XXXVI. Truebe Ahnung.

[145] »Kein Himmel ist so helle, dass ihn kein Wölkchen trübt;

Kein Flügel ist so schnelle, der nicht auch Ruhe liebt.

Kein Herz ist so zufrieden, dass es nicht Wünsche hegt,

Es hofft ein Herz hienieden bis man's zu Grabe trägt.«


»Und mir, mir sollte Ruhe durch stilles Glück erblühn?

Dazu sind meine Wünsche zu hoch und überkühn.

Das Glück wird nie gebunden an Wesen, Zeit und Raum;

Das Glück wird nie gefunden, als nur im Hoffnungstraum.«


»Eine graue Riesenmutter sitzt überm Ei der Welt,

Das sie mit eh'rnen Ketten an sich gefesselt hält.

Und unaufhörlich regt sich ihr dunkles Flügelpaar,

Wild ineinander wirrend umweht sie Schlangenhaar.«


»Sie hält in ihren Händen ein schneidend Schwert empor;

Umflammt von rothem Mantel wie Nordlands Meteor.

Aus ihrem Schooss gebiert sie drei Drachen: einer bringt,

Der andre würgt, der dritte den Raub allein verschlingt[145]


So Faustus spricht zum Wagner in stillvertrauter Stund,

Und dieser: »Tiefe Räthsel verkündet Euer Mund.

Dürft' ich die Deutung wagen, wie solches Ihr gemeint,

So möcht' ich frei Euch sagen, wie mir der Sinn erscheint.«


»Die graue Riesenmutter ist Zeit, die höchste Macht;

Die brütend überm Weltei, gleich einem Drachen, wacht.

Das Schicksal ist die Fessel, in die sie jenes schlägt;

Geburt und Tod sind Schwingen, die sie beständig regt.«


»Und ihres Hauptes Wirrhaar ist Zufall wohl, Geschick?

Dem wirds zur güldnen Kette, dem andern wirds zum Strick.

Ein Ariadnenfaden wirds dem zu Glück und Heil,

Ein Spinneweb der Hoffnung führt's den am Narrenseil.«


»Ihr schneidend Schwert ist Zwietracht, ihr Mantel Krieg und Mord;

Den breitet sie gar weit aus, so über Süd als Nord.

Und ihre Drachenkinder? Die träge Zukunft bringt

Was Gegenwart ermordet, Vergangenheit verschlingt.«


Mit trübem Sinnen Faustus zum treuen Freunde spricht:

»O nein, Du deutest, Wagner, mir meine Räthsel nicht!

Und wenn auch nicht verachtbar mir Deine Deutung scheint,

Mir brennt's im Herzen anders, und anders ist's gemeint.«


»Verbrechen heisst die Riesin, der Welt ausbrütend Fluch;

Die Sünden sind die Fesseln, drein sie mein Dasein schlug.

Die Schuld ist mit dem Laster ihr dunkles Flügelpaar,

Ueberm Haupte Gottverhasster regt sie das immerdar!«[146]


»Ihr Haar ist das Gewissen, das beisst, wie Natterzahn;

Und schwebend ob dem Sünder hängt stets ein Schwert daran.

Das Schwert, das heisst Vergeltung, Furcht ist der Blutprophet

Der wie ein Flammenmantel um ihre Schultern weht!«


»Und nun? Das Drachenkleeblatt, das sie geboren hat?

Den ersten nenne Vorsatz, den zweiten nenne That,

Der dritte folgt als Folge, der Gier nach Beute trägt,

Und Zähne, spitz wie Dolche in Sünderherzen schlägt.« –


›O Herr, warum so trübe, warum so schmerzgepresst?

Auf Freundschaft baut und Liebe, wenn Euch die Ruh verlässt!

Blickt nicht hinaus zur Zukunft in dunkle Mitternacht,

Freut Euch des hellen Tages, dess Gegenwart Euch lacht!‹


»Bald wird der Tag verschwinden, bald wird sein Schein vergehn,

Mit düstern Schauerflügeln wird mich die Nacht umwehn.

O dass ich nicht den Schimmer, den eiteln, angeblickt!

O dass mich nie die Blendung vom rechten Pfad entrückt!«


»Ich irr' in einer Wüste, die rings an Labe leer;

Ich bin hinausgeschleudert in ein empörtes Meer.

Ich schwimme noch, ich schwanke im öden Ozean,

Ach, eine morsche Blanke nur ist mein Lebenskahn!« –


Zur Seite steht Mephisto, der schielt nach Faustus arg,

Und spricht: »Für solchen Träumer wird jedes Bret zum Sarg.

Der grösste Thor ist immer, der sich mit Sorgen quält,

Der selbst im Schooss Fortunens unwissend, was ihm fehlt.«[147]


»Dem Thoren, dem nichts recht ist, der meiner Müh nicht dankt,

Der täglich mit dem Himmel, wie mit sich selber zankt,

Dem mag ein Andrer dienen, ich bin nicht neidbewegt,

Fast möcht' ›Gottlob‹ ich sagen, dass bald sein Stündlein schlägt!«


»Kein Himmel ist so glanzhell, dass ihn kein Wölkchen trübt,

Kein Flügel ist so ganz schnell, dass er nicht Ruhe liebt.

Faustus ist nie zufrieden; säss' er in Abrams Schooss,

Ihn risse kindsches Wüthen aus sieben Himmeln los.«[148]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 145-149.
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