2.

[296] Um ein Hünengrab sich anzusehen, gingen in den Zwanziger Jahren drei Studirende von Rostock auf der alten Landstraße von Rostock nach Tessin bis in die Gegend, wo der Weg aus ihr nach Fresendorf in scharfem Winkel abbog. Sie fanden, beschaueten und bewunderten dies schöne Grab. Von der Höhe desselben sahen sie fast zu ihren Füßen einen alten, wohlerhaltenen Burgplatz. Sie gingen, wo die Zugbrücke gewesen sein mußte, auf denselben hinauf und fanden, daß derselbe siebenfach ausgeschnitten und rings um denselben ein tiefes Thal mit großen Einbuchten, das nach Westen in breitem, tiefem Zuge bis zur Warnow bei Kessin hinlief, und jenseits des Thales, rechts vom Burgeingange, eine bedeutende Höhe, links von demselben nach Fresendorf aber eine noch mehrere Klafter lange Mauer von langen behauenen Granitsteinen. Sie schritten den Burgplatz nach allen Seiten ab und fanden Dimensionen von mehr als zweihundert Schritten. Ein sehr alter Mann, der Kühe in dem Thale hütete, wurde von den Dreien mit vielen Fragen nach alten Sagen bestürmt. Nachdem sie es schon aufgegeben hatten, etwas von ihm zu erfahren, that endlich der Alte den Schatz seiner Erinnerungen an Erzählungen seines Großvaters auf. Was er erzählte, war dies. Als da, wo Rostock jetzt steht, noch keine Kirche war, nur einige Fischer am Strande wohnten; als die Teufelsbrücke in Kessin noch nicht gebaut war; als, wie die Kinder in Kessin singen: Knipus Knapus, Griphus Graphus, letzter König von Kessin, Hosianna! Hosianna! noch ein König – den er auch Herzog nannte – dort sein Wesen hatte; als die Warnow ein so hohes Wasser hatte, daß es den Hafen um das Schloß füllte; als Rostock noch da stand, wo Kessin jetzt liegt, stand da oben ein Schloß mit sieben Thürmen. Der Herzog war ein böser, grausamer Kerl, aber ein tapferer Held, der viele Kriegsschiffe hatte. Alle kleinen Fürsten hatte er unter dem Joche. Doch damit war er noch nicht zufrieden; er fing auch Krieg an mit den Moskowitern. Diese kamen mit einer großen Armee, schnitten ihm den Ausgang nach der Warnow ab und belagerten ihn mit seiner Mannschaft im Schlosse. Sie konnten dies aber nicht erobern, weil es gewaltig dicke Mauern hatte. Da wollten sie ihn aushungern. Als sie dies fast so weit gebracht hatten, ging die Königin mit den anderen Frauen ins Lager zu den Moskowitern[297] und sie kriegten freien Abzug mit dem Besten, was sie heraustragen könnten. Sie nahmen nun ihre Männer auf den Rücken, um sie hinauszutragen. Die Königin ging vorauf. Allein, als sie auf die Brücke kam, konnte sie ihren Mann nicht mehr tragen, weil er zu groß und zu dick, sie aber zu behende war. Sie fiel auf die Knie nieder und ihr Mann tründelte von ihrem Rücken. Da sprang der König der Moskowiter schnell auf die Brücke und stieß ihn mit dem Spieße durch und durch, daß er sogleich todt war. Seine Soldaten begruben ihn da unter den großen Stein vor dem Schlosse. Die anderen Frauen brachten ihre Männer alle glücklich über die Brücke. Das Schloß wurde nun rein ausgeplündert; doch das Beste – einen goldenen Tisch und ein Götzenbild von Gold, gerade wie das hölzerne Bild, das im Thurme zu Kessin noch jetzt steht, konnten die Moskowiter nicht finden, denn die beiden hatte der Herzog in den Brunnen versenkt, der da auf der andern Seite von der Steinmauer liegt und jetzt lange nicht mehr so tief ist als dazumal. Unter dem Schloßplatz ist aber Alles hohl; denn es ist noch nicht lange her, als zwei Ochsen beim Haken da hineinfielen. Die konnte man nicht wieder herausholen, denn man konnte mit einer Hopfenstange keinen Grund finden. Der Schloßplatz ist seit der Zeit nicht wieder besäet.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 296-298.
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