sie dir, du bist verliebt.[166]

STÜRMER. Die Frauen und die Männer weiß sie gleich entzückend zu beschwatzen, begünstigt muß sich jeder glauben, wenn sie auch keinem was gewährt. Wie wir so auf und nieder gingen unter hoher grüner Wölbung, und jeder sich bemühte ihr ein liebreich Wörtchen anzubringen, sieh da kam der Meister ernst daher.

KÜMMERMANN. Cardenio, der ist ja hier.

STÜRMER. Wer spricht von unserm Meister, ich sprech von Deutschlands Meister, der war heut angekommen und schritt mit ernstem Blick den Gang herunter, zu eng erschien der breite Gang, noch einen andern außer ihm zu fassen, fast hätte ich vergessen ihn zu grüßen, obgleich die andern alle als Bekannten ihn bewillkommt; so war ich ganz befangen von dem ernsten Blick, dem festen Gang, dem freundlich schön Vollendeten der Lippen; an diesen Lippen ist der Meister aller Worte, aller Sprache zu erkennen, so zierlich sind sie ausgeschnitten, ein jeder Hauch von ihnen ist ein Flötenton, kein falscher Ton stiegt je von diesen Lippen in die Welt.

KÜMMERMANN. Hieran erkenne ich mein eignes jugendliches Treiben und Fühlen ich habe auch so übertriebne Zeit gehabt, wo ich mit Werther liebetrunken schwärmte, nun bin ich weiter kommen, er scheint mir nun un-Werther, die Liebe zu der Sünde, zu dem Alterthume, die Verstocktheit gegen christliche Gesinnung, ein ewges Verklären aller Nichtigkeit; so fühlte ich,[167] daß eine Kunst in unsrer Zeit möglich sei, ich ließ mein Studium der Dichter und wendete mich hin zur göttlichen Natur, die ewig allein lebt. So weit bin ich gekommen.

STÜRMER. So weit bis du gekommen daß du in Jugendzeit veraltet andre tadelst, selbst nichts schaffen kannst, ja deine eigne beßre Jugend schnöd verdammst die dir als ein verriegelter verschloßner Thurm nachdem du bist herabgestiegen, jetzt im Wege steht, sieh, darum nur versiegt dein Witz; weil du die Reibung mit der Zeit in stolzem Hochmuth aufgegeben, so drehst du dein Scheibe ganz umsonst, kein Funken springt wie sonst von ihr.

KÜMMERMANN. Mich reiben soll ich mit der Zeit, da würd ich schmutzig.

STÜRMER. Thor der du absprichst über deine Zeit, steckst du denn nicht mit deinem ganzen Wesen so fest darin als ewig unsre Brust die Luft der Atmosphäre einathmen muß – und steckte auch die Pestilenz darin. Verkürze auf die Hälfte dir das Leben, die letzte Hälfte ist so wenig frei von deiner Zeit wie jene erste.

KÜMMERMANN. Dein Eifer freut mich denn ich fühle doch es ist dein Ernst, du bist dem Protestanten was zu gut, du wirst auch einst in jenem alten Glauben Ruhe finden der schon viel Geister aufnahm, die durch den Glauben an die Zeit sich selbst entrissen.[168]

STÜRMER. Das alte Zeug thut mir jetzt weh in meinen Ohren, ich hab so lustig diese Zeit gelebt, was soll mir dies gelbsüchtige Gebrümmel, das ewge Kritisiren, Menschenschinder, wie du gleich einem Löwen mit der scharfen Zunge im Lecken sie blutrünstig abreibst; die Zeit ist nun eben gut so wie sie ist, sei du nur besser, doch willst du andere in andre Religionen wie in Livereien stoßen, so zeig dich selber erst darin, bekenne öffentlich den Glauben der Anachoreten, sonst scheinst du wie ein Seelenverkäufer der seine Leute in die Arbeit sendet sich selber aber redlich nährt von ihrem Schweiße.

KÜMMERMANN. Du wächst mir übern Kopf, hätt ich das je von dir gedacht.

STÜRMER. Du meintest schon du hättest alles ausgedacht, ich will dir noch viel mehr vertrauen. Nur aus geheimer Achtung für Cardenio bin ich noch zur Versammlung hier gekommen, sonst widersteht mir diese Quälerei zum Guten, denn siehe, wenn an einem dummen Streiche mehr, ein Mensch zu Grunde gehen kann was ist er dann noch werth?

KÜMMERMANN. Gedenk, du lästerst, ich darfs ertragen wenn du mich hast gelästert; des Ordens Schimpf den darf ich nicht verschweigen.

STÜRMER. Sprich laut, ich bin entschlossen, es ist mir deutlich auf einmal was mich so lang gequält; als stieg Minerva mir mit Schild und Helm nach[169] langen Schmerzen aus dem Haupte, so fühl ich mich erleichtert durch die Weisheit. Was soll der fade Bilderkram, die alte Fabel von der wunderbaren Kammer die so viel Schätze noch verschließt, worauf doch kein Philister uns was borgt.

KÜMMERMANN. Nach meiner Pflicht muß ich den Frevel öffentlich verkünden; bist du vielleicht betrunken?

STÜRMER. Ich habe viel getrunken nach dem starken Ritt, im Wein ist Wahrheit, sieh da kommt Cardenio.


Cardenio tritt im Purpurmantel mit bedecktem Haupte ein; alle verneigen sich, er klöpft dreimal mit seinem Degengefäß auf einen Tisch, allgemeine Stille.


CARDENIO. Euch allen Gruß! Der Bruder Marschal untersuche ob wir gesichert gegen Einbruch Ungeweihter sind.

MARSCHAL. Wir sind gesichert.

KÜMMERMANN. Es ist ein Ungeweihter unter uns.

CARDENIO. Wer war so kühn?

KÜMMERMANN. Es war mein Freund, er scheinet von der Sinnlichkeit verführt.

STÜRMER. Der Kerl ist von der Übersinnlichkeit vernagelt, ich bin der Frevler, er meinet mich, ich habe ihm vertraulich jetzt erklärt daß mir nach den geheimen Schätzen nicht mehr lüstet, daß ich an dieser[170] Zeiten Schlechtigkeit nicht mehr kann glauben, vielmehr von unserm Treiben hier, wie wir durch Wissenschaft zum Glauben und zur Kunst gelangen möchten, nichts verstehe, wenn wirs auch ehrlich meinen wir sind dumm, es geht kein Lichtstrahl krumm, kann er gerade zu uns dringen.

CARDENIO umarmt ihn. Bleib der Gesinnung froh, doch wünsche ich daß sie dir mit dem Weine nicht verrauche der deine Zunge jetzt geschwätzig macht, gieb nie das Leben auf so wird es dich auch nie aufgeben.

VIELE. Ist dies dein Ernst? – Wie stimmts mit deiner Lehre? Wie stimmts mit unserm Schwur?

CARDENIO zieht einen schwarzen Vorhang auf, hinter welchem viele Gemälde verborgen und spricht. Was sagte ich beim Anblick dieses Pelikans?

KÜMMERMANN. Es sei ein Bild von der Aufopferung für andere.

CARDENIO haut die Gemälde zusammen. Habt ihr das eine Bild gefaßt, so wißt ihr auch wie mir zu Muthe ist, ich habe euch mit meinem Blut genährt und dachte nicht daran daß keiner von dem Blute leben kann, ich habe mich ertödtet um für euch zu leben, was hilft es euch, habt ihr mein innres Wesen je verstanden?

VIELE. Willst du uns alle sinnlos schelten? Uns graut bei diesen Worten.[171]

CARDENIO. Es sei nun wie es will, es soll zu hohem Ziel kein Mensch den andern hinbetrügen indem er ihm die Augen verbindet damit er nicht den steilen Pfad erkenne und davor erschrecke. Oft sagt ich euch der Ausgang aus dem Leben bleibe frei, ich hab es selbst geglaubt, im engen Kreise meines Lebens war's bis dahin also mir erschienen, jetzt sag ich euch mit fester Überzeugung ich log, ich habe euch betrogen, es giebt so wunderbare Fesseln die uns dem Leben fest verbinden indem sie es zu lösen scheinen, daß uns der Ausgang ganz verschwindet, es giebt so manchen Bann der Liebe und der Rache der stärker ist als jene Zaubereien die uns geheime Bücher kühn verheißen. – Ich sag euch andres stets als was ich sagen wollte, verzeiht es mir, denn meine Seele ist so tief bewegt, ihr sehet, schon deswegen bin ich ungeschickt die Stelle eines Meisters zu bekleiden die ihr nur einst verliehn.

ALLE. Du mußt bleiben!

CARDENIO. Ich muß, das Wort ist nicht in meiner Sprache. Jetzt seid vernünftig, schaut nur einmal zu, was habt ihr denn mit allen meinen Lehren noch gewonnen, ich wollte daß ich könnte beten wie meine alte Kindermuhme von der goldnen Stadt von Neu-Jerusalem. – Was schwatz ich lange, ihr Freunde lebt wohl, ist etwas wahr in allem was ich euch verkündet so wird es sich bewähren, hab ich[172] euch viel belogen, ich weiß es nicht, ich that es ohne Willen; ob ich euch jetzt die Wahrheit sage, ich weiß es auch nicht, nur zu dem einen dränget mich mein ganzer Wille, den Bund hier aufzuheben der mit Geschwätz, mit gleißendem Geheimniß der Jugend ersten Wissensdurst hat überschwemmt, wahrhaftig ich betrog euch ohne es zu wissen noch zu wollen. Mit diesem Schwert das ihr in meine Hand gegeben sei unser Ordensbuch zerhauen, jetzt reißt die Laden auf daß lichter Tag noch heut in diese Höhle scheine die lange seine Klarheit hat gefürchtet.

KÜMMERMANN. Bei Gott Cardenio, du mußt hier sterben, an diesem Fleck wo du uns oftmals um ein Wort um kleinliches Vergehen, wie arme Sünder ließest knien. Er sticht nach ihm.

STÜRMER leitet den Stoß ab. Das war nicht schlecht gezielt und doch nicht gut getroffen, du stirbst noch nicht Cardenio!

CARDENIO. Sterben? Ein lächerliches Wort, kann ich zu Gott ausrufen, stirb Gott, kann ich zum Teufel seufzen, lebe Teufel. Da liegt mein Ordensschwert, dich Stürmer schicke ich hinaus, du bist des Weines voll.


Stürmer wird hinausgeworfen.


CARDENIO. Ich reiße meine Weste auf, hier ist der Weg zu meinem Herzen, jetzt zeigt ihr flammenden Spitzen ob euch Gewalt gegeben über mich,[173] doch wie Asbest so geh ich durch euch hin, ihr ziehet wie ein Trugbild der erhitzten Sinne vor meinem Willen euch zurück. Ab.

VIELE. Fort ist er! – Wir hätten es nicht leiden sollen. Er ist wahnsinnig, morgen wird er schon vernünftig sein.

STÜRMER schreit zur Thür hinein. Ich schwöre euch, er war heut so vernünftig wie er noch nie gewesen, ihr sehet ihn nicht wieder.

KÜMMERMANN. Der Thor will auch noch reden, stecht ihn nieder. Stürmer ab.

VIELE. Nieder, nieder, er hat im Trunke sich verstiegen, so mag er auch im Trunke fallen.


Alle gehen ihm nach.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 164-174.
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