Siebenter Auftritt

[315] Baldinger. Hermine.


HERMINE. Der Ball ist abgesagt.

BALDINGER. Es thut mir leid, Cousine, daß ich Ihr Vergnügen stören mußte; doch wie gesagt, der Onkel –

HERMINE. Freilich, freilich! Er ist doch wirklich krank?

BALDINGER lächelnd. Ganz gewiß.

HERMINE. Der arme Onkel! Er dauert mich – obwohl er's wenig um mich verdient. Sie glauben nicht, Cousin, in welcher Abhängigkeit er mich stets erhielt. Ihre Bemerkung war ganz richtig: der reiche Mann ist ein Knicker. Und dann seine Launen! Es gibt kein verdrießlicheres Geschöpf auf der weiten Welt, als einen Junggesellen, der alt wird. Hüten Sie sich, Vetter – Mann ohne Leidenschaft – in unsers Onkels Fußstapfen zu treten. Ihnen will ich es gestehen – ich sag' es nicht aus Aerger über den verunglückten Ball, denn der ist längst verschmerzt – dieß Haus ist eine Art Hölle, wenigstens ein Fegefeuer.

BALDINGER. Das Fegefeuer sieht ganz artig aus.

HERMINE. Das hab' ich nach und nach so eingerichtet. Es gab Debatten um jedes neue Möbel, einen Fenstervorhang, eine Theekanne! Jede Elle Leinwand mußte erstritten werden. Als die Aerzte meinen Peiniger nach Italien sandten – Sie können denken, daß ich da frisch aufathmete.

BALDINGER. Sie athmeten nur ein Bischen stark, Cousine.

HERMINE. Ach, der Ball wurde ja doch abgesagt! Und ich hatte mich so sehr darauf gefreut! – Es ist wahr: ich habe ein Bischen übel gewirthschaftet – aber der Onkel ist reich, und ich bin seine Erbin. Er hat seinen Reichthum der Handelsverbindung mit seinem Bruder, meinem Vater, zu danken. Mein väterliches Erbtheil ging leider auf eine betrübte Weise verloren – nun, lassen wir's! Ich will in's Himmels Namen meine Lebensweise ändern, will mich einschränken, will dem Onkel schreiben, um Vergebung bitten – zuletzt ist er doch krank, und einem Kranken muß man seine Launen hingehen lassen. Erblickt die Papiere. Was ist denn das?[315]

BALDINGER nimmt die Papiere. Ein Geschäftsbrief von meinem Correspondenten in Genua.

HERMINE. Aus Genua? Schreibt er nichts vom Onkel?

BALDINGER. Wie sollt' er? Sie wissen, ich bin in keiner Berührung mit Herrn Dorner.

HERMINE. Es war' aber doch möglich – der Onkel ist in Genua, ist eine bekannte Person, vielleicht hat sich seine Gesundheit gebessert, vielleicht kann der Ball haben Sie den Brief gelesen?

BALDINGER. Nur zum Theil.

HERMINE. So lesen Sie ihn erst aus.

BALDINGER sieht in den Brief. Wenn Sie wünschen – aber ich bin überzeugt – – Liest. Himmel!

HERMINE. Nun?

BALDINGER. Die Besorgniß der Aerzte war begründet. Herr Dorner – ist nicht mehr.

HERMINE. Ist nicht mehr?

BALDINGER. Ein Schlagfluß machte seinem Leben plötzlich ein Ende.

HERMINE. Armer Onkel! Pause. Nun fühl' ich erst, was ich mir gegen ihn vorzuwerfen habe.

BALDINGER. Diese Empfindung macht Ihrem Herzen Ehre, Cousine – aber gewiß, Herr Dorner war ein harter Mann, und Sie sind einen Quäler los.

HERMINE gerührt. Wollt' ich doch, er könnte mich noch quälen! – Lassen Sie mich selbst lesen, Cousin. Nimmt den Brief und liest. Was ist das? Tritt hart vor Baldinger. Herr Baldinger, Sie sind ein Heuchler!

BALDINGER. Cousine!

HERMINE. Sie geben vor, den Inhalt des Briefes nicht zu wissen?

BALDINGER. Ich gebe vor –? Ich weiß ihn nicht.

HERMINE gibt ihm den Brief. Nun denn – lesen Sie. Rasch ab, in das Seitenzimmer rechts.

BALDINGER allein, liest. »Zum Schlusse und in Eile unsern Glückwunsch. Herr Dorner hat Sie in seinem Testamente zum einzigen und Universal- Erben eingesetzt.« Sie ist enterbt!

HERMINE kommt zurück mit Hut und Shawl. Herr Baldinger, Sie nahten mir unter der Larve der Freundlichkeit – ich ließ mich für einen Augenblick täuschen – aber ich kenne Sie jetzt, ich kannte Sie von jeher. Nehmen Sie Besitz von dem Eigenthum des Onkels, von diesem Hause, worin ich keinen Augenblick länger verweilen will. Wir sehen uns heute zum letzten Mal. Aber ich will nicht feige zurücktreten, ohne Vertheidigung. Die Erbschaft war mir zugedacht: ich kann Zeugen anführen. Ich glaube im Recht zu sein, Sie sind es vielleicht; verfolge ein Jedes seinen Weg. Von nun an sind Sie mein offener Gegner, ich Ihre Gegnerin. Ich eile den Prozeß gegen Sie einzuleiten. Rasch ab zur Seite links.

BALDINGER allein. Prozeß! Hermine! – Ihr Haß lodert neu wieder auf – sie zweifelt an meiner Redlichkeit – wohlan! So sei denn Krieg zwischen uns! Ich führe den Prozeß. Ab.


Ende des ersten Aufzuges.


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 315-316.
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