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[225] Eine alte Sitte ist das Weihnachtsgratuliren der Hirten bei unserem Landvolk. Diese Sitte fand ihre Begründung in den Verhältnissen unseres Landvolkes selbst. Denn da die Bauern der einzelnen Dorfschaften eine Communewirthschaft hatten, so stellten sie auch auf gemeinsame Kosten ihre Ochsen-, Kuh-, Schaf- und Schweinehirten an, die dann unter sich einen sogenannten Hirtenstand bildeten und in besonderen Häusern (Heirdkaten = Hirtenkaten) wohnten. In den meisten Dorfschaften hatte der Dorfschäfer auch zugleich für einen Schweinehirten zu sorgen. Im Anfang des Sommers, gewöhnlich gegen Ende des April, hatten sämmtliche Hirten ihre Heerden auf dem Felde und ihre Hütezeit dauerte gewöhnlich bis gegen Ende des October. Von dieser Zeit an gingen die Hirten sammt ihren Frauen[225] auf Arbeit und verdienten sich Tagelohn. Kam Weihnacht heran, so gingen am Nachmittage vor Weihnacht die Frauen der Ochsen-, Kuh- und Schafhirten (Heirdfrugens = Hirtenfrauen) bei den einzelnen Bauern herum, gratulirten zu Weihnacht und erhielten von jedem Bauern als Weihnachtsgabe jede von ihnen ein Brot von zwölf Pfund und eine Spickgans. Sobald die Sonne untergegangen und es dunkel zu werden begann, versammelten sich die Hirten der Dorfschaft mit ihren Hörnern unter den Armen und einem Eimer in der Hand und machten die Runde bei den Bauern, indem sie gewöhnlich von einer großen Anzahl Dorfkinder begleitet wurden. Traten sie ein in das erste Bauernhaus, stießen sie gewaltig in ihre Hörner, daß es durch das ganze Haus schallte. Darauf wünschten sie dem Hausherrn sammt seiner ganzen Familie ein fröhliches Fest, erhielten von der Bauernfrau jeder zwei Kannen Bier, stießen wiederum in ihre Hörner und verabschiedeten sich. So ging es bei jedem Bauern. Zuletzt gratulirten sie bei dem Bauern, der ihnen zunächst wohnte, und dessen Ochsen, Kühe, Schafe oder Schweine sie sich selbst hatten aus den Ställen lassen müssen und bekamen alsdann dafür bei ihm ein Abendessen. Diese Sitte hat sich unter unserm Landvolke in vielen Dörfern bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erhalten.


Stud. theol. Schulz aus Barkow.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 225-226.
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