238.

[65] In der Landgemeine von Grevismühlen war es noch vor 50 Jahren Sitte, daß den von der Trauung heimkehrenden jungen[65] Eheleuten, ehe sie in das Hochzeitshaus traten, eine lange, eigens hiefür gebackene große Semmel dargeboten wurde, wovon jeder Theil einen möglichst großen Bissen nahm, jeder von der Spitze. Diese Bissen wurden gleich nach der Hochzeit noch einmal gebacken, um sie gegen Verschimmeln und Verderben zu schützen, und gegen manche Krankheiten wurde hievon etwas im Mörser feingestoßen und den Leidenden eingegeben, wie es in hiesiger Gegend oft genug vorkommt, daß von Pleurosie oder nur von Stichen Geplagte fein gestoßenes Glas einnehmen. Ich erinnere mich, als Knabe von einer aus Naschendorf nach Gressow zu meiner seligen Mutter kommenden und gegen irgend eine Beschwerde eines Hausgenossen Rath suchenden Frau die Versicherung gehört zu haben, daß sie schon alles Mögliche, was Leute gerathen, angewendet und auch von einem Nachbar schon Pulver vom ›Hochtidenbęten‹ bekommen hätte; aber alle Mittel wollten nicht helfen.


Pastor Kindler in Kladrum bei Crivitz.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 65-66.
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