II

[218] Am andern Morgen gab sich in der Stadt Apenrade eine mehr als gewöhnliche Bewegung kund. Zahlreiche Gruppen sammelten sich am Ufer, um die dänische Fregatte in Augenschein zu nehmen, die sich nicht weit vor die Mündung des Hafens gelegt hatte. Aber nicht blos Neugierde war es, was sich in den Gesprächen des Publikums kund gab. Es hatte sich das Gerücht von einem nahe bevorstehenden Waffenstillstande verbreitet, womit man die Anwesenheit des Unterstaatssekretärs und Reichskommissarius, Max von Gagern, im Hauptquartier, in Verbindung brachte. Auch hieß es, in Rendsburg seien in Folge ähnlicher Nachrichten Unruhen ausgebrochen.[218]

Gegen 9 Uhr erschien der General v. Wrangel in Begleitung des Reichskommissarius und umgeben von einer zahlreichen Suite am Ufer und ritt nach der nördlichen Landzunge, von welcher die Strandbatterien ausliefen. Nicht wie sonst brach die Menge in einen Vivatruf aus, sondern machte den Reitern schweigend Platz. Der General bemerkte die veränderte Stimmung und warf einen forschenden Blick über die Zuschauer hin. Da traf sein Auge in das ernst zu ihm aufblickende Auge Alicens. Schnell wandte er das seinige ab. – –

– Komm Ralph – sagte Alice, als die Cavalkade sich entfernt hatte. – Es ist für uns hier nichts mehr zu thun. – Auch der General hat sich entschieden.

– Ich kann's nicht glauben – erwiederte kopfschüttelnd Ralph.

– Es ist so, wie ich Dir sage; ich werde Dir den Beweis schaffen. – Wenn wir den dänischen Capitain gefangen nähmen und ihn ihm überlieferten, er würde ihn laufen lassen.[219]

– Schweig! – sagte jener zornig. – Spräche ein Anderer als Du solche Verdächtigungen über den »alten Wrangel« aus, so würde ich ihm bei Gott keine Zeit lassen, sie zu widerrufen.

– Du bist ein Thor, guter Ralph! – Ich hoffe, Du kennst mich hinlänglich, um zu wissen, daß ich nicht den Beweis für meine Behauptung schuldig bleibe.

– Vortrefflich! Ich bin auf den Beweis begierig.

– Was gilt die Wette, daß noch heute der Capitain in meiner Gewalt ist? –

Ralph blickte Alicen an wie Jemand, der nicht weiß, ob sich der Andere über ihn lustig macht oder aber im Ernste redet.

– Es ist mein vollkommener Ernst, setzte sie, die Hand ausstreckend, hinzu.

– Topp! – schlug Ralph ein – ich nehme die Wette an. Und was ist der Preis?

– Den zu bestimmen überlaß ich Dir.

Ralph's Augen strahlten plötzlich in einem eigenthümlichen Glanz.[220]

– Gut! – sagte er kurz, als wolle er mit Gewalt seine Empfindungen unterdrücken.

– Willst Du mir bei der Ausführung behülflich sein?

– Ich würde ein unzuverlässiger Gehülfe werden, da ich an dem Mißlingen des Plans Interesse habe.

– Thut nichts. Ich weiß, Du wirst mich nicht im Stiche lassen. Also, Du bist bereit?

– Natürlich.

– So hole mich nach Sonnenuntergang in unserm Boote ab. Auf Wiedersehn!

Zu Hause angekommen, wurde ihr ein Diener des Prinzen N....r gemeldet.

– Lassen Sie ihn eintreten! – sagte Alice verdrüßlich.

Bald darauf erschien der Angemeldete und blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen. Alice entfuhr ein Ausruf des Erstaunens, als sich der junge Mensch plötzlich zu ihren Füßen warf.

– Was bedeutet dies? – fragte sie einen Schritt zurücktretend.[221]

Da erhob sich das dunkle Auge des Knieenden mit schmerzlich fragendem Ausdruck zu ihr empor.

Sie erkannte ihn jetzt. In der That aber war das Erstaunen Alicens wohl gerechtfertigt. Denn wer hätte in der bunten Livree, dem kurzgeschorenen und glattgescheitelten Haar den unbändigen und träumerischen Knaben Salvador gesucht.

– Salvador?! – Du in dieser Vermummung? Welcher Sturm hat Dich nach diesem Norden heraufgeweht? Sprich, mein Knabe!

Salvador erhob sich. Er hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Fast um einen Kopf größer als vor einem halben Jahre, war er in demselben Verhältniß schlanker und schmächtiger geworden. Das bräunliche Roth seiner Wangen war einer krankhaften ins Gelbliche spielenden Blässe gewichen und der trotzige Feuerblick seines Auges hatte sich in den düstern Glanz einer halb verglimmenden Kohle verwandelt.

Alice wurde schmerzlich von dieser Umwandlung getroffen, aber sie unterdrückte mit feinem Zartgefühl jede Bemerkung darüber.[222]

– Der Pater Angelikus hat es so gewollt – sagte Salvador. Alice bemerkte, daß er den Pater nicht mehr Tio nannte. – Ich müsse nach Norden, um in Ihrer Nähe zu sein. Sie würden mich mit nach Frankfurt nehmen, meinte der Pater.

– Und jetzt bist du wirklich im Dienste des Prinzen von N....r? –

– Ja – sagte Salvador, indem eine flüchtige Röthe sein Gesicht färbte. – Er hat mich gesandt, um Sie um eine Unterredung zu bitten.

– Was will der Prinz von mir? Ich kenne ihn nicht.

Salvador sah Alicen forschend an, als wolle er die Wahrheit dieser Aeußerung erproben.

– Was soll ich ihm antworten? – fragte er mit weniger befangenem Ton.

– Er mag kommen – sagte Alice nach kurzem Nachdenken.

– Wann?[223]

– Heute Nachmittag.

– Nicht wahr? – fragte er zögernd – Sie nehmen mich wieder zu sich?

– Wenn es der Prinz zufrieden ist, gewiß.

Freudig drückte er die Hand Alicens an seine Lippen und entfernte sich rasch.

Alice war durch das Zusammentreffen tiefer bewegt, als sie sich gestehen mochte. Alle alten Erinnerungen, die sie längst begraben glaubte, tauchten mit neuer Kraft in ihrer Seele wieder empor.

Sie setzte sich an den Schreibtisch und ergriff mechanisch die Feder. Da fiel ihr die Ueberschrift eines angefangenen Briefes in die Augen, und sie ließ die Feder sinken.

– Durchlaucht – – – früher lautete es anders, wenn ich an Dich schrieb, Felix – – – Ich mag jetzt nicht – – – vielleicht giebt mir das Gespräch mit dem Prinzen neuen Stoff. Aber warnen will ich ihn, er sieht den Abgrund nicht, der sich zu seinen Füßen öffnet. Wehe ihm, wenn[224] der unselige Waffenstillstand zum Abschluß kommt, dieser neue Verrath an der deutschen Sache. Felix, Felix! Mit jedem Schlage, den Du gegen die Größe Deutschlands führst, treibst Du einen Nagel in Deinen eignen Sarg. – –[225]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 2, Mannheim 1849, S. 218-226.
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