9.

[71] Ein fürstlicher Gartenknecht hatte eine schöne Tochter, auf die einer der Schloßbeamten ein Auge geworfen hatte. Endlich war es ihm und seinen Helfershelfern gelungen, das Mädchen in ein entlegenes Zimmer des Schlosses zu locken, wo er, nachdem er die Thür verschlossen, ihm mit seinen unsauberen Anträgen zusetzte. Da[71] flog plötzlich die Thür auf und der Beamte bekam einen so derben Schlag ins Gesicht, daß er besinnungslos niederfiel. Das Petermännchen aber führte das Mädchen nach Hause. Dort angelangt, fand sie in ihrer Tasche eine Hand voll blanker Goldstücke.


Niederh. 2, 223 f.

W.G. Beyer in den Meklenburg. Jahrbüchern 32, 80 bemerkt hiezu: Das Alter dieser Sage ist zwar urkundlich nur bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts zurückzuführen (vgl. Jahrb. 5, 58-60), und nach Erzählungen der Bauern in dem Kirchspiel Pinnow soll unser Petermännchen sogar in älterer Zeit in dem Petersberge, einem hohen, ziemlich isolirten Hügel in der Nähe des Pfarrdorfes, gewohnt haben, und erst später nach dem Schweriner Schlosse übergesiedelt sein. Allein diese Erzählung ist offenbar nichts Anderes, als ein vermuthlich junger Versuch zur Erklärung des Namens unseres Burggeistes, wozu die ohne Zweifel echten, älteren Zwergsagen jener Gegend Veranlassung gegeben haben mögen. Wäre die ursprüngliche Identität des Petermännchen mit dem offenbar verwandten Puk des Franziskaner-Klosters am Burgsee, dem Schlosse schräg gegenüber, zu erweisen, so wäre damit zugleich ein viel höheres Alter der Sage nachgewiesen. Auch der Puk wird freilich zuerst durch den Kanzler von Westphalen im Anfang des 18. Jahrhunderts öffentlich besprochen, aber nach einer Handschrift aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, deren Verfasser sich wiederum auf schriftliche Aufzeichnungen des protestantischen Predigers Simon Pauly (1559-60) aus den Urkunden und Rechnungsbüchern des Klosters bezieht. Das Alterthum dieser Sage ist also hinlänglich beglaubigt, die Sage selbst aber in der mitgetheilten Gestalt offenbar in der Reformationszeit zur Herabsetzung des Klosterwesens benutzt und fratzenhaft entstellt. Hienach soll auch Puk, welcher nach Westphalen's Bemerkung bis zum 13. Jahrhundert Pestbringer (pestifer) genannt ward, durch den Guardian des Klosters von außen, dem Ritterhofe Brütz, eingeführt sein und dem Kloster als Knecht in dem Haushalte der Mönche gedient haben. Er hatte aber trotz seiner affenähnlichen Zwerggestalt wunderbare Riesenkraft, wie er denn z.B. das zum Bau des durch eine Feuersbrunst zerstörten Klosters erforderliche Bauholz in einer Nacht fällte und durch die Luft nach dem Bauplatz schaffte. Man hat dies auf den großen Brand von 1571 beziehen wollen, in welchem auch das Kloster beschädigt sein wird, da es bald darauf in einer stürmischen Nacht zusammenstürzte. Allein damals ward dasselbe selbstverständlich nicht wieder aufgebaut, vielmehr auch die Klosterkirche 1554-58 abgebrochen. Westphalen setzt diese Sage vielmehr ausdrücklich in das Jahr 1222, bezieht dieselbe also auf die erste Gründung des Klosters im 13. Jahrhundert (1222-36). Zu seiner Zeit (also vor der Publi cation der Handschrift) war dieselbe allgemein im Munde des Volkes, und haftete namentlich an dem damals noch stehenden Theile des Klosters, welchen die Justizkanzlei inne hatte, nach dessen Abbruch sie auf den, aus dem alten Bauholze des Klosters errichteten fürstlichen Kornboden, welcher erst bei Menschengedenken abgebrochen ist, übertragen ward. (Vgl. Westphalen,[72] Specimen Monumentor. Meklenb., ed. 1726 p. 156 sqq.: ›Veridica relatio de servo quodam de Puck‹ etc. – und Mon. Ined. IV. Praefat. p. 232 ad Tab. K. Nr. 49.)

Mit beiweitem größerer Achtung und Liebe, als jenen Puk in seiner gewöhnlichen Erscheinung, als Küchenknecht der Mönche, hat die Sage stets den schon erwähnten Burggeist behandelt. Er ist durchaus kein gewöhnlicher Kobold, wie er auf Bauernhöfen und in Bürgerhäusern sein Wesen treibt, sondern einer jener Elfen und Zwerge höherer Ordnung, in welchen die ursprüngliche Verwandtschaft mit den oberen Göttern oder wenigstens eine nähere oder vertraulichere Stellung zu denselben noch deutlich hervortritt. (Vgl. Grimm, deutsche Mythol. S. 294 [1. Ausg.]). Am nächsten steht ihm der sächsische Hödeke auf der uralten Stammburg der Grafen von Winzenburg, die in dem früheren Heidenthum eine religiöse Bestimmung gehabt haben mag. Das nahe Verhältniß dieses Urbildes aller sächsischen Burggeister zu Wodan selbst tritt trotz seiner Zwerggestalt schon in der äußeren Erscheinung hervor, und auch darin gleicht ihm sein Schweriner Ebenbild. Wie jener erscheint auch dieser mit einem vor Alter tiefgefurchten, aber nicht abschreckenden Antlitz, langem weißem Barte und grauen Locken unter dem breitkrempigen Hute, den Mantel über die Schultern geworfen und mit Reiterstiefeln bekleidet; doch ist die Farbe des Mantels nach den ältesten Berichten nicht grau, wie der des Hödeke, sondern schwarz, nach Andern jedoch auch weiß, je nachdem Trauer oder Freude in der Burg herrscht, und statt des Hutes sahen ihn Andere in einer Kappe (Kalotgen), worin Grimm die alte unsichtbar machende Tarn-Kappe zu erkennen glaubt. Ebenso haben beide die Gabe der Weissagung gemein, und verkünden dem Burgherrn und dessen Familie sowohl frohe Ereignisse, als Unglücksfälle, vorzugsweise jedoch letztere, namentlich Tod und kriegerisches Unheil. Ihrem Wesen nach aber sind beide Hüter und Wächter ihrer Burg. Unser Schweriner Burggeist übt das Amt gegen jeden rechtmäßigen Inhaber und Bewohner derselben mit Freundlichkeit, fremden Eindringlingen und unwillkommenen Gästen aber ist er ein wahrer Quälgeist, indem er ihnen durch Poltern und Neckereien die nächtliche Ruhe stört, bis sie den Aufenthalt verlaßen. Auch beobachtet und prüft er die Dienerschaft der Burg und straft die Treulosen. Vorzugsweise steht die fürstliche Silberkammer unter seiner Aufsicht und seinem Schutze. Außer diesem irdischen Amte hat er aber auch noch andere, höhere, gehimnißvolle Pflichten zu erfüllen, und diese sind es, die ihn vor allen ähnlichen Hausgeistern der deutschen Sage auszeichnen, und seine ursprüngliche, vertrauliche Stellung zu der heidnischen Götterwelt unmittelbar und deutlich hervortreten lassen; er ist nicht nur Wächter der Silberkammer des irdischen Burgherrn, ihm ist auch zugleich die unterirdische Schatz- und Waffenkammer des Gottes anvertraut. In dieser Hinsicht überragt unser Burggeist seinen sächsischen Collegen bedeutend. Die reiche Belohnung des ihm geleisteten Dienstes durch Goldklumpen gemahnt lebhaft an die deutsche Frau Holla und Frau Woden, das verrostete Schwert aber, das der treue Schildknappe so gerne wieder blank[73] hätte, weiset, wie mir scheint, unmittelbar auf sein Verhältniß zu der durch das Christenthum besiegten heidnischen Gottheit hin, deren Tempel einst auf dieser Burgstätte stand, und stellt ihn plötzlich dem slavischen Markopeten Pustekat des Bisdeder Heiligthums ebenbürtig an die Seite. Wie jener als vertrauter Diener des Gottes den heiligen Hain überwachte, so war unserm Petermännchen die Bewachung der Tempelburg selbst anvertraut. (Vgl. über diese Sage: Chr. Dehn, Meklenburg. Volksbibliothek 1844 I. 2. S. 3-8.)

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 71-74.
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