Neunter Auftritt.

[39] Auguste. Hermann.


AUGUSTE die sich an den Tisch mit den Akten gesetzt und Seide zur Hand genommen hat, für sich. Verstehe, Herr Onkel! Ich weiß nun Alles. Sie wollen mich kaufen und wieder verkaufen – allein wir sind um keinen Preis zu bekommen. Reißt Papier ab, wickelt Seide auf.

HERMANN in einiger Entfernung, für sich. Ich soll sie ansehen – aber sie blickt nicht auf.

AUGUSTE trällert bei der Arbeit.

HERMANN räuspert sich.

AUGUSTE aufblickend, läßt die Arbeit sinken. Junger Herr! Sie sind hier?

HERMANN nähert sich ein wenig. Ja, mein Fräulein.

AUGUSTE. Richtig! Sie sollen mir ja Gesellschaft leisten.

HERMANN. Das thu' ich. Blickt ihr starr in die Augen, dann für sich. Sie ist wirklich hübsch – aber sagen mag ich ihr's nicht.

AUGUSTE. Warum betrachten Sie mich so aufmerksam?

HERMANN. Der Vormund will – Betrachtet sie wieder. Das heißt – – arbeiten Sie nur weiter.

AUGUSTE seide wickelnd, wie oben. Sie können meinen Blick nicht aushalten?

HERMANN. Warum nicht?

AUGUSTE. Setzen Sie sich zu mir, junger Herr. Es geschieht. Der Onkel will also, daß Sie mir den Hof machen sollen, nicht wahr?

HERMANN. So etwas dergleichen.

AUGUSTE. Und Sie thun das wohl recht ungern? Blickt ihn an.

HERMANN schlägt die Augen nieder. Ungern gerade nicht –

AUGUSTE. Man sollt' es meinen. Wissen Sie auch, daß Sie die höchste Zeit haben, sich zu verlieben?

HERMANN. So?

AUGUSTE. Freilich! Sie sind durchaus kein Knabe mehr – wenigstens von Außen.

HERMANN muth fassend. Es gibt Menschen, die ewig Kinder bleiben – nach Innen.

AUGUSTE verwundert, legt die Arbeit weg. Was hör' ich? Der Stein gibt plötzlich Funken.

HERMANN. Wenn sie nur zünden möchten![40]

AUGUSTE. Immer besser! Das tête-à-tête wird am Ende gefährlich.

HERMANN. Für mich nicht.

AUGUSTE steht auf. Hören Sie, junger Mensch, das war unartig.

HERMANN bleibt sitzen, schlägt die Beine über einander. Wie man in den Wald schreit, so hallt's zurück. Für sich. Hübsch ist sie, aber boshaft.

AUGUSTE lehnt sich über seinen Stuhl. Sagen Sie mir doch, junger Herr – aber aufrichtig – hat Ihnen Ihr Vormund nichts Näheres mitgetheilt über unser Verhältniß?

HERMANN wendet den Kopf, blickt zu ihr hinauf. Über unser –?

AUGUSTE. Ja doch! Mit Einem Wort: hat er Ihnen nicht gesagt, daß wir uns heiraten sollen?

HERMANN wie erschrocken, springt auf. Heiraten? Wir sollen uns heiraten?

AUGUSTE. Allerdings. Es ist eine ausgemachte Sache. Sie sollen mit Nächstem für großjährig erklärt werden, man will Sie aber für alle Zukunft am Bändchen halten und ich soll dazu beitragen. Es ist also eine politische Heirat – verstehen Sie?

HERMANN. Eine politische?

AUGUSTE. Was mich betrifft, so ist mein Plan gefaßt, und ich werde meine Maßregeln dagegen ergreifen.

HERMANN. Dagegen? Sie werden also »nein« sagen?

AUGUSTE. Nicht doch! ich sage: »ja.«

HERMANN. Ja?

AUGUSTE. Ich hänge von meinem Onkel ab – ich darf ihm nicht geradezu widersprechen.

HERMANN. Also darum!

AUGUSTE. Aber Sie sind frei. Sie können –

HERMANN. Und was?

AUGUSTE. Selbstständig auftreten, thun, was Sie wollen.

HERMANN. Was ich will! Nachdenkend, wie für sich. Wenn ich nur einen eigenen Willen hätte!

AUGUSTE. Den bekommt man eben durch's Wollen.

HERMANN zu ihr gewendet. Wie soll ich's aber anfangen?

AUGUSTE. Soll Ihnen das ein Mädchen sagen?

HERMANN wieder mehr für sich. Ich fühl's, sie haben mich hier an eine Kette gefesselt –[41]

AUGUSTE. Wie mich damals im Institut.

HERMANN. Mir ist, als sollt' ich sie zerbrechen –

AUGUSTE. Thun Sie's! Ich hab's gethan.

HERMANN. Allein es ist frevelhaft –

AUGUSTE. Über den Frevel war ich bald hinaus.

HERMANN wieder zu ihr. Mir fehlt der Muth. Ich möchte so gerne wirken, thätig sein –

AUGUSTE. So wirken Sie in's Himmels Namen.

HERMANN. Aber was?

AUGUSTE. Ja, wer das heut' zu Tage wüßte! Die Klugen legen da die Hände in den Schooß und lassen den lieben Gott walten; aber Andere sind noch klüger und walten statt seiner, und das gibt dann eine Wirthschaft zum Erbarmen.

HERMANN. Ich weiß mir nicht zu rathen. Ich will auch die Hände in den Schooß legen.

AUGUSTE. Thun Sie das: es ist das bequemste. Werden Sie ein Pedant, ein Philister, wie mein Oheim.

HERMANN. Und Ihr – Gemahl?

AUGUSTE. Auch das – wenn Sie die Courage dazu haben. Aber erst müssen Sie ein Mann sein.

HERMANN. Ein Mann?

AUGUSTE. Wollen Sie's werden? Versprechen Sie's? Nur nicht der meinige. Doch Sie werden ein armes Mädchen nicht zwingen wollen –

HERMANN. Zwingen? Wahrhaftig, nein!

AUGUSTE. So ist's recht. Nun sind wir gute Freunde. Reißt wieder Papier ab. Aber Sie sollen belohnt werden.

HERMANN. Was zerreißen Sie denn da in Einem fort?

AUGUSTE. Papier, um Seide aufzuwickeln, und aus der Seide soll ein Geldbeutel für Sie werden.

HERMANN. Bedanke mich schön. Um's Himmels Willen! Ich bin verloren. Sie haben meine Akten zerrissen!

AUGUSTE. Die Lappalien!

HERMANN. Lappalien! Gerade das wichtigste Stück!

AUGUSTE. Was ist's denn weiter? Es bleibt noch genug übrig!

HERMANN. Genug übrig! Was verstehen Sie davon? Wenn's der Präsident erfährt – –

AUGUSTE aufstehend. Der würde sich gewiß galanter ausdrücken!

HERMANN. Ei was! Ein Präsident drückt sich niemals galant[42] aus, wenigstens nicht gegen unser Einen. Das wichtigste Aktenstück zu zerreißen!

AUGUSTE lachend. So geschwind ist noch gar keines erledigt worden.

HERMANN. Nun lachen Sie wieder! Was ich immer von Ihnen sagte: Sie können nicht ernsthaft sein.

AUGUSTE. Meinen Sie, junger Herr? – Aber was hilft der Ernst? Die Akten werden doch nicht wieder ganz.

HERMANN. Das ist eben das Entsetzliche! Man wird mir alle Schuld beimessen – es kann mich meine künftige Anstellung kosten.

AUGUSTE. Das wäre ein Unglück!

HERMANN. Was? kein Unglück?

AUGUSTE. Wozu sind Sie denn überhaupt ein Beamter?

HERMANN. Wozu ich – ein Beamter –?

AUGUSTE. Ein kleiner Beamter! sehen Sie: so klein.

HERMANN. Man kann avançiren.

AUGUSTE. Freilich, freilich! Wenn man Verdienste hat, wie Sie; wenn man der Sohn seines Vaters ist; wenn man mit Urlaub spazieren geht, und einen fleißigen armen Teufel für sich arbeiten läßt, den man dann präterirt – nicht wahr?

HERMANN. Was doch ein Frauenzimmer Alles sagen darf!

AUGUSTE. Und was ein Mann anhört, ohne es zu beherzigen! – Sie glauben, ich kann nicht ernsthaft sein? Wohlan, Herr Baron, jetzt will ich ernsthaft mit Ihnen sprechen! Sie sind im Mannesalter und lassen sich am Gängelbande leiten; Sie besitzen reiche und blühende Ländereien, die unter fremden Händen verwildern; Sie haben Unterthanen, die man verwahrlost und bedrückt; Sie sind ein Diener, ein Knecht, wo Sie Herr und Gebieter sein könnten – pfui, schämen Sie sich, junger Mann! – Verzeihen Sie, künftiger Herr Commerzienrath, Kammerrath, wie-immer-Rath, daß sich ein naseweises Mädchen herausnimmt, Ihnen den Text zu lesen; aber es war meine Absicht, Ihre Energie zu wecken; gelingt es mir – wohl und gut; wenn nicht, so bleiben Sie, was Sie sind, ein kleiner Beamter – das Aller-Kleinste, was man sein kann – ein winzig kleines, niedliches Räthchen, dem sie nichts anvertrauen als – Lappalien. Ab mit einem Knix in ihr Zimmer.


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 39-43.
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