Sechster Auftritt.

[113] Figaro. Susanne beide versteckt. Gräfin. Cherubin. Gleich darauf Graf.


CHERUBIN in Uniform, kommt trällernd heran. »Mein Rößlein soll mich tragen« ....

GRÄFIN erschrickt. Der Page!

CHERUBIN sie bemerkend. Da ist Jemand! Rasch in meinen Schlupfwinkel, zu Fanchetten. Er betrachtet die Gräfin näher, unentschlossen, ob er gehen oder bleiben soll. Wahrhaftig, eine Dame!

GRÄFIN für sich. Wenn der Graf jetzt käme.

CHERUBIN. Irre ich nicht, so ist's Susanne. Ihr weißer Schleier schimmert durch die Nacht. Er schleicht fröhlich näher. Ja, es ist mein himmlisches Suschen. Die Hand der Gräfin ergreifend, die sie zurückzieht. An ihrem weichen Händchen erkenne ich sie, und an dem Klopfen meines Herzens. Fühle, wie es schlägt! Er drückt ihre Hand an's Herz.

GRÄFIN leise, mit verstellter Stimme. Mach', daß du wegkommst!

CHERUBIN. Daß ich ein Narr wäre, dich zu verlassen! Dich hat doch nur das Mitleid mit mir hierher geführt.

GRÄFIN wie oben. Figaro wird sogleich erscheinen.

GRAF im Auftreten, für sich. Das muß Susanne sein.

CHERUBIN. Geh' nur! Mit Figaro machst du mir keine Angst. Du wartest auf Jemand ganz Anderen.

GRÄFIN wie oben. Wen meinst du?

CHERUBIN. Den Grafen, der dich hierher zu kommen bat, heute früh, da ich hinter dem Lehnstuhl steckte.

GRAF unbemerkt näher gekommen, zornig für sich. Wiederum der verwünschte Page!

FIGARO für sich. Nun sage man noch, daß man nicht horchen soll!

SUSANNE für sich. Kleine Plaudertasche!

GRÄFIN. Ich beschwöre dich: geh'!

CHERUBIN. Gewiß nicht ohne Lohn für meine Enthaltsamkeit.

GRÄFIN zurückweichend. Was fällt dir ein?[113]

CHERUBIN. Ein Kuß für deine eigene Rechnung, und wenigstens ein Dutzend für deine schöne Gebieterin. Will auf die Gräfin zu.

GRÄFIN. Untersteh' dich!

CHERUBIN. Was ist da viel zu unterstehen? Du vertrittst die Gräfin beim Grafen, und ich den Grafen bei dir. Figaro ist allein der Angeführte, und das zwei Male!

FIGARO für sich. Junger Maulaff!

SUSANNE für sich. Pagenstreiche!

CHERUBIN verfolgt die Gräfin, die zurückweicht; der Graf tritt dazwischen, Cherubin umarmt und küßt ihn.

FIGARO für sich. Das war ein Kuß, so wahr ich lebe.

GRÄFIN im Hintergrunde, vor dem Grafen erschrocken. Wie wird das enden?

CHERUBIN für sich, betreten. Das ist nicht Susanne. Die Kleider des Grafen anfassend. Der gnädige Herr! Er schlüpft unter des Grafen Armen durch und entflieht in den Pavillon links, hinter Fanchetten und Marzellinen her.


Quelle:
Beaumarchais [Pierre-Augustin Caron de]: Figaro's Hochzeit. Leipzig [o. J.], S. 113-114.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Figaros Hochzeit oder Der tolle Tag
Die Figaro-Trilogie: Der Barbier von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht / Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit / Ein zweiter Tartuffe oder Die Schuld der Mutter