101. Erdweiblein.

[72] Die Erdweibleinshöhle im kleinen Lautenfelsen trägt diesen Namen wegen der Erdweiblein, welche vordem darin wohnten. Zwei von ihnen, holdselige Mädchen, pflegten Abends mit ihren Spindeln nach Lautenbach in die Spinnstube und, wenn Tanz war, auch zu diesem zu kommen. Stets aber gingen sie vor Mitternacht weg, weil sie über dieselbe nicht ausbleiben durften. Einst, beim Fortgehen, wurden sie von einem Anwesenden gefragt, was sie in ihren hinaufgebundenen Schürzen hätten, worauf die eine antwortete:


»Hättest Du mich eher gefragt,

Hätte ich Dir es gesagt.«
[72]

Von Tag zu Tag gewannen die Bursche die beiden Mädchen lieber, und einmal, beim Tanze, vermochten sie sie, bis nach Mitternacht zu bleiben. Als dieselben darauf heim wollten, baten sie die Bursche, sie zu begleiten und am Felsen zu warten, wenn sie hineingegangen. Fließe dann Blut aus ihm, so seyen sie, wegen ihrer Verspätung, umgebracht worden; komme aber Milch heraus, so hätten sie kein Leid erfahren. Nicht lange waren sie im Felsen, so quoll Blut daraus; und nachher sind keine Erdweiblein mehr in Lautenbach gesehen worden.

Andere erzählen: die Erdjungfrauen seyen allein heimgegangen; sie hätten aber ein Messer zurückgelassen und gesagt, wenn sie, wegen ihres Verspätens, getödtet würden, so werde das Messer blutig werden, und dieses sey auch geschehen.

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 72-73.
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