XL. Kuendigung.

[161] Im Lebensbaum des Menschen soll eine Sanduhr stehn,

Die rinnt und rinnt, und keinen siehst Du herum sich drehn.

Das Leben rollt gleich eilig wie dort abfällt der Sand,

Und Manches scheint uns heilig, und Vieles ist nur Tand.


Und wenn der Sand verronnen, zerbricht das morsche Glas;

Was ist's, das wir gewonnen, erstrebt, errungen? Was?

Fahr' wohl dann Welt, so werthlos wie Sand! Du Heimathland

Gönn' uns in Dir ein Bettlein, kühl – unter Deinem Sand.


Doch glücklich, wer mit Ruhe dem Tag entgegenblickt,

An dem der Todesengel die Lebenslilie knickt!

Dess Blut nicht der Gedanke erstarren macht zum Eis,

Dass er Kraft innrer Ahnung den Tag schon nahe weiss.


Zu Faustus tritt Mephisto: »Bald tanzen wir Kehraus!

Die Zeit verläuft, mein Doktor, bestellt nur Euer Haus.

Ihr warft mich zu den Hunden, dass ich erniedrigt sei;

Habt mich doch treu befunden, fürwahr, recht hundetreu!«[161]


»Nun bin ich endlich, endlich des Dienstes quitt und baar!

Vergebens mögt Ihr rufen um den Prästigiar.

Wenn wir uns wiederfinden, in unserm Lustrevier,

Mein guter, kluger Doktor, dient Eure Weisheit mir!«


›Den ewgen Fluch zum Lohne für Deine Dienste nimm!‹

Antwortet darf dem Hohne des Geistes Faust voll Grimm.

»Nimm für Dein erstes Nahen, für jeglichen Besuch,

Eine Meerfluth voll Verwünschung und eine Welt voll Fluch!«


›Wie ziemt Dir solches Rasen, mein Philosoph? O sprich

Ehvor stolz aufgeblasen, und jetzt – wie lächerlich!

Mich sollte doch bedünken bei Deiner Phrasen Schwung,

Um kindisch schon zu werden sei Faustus – noch zu jung!‹


»Ja höhne, höhne, höhne! Spalte mein Hirngebein,

Und träufle Deiner Zunge heisszischend Gift hinein!

Was flatterst Du so ferne? Tritt nah zu mir heran!

Hier ist mein Herz, zerfleisch' es mit Deinem Tigerzahn!«


›Wie wild Du bist! Der Aerger ist schädlich, wie Du weisst!

Gewissen heisst Dein Tiger, und Angst ist's die Dich beisst.

Hast Du's mit dem verdorben, was haderst Du mit mir?

Du bist ein Thor, ich aber hab' nichts gemein mit Dir!‹


»Weh, weh mir, dass ein Solcher mir Solches sagen darf!

O wie sind seine Worte, wie Dolche, spitz und scharf!

Sie schneiden Herz und Seele mir blutig, blutig wund;

Abgrundpropheten thun sie mir künft'ge Qualen kund!«[162]


»Er ist hinweg; ich stehe nun machtlos, ganz allein;

Das Echo meines Namens, der Schein von meinem Sein.

Die Fackel, die geleuchtet, und die nun ausgebrannt,

Der Leue, den die Schlange der Wüsten übermannt!«


»Ich war ein Baum, der weithin sein grünes Laubdach wob;

Der stolz zum Himmel ragend die Krone prangend hob.

Der mit den Wurzelfassern hinab zur Tiefe drang,

Und unten die Gewalten bewältigt' und bezwang.«


»Nun nagt ein Wurm die Wurzel, nun stockt im Stamm der Saft,

Nun in den Aesten dorrt mir die frische Lebenskraft.

Nun zischt der Blitzstrahl nieder, anfacht die Gluth der Sturm,

Und ewig brennt das Feuer, und ewig nagt der Wurm.«


»Es ist vorbei – vom Schauplatz der Welt tret' ich herab,

Den jubelnd einst und gaffend die Menge laut umgab.

Dort jauchzten sie mir Beifall, doch tief im Innern wühlt

Ein Wurm, der flüstert grässlich: Faust, Du hast schlecht gespielt!«


»Es ist vorbei! O wär' es vorbei! Und wär' ich todt!

Die Seele todt und alles! Aus wäre meine Noth!

Vernichtung, o Du schönes Gespenst, komm über mich!

Gieb mir den Kuss des Todes, dankbar umarm' ich Dich!«


»Still – ruhig! Will mich zwingen, will Mann sein noch zuletzt.

Ich will mein Haus beschicken recht ernst und recht gesetzt.

Warum auch jetzt vorzweifeln? Bleibt mir dazu nicht Zeit

Im Nachtreich bei den Teufeln hindurch die Ewigkeit?« –[163]


»Im Lebensbaum des Menschen wohl eine Sanduhr steht;

Das Glas, das wird zerbrochen, der Sand, der wird verweht.

Der Baum wird abgehauen, nichts ist, das Dauer hat

Als martervolle Strafe für gottverfluchte That.« –[164]


Quelle:
Bechstein, Ludwig: Faustus. Ein Gedicht, Leipzig 1833, S. 161-165.
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Faustus. Ein Gedicht
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