Zehnter Auftritt.

[64] Auguste allein, dann Hermann.


AUGUSTE allein. Ich soll ihn bändigen? Wird's denn nöthig sein? Aber Herr Spitz hat recht – der junge Mensch hat seinen Kopf.

HERMANN rasch die Mittelthüre öffnend, spricht zurück. Habt Ihr gehört? Den Wagen – in einer Stunde – hier vor's Thor. Eintretend. Fräulein Auguste![64]

AUGUSTE. Herr Assessor –

HERMANN. Nichts mehr mit Assessor, Fräulein! Ich habe meine Stelle zurückgelegt.

AUGUSTE. Also wirklich?

HERMANN. Ihr Wunsch ist erfüllt: ich bin kein kleiner Beamter mehr – gar kein Beamter.

AUGUSTE. Das läßt sich hören –

HERMANN. Ich werde mich auf meine Güter begeben – heute noch.

AUGUSTE. Heute noch?

HERMANN. Später auf Reisen gehen –

AUGUSTE. Auf Reisen?

HERMANN. Ja, ich will fort – fort von hier – gleichviel wohin! In die weite Welt.

AUGUSTE. Dieser plötzliche Entschluß –

HERMANN. Steht fest – unwandelbar fest. Sich steigernd. Man soll sehen, daß ich einen Willen habe. Ich werde überhaupt in Zukunft selbstständig auftreten, selbstständig, durchaus selbstständig. Geht auf und ab.

AUGUSTE betroffen. Selbstständig?

HERMANN nähert sich ihr. Zweifeln Sie daran, mein Fräulein?

AUGUSTE retirirend. Nicht im Geringsten –

HERMANN. Niemand soll mich hindern, ein Mann zu sein – ein Mann!

AUGUSTE. Das will ja auch Niemand – aber seien Sie nur mäßig.

HERMANN. Mäßig? Nichts da! Ich war lange genug zahm, aber es kommt nichts heraus dabei. Sanfte und geduldige Menschen werden verlacht, verspottet, verhöhnt – nun will ich wild werden, wild – Nicht gegen Sie, mein Fräulein! Nicht gegen Sie! Ihnen dank' ich ja meine Selbstständigkeit, meine Energie! Sie haben meinen schlummernden Geist geweckt – zwar durch Lachen, durch Spotten – doch gleichviel! Ich bin jetzt ein Mann – ein Mann – das ist genug. Ich will mich auch in Zukunft nur mit Männern umgeben, ich will arbeiten, wirken, thätig sein, will mich in's Leben stürzen, in die Welt – in eine lebendige, schaffende, in eine thätige, neu gestaltende Welt – – Wär' nur gleich etwas da, das ich neu gestalten könnte! Er stößt einen Stuhl hart auf den Boden.


Spitz steckt den Kopf bei der Seitenthüre herein.
[65]

AUGUSTE. Mein Gott! Sie sind ja entsetzlich!

HERMANN. Nicht gegen Sie, mein Fräulein, nicht gegen Sie! Aber die Andern! – Die Andern sollen mich kennen lernen.

AUGUSTE. Die Andern?

HERMANN. Ihr Onkel – Herr Spitz – Spitz verschwindet wieder. Herr Dings da – Alle, Alle!

AUGUSTE. Alle?

HERMANN. Sie haben nichts zu besorgen – Sie nicht. Sie sind von diesem Augenblicke an frei, Auguste.

AUGUSTE. Frei?

HERMANN. Frei, ganz frei.

AUGUSTE. Frei? – Wie verstehen Sie das?

HERMANN. Sie sollen Ihren Willen haben – wie ich. Man soll Sie zu nichts zwingen.

AUGUSTE. Man zwingt mich ja nicht –

HERMANN. Doch, doch! Das weiß ich besser. Man will Sie zwingen – aber ich duld' es nicht. Ich werde Sie schützen.

AUGUSTE. Schützen? Gegen wen denn?

HERMANN. Gegen – – gleichviel! Gegen die ganze Welt. Ich weiß, was ich zu thun habe. Sie sollen sehen, daß ich Ihr Freund bin, Auguste, Ihr wahrer Freund. Ich war es eigentlich immer.

AUGUSTE. Sie waren es immer?

HERMANN. Allerdings. Warum sollen Sie es nicht erfahren? – Sie spotteten des unbeholfenen jungen Menschen, in dessen Inneren sich vielleicht ein reicheres Geistesleben regte als er äußerlich zu zeigen vermochte – Sie stießen ihn zurück – wissen Sie denn, daß er sich schon damals zu Ihnen gezogen fühlte – vor einem Jahre – im ersten Augenblick als er Sie sah –

AUGUSTE. Schon damals –

HERMANN. Ich verbarg mein Gefühl – aus Stolz – aus Angst, lächerlich zu erscheinen – ich lernte Sie näher kennen, und – – doch genug! Sie sind jetzt frei, Auguste, ganz frei.

AUGUSTE für sich. Mit seiner Freiheit!

HERMANN. Ich will nicht weiter an mich denken – nur an Sie. Ist Ihre Mutter zu Hause?

AUGUSTE. Meine Mutter?

HERMANN. Oder Ihr Onkel?

AUGUSTE. Mein Onkel? Was haben Sie denn vor?

HERMANN. Ihnen zu beweisen, daß ich jetzt selbstständig, daß[66] ich ein Mann bin. Und auch die Andern sollen es erfahren – auch die Andern! Stößt einen Stuhl auf den Boden, wie oben.

AUGUSTE. Er ist ganz außer sich! Und das soll Liebe sein –


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 64-67.
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