Dritter Auftritt.

[70] Graf. Figaro.


FIGARO schon bei den letzten Worten des Grafen lauschend sichtbar geworden, für sich. Wirklich?

GRAF wie oben. Hat mich Susanne an ihn verrathen, so muß er Marzelline heirathen.

FIGARO für sich. Basilio's Schätzchen

GRAF. Susanne aber wird ...

FIGARO unwillkührlich laut einfallend. Meine Frau!

GRAF sich rasch umdrehend. Wer spricht da?

FIGARO vorkommend. Euer Excellenz gehorsamster Diener.

GRAF. Was sprachst du von deiner Frau?

FIGARO. Ich antwortete nur auf eine Frage von draußen.

GRAF. Und warum erscheinst du so spät, wenn ich dich rufen lasse?

FIGARO an seinem Anzug richtend. Die Gartenerde hatte meine Kleider beschmuzt; ich mußte mich umziehen.

GRAF. Dazu braucht's eine Stunde?

FIGARO. Immerhin Zeit.

GRAF. Hier kleidet sich die Dienerschaft langsamer um, als die Herrschaft.

FIGARO. Vermuthlich, weil sie keine Dienerschaft zur Hülfe hat.

GRAF. Damit weiß ich noch immer nicht, warum du bei deinem gefährlichen Sprunge Hals und Beine gewagt hast?

FIGARO. Excellenz sind zu gnädig, sich meinetwegen zu beunruhigen.

GRAF. Unverschämter! Nicht die Folge, sondern die Ursache des Sprungs beunruhigt mich.

FIGARO. Der gnädige Herr kehren, auf eine falsche Nachricht hin, im höchsten Zorn zurück, wollen Schlösser sprengen, Thüren einbrechen, auf jeden Fall einen Mann versteckt finden. Ich bin zufällig da. Darf ich es wagen, Ihrer Hitze in den Weg zu treten?[70]

GRAF. Warum machtest du dich nicht über die Treppe davon?

FIGARO. Damit Excellenz mich im Corridor erwischen?

GRAF zornig über Figaro's Ausflüchte mit dem Fuß stampfend. Ueber die ewigen Ausreden! Für sich. Doch ruhig, sonst erfahre ich gar nichts.

FIGARO für sich. Das nennt er ausforschen.

GRAF sich bezwingend. Lassen wir das. Zu etwas Anderm. Du weißt, ich hatte Lust, dich als Depeschenträger mit nach London zu nehmen. Indeß nach näherer Ueberlegung ...

FIGARO. Haben Excellenz sich anders besonnen?

GRAF. Du kannst erstens nicht Englisch.

FIGARO. Ich kann God dam!

GRAF. Was bedeutet das?

FIGARO. Alles in Allem. Das Englische ist eine äußerst bequeme Sprache. Mit God dam kommt man jenseits des Kanals überall durch. Man tritt in eine Schenke, um ein Hühnchen zu begehren. Pantomime des Essens. »God dam!« Flugs wird ein Stück halbrohes Rindfleisch ohne Brod servirt. Man möchte ein Glas guten Burgunder oder Bordeaux. Pantomime des Trinkens. »God dam!« Der Wirth bringt einen zinnernen Krug voll schäumenden Bieres. Man begegnet auf der Straße einer schönen Engländerin und schaut ihr unter den Hut. Pantomime des Grüßens. »God dam!« Und sie giebt Einem zum Zeichen, daß sie wohl verstanden hat, eine Ohrfeige, daß der Kopf wackelt. Alles mit »God dam!« Das ist die Grundlage alles Englischen. Die Eingebornen fügen in der Konversation dann und wann allerdings noch ein paar andere Worte hinzu, die aber vollkommen überflüssig sind. God dam ist die Grundlage der Sprache. Wenn Excellenz also keinen anderen Grund haben, mich zu Hause zu lassen ...

GRAF für sich. Er will mit; Susanne hat nicht geplaudert.

FIGARO für sich. Er glaubt, ich weiß von nichts. Nur zugefragt.

GRAF. Sage mir aber nur, warum in aller Welt die Gräfin sich diesen grausamen Scherz mit mir erlaubte?

FIGARO. Das werden Euer Excellenz besser wissen als ich.

GRAF. Besitzt sie nicht alles im Ueberflusse?[71]

FIGARO. Außer dem Nöthigsten: das Herz ihres Gemahls.

GRAF. Sonst sagtest du mir Alles.

FIGARO. Jetzt verschweige ich Ihnen nichts.

GRAF. Wie viel zahlt dir die Gräfin für deine Bundesgenossenschaft?

FIGARO. Wie viel zahlten mir Excellenz, als wir die Gräfin dem Doktor Bartholo entführten? – Bitte, gnädiger Herr, mißhandeln Sie einen guten Diener nicht, wenn Sie ihn nicht zu einem schlechten machen wollen.

GRAF. Ist es nicht wahr, daß du immer krumme Wege gehst?

FIGARO. Auf denen ich meinem gnädigen Herrn allezeit begegne!

GRAF. Dein Ruf ist abscheulich.

FIGARO. Und wenn ich besser wäre, als mein Ruf? Giebt es viele große Herren, die das Gleiche von sich behaupten können?

GRAF. Wenn du so fortfährst, wirst du niemals dein Glück in der Welt machen.

FIGARO. Auch habe ich längst darauf verzichtet. Erstaunte Bewegung des Grafen. Für sich. Jetzt komm' ich an die Reihe. Laut. Excellenz haben mir die Haushofmeisterstelle gegeben. Ein vortrefflicher Ruheposten. Warum sollt' ich mit dem Depeschenbeutel Courier reiten, wenn ich hier im schönen Andalusien, in den Armen meiner Susanne, ein idyllisches Stillleben führen kann?

GRAF. Nichts hindert dich, Susanne nach London mitzunehmen.

FIGARO. Ich würde sie so oft allein lassen müssen, daß ihr oder mir die Heirath bald leid thun dürfte.

GRAF. Du hast Geist und Geschick; damit steht dir jede Carrière in der Diplomatie offen.

FIGARO. Mit Geist und Geschick eine Carrière? Excellenz spotten; Mittelmäßigkeit und Kriecherei allein gelangen an's Ziel.

GRAF. Mit einigen ernsten Studien machtest du unter meiner Leitung rasche Fortschritte in der Politik.

FIGARO. Sie kenne ich bereits.

GRAF. Wie das Englische: God dam?

FIGARO. Bei ihr braucht's noch weniger. Sich stellen, als[72] wisse man, was man nicht weiß und wisse nicht, was man weiß, – hören, ohne zu verstehen, und verstehen, ohne zu hören, – verheimlichen, daß man nichts zu verheimlichen hat – sich einschließen, um Federn zu schneiden, – tief scheinen, wenn man nur hohl ist – irgend eine Rolle gut oder schlecht spielen, – Spione ausschicken und Verräther besolden, – Briefe erbrechen oder unterschlagen, – mit kleinen Mitteln die größten Zwecke verfolgen: das ist, meiner Treu, die ganze Politik!

GRAF. Die Intrigue, willst du sagen.

FIGARO. Politik und Intrigue sind leibliche Schwestern. Nach beliebiger Melodie trällernd. »Mir ist mein Susannchen lieber, als die ganze weite Welt.«

GRAF für sich. Er will bleiben. Susanne hat doch geplaudert.

FIGARO für sich. Er hat kreuz und quer gefragt und doch nichts erfahren.

GRAF. So hoffst du, deinen Prozeß gegen Marzelline zu gewinnen?

FIGARO. Können mir Excellenz verargen, daß ich eine Alte ausschlage, wenn Sie uns alle Jungen wegnehmen?

GRAF. Vor Gericht gilt das Gesetz, der Buchstabe.

FIGARO. Ja wohl; da hängt man die kleinen Diebe, die großen ...

GRAF sich abwendend, halblaut. Er weiß Alles. Es bleibt dabei: er heirathet die Alte. Laut. Warum ich dich rufen ließ: sorge, daß in diesem Saal alle Vorbereitungen zum Gerichtstage getroffen werden.

FIGARO. Wird bald geschehen sein: ein Lehnstuhl für Excellenz, ein Sessel für den Herrn Frie-ie-iedensrichter, die Eselsbank für die Perrücken der Herren Richter, einen Tisch für den Schreiber, Kläger und Beklagte zu beiden Seiten, das Bauernpack hinter die Schranken ... Excellenz werden im Nu bedient sein. Läuft zur Seite links ab.[73]


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 70-74.
Lizenz:
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Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
Die Figaro-Trilogie: Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht / Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit / Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter

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