Die sieben Schwanen

[251] In einem Lande war ein junger Rittersmann, der war reich und schön, und hatte eine prächtige Burg. Zu einer Zeit ritt er mit seinen Hunden in den Wald um zu jagen, da sah er eine Hindin (Hirschkuh), die war weißer als der Schnee,[251] und floh vor ihm auf und davon in das Gebirge zwischen die wilden hohen Gesträuche. Der Rittersmann aber folgte ihr gar eilig nach, und kam zuletzt in ein wildes finstres Tal, da verlor er durch die Hunde die Hindin aus dem Gesicht, ritt hin und her und rief die Hunde wieder zusammen. Darüber kam er an einen Fluß, an dem sah er eine schöne Jungfrau stehen, die wusch sich und trug in der Hand eine güldne Kette. Und da ihm diese Jungfrau sehr wohl gefiel, so stieg er sacht vom Roß, schlich sich ihr unversehens nah und nahm ihr die goldne Kette aus der Hand. In dieser Kette aber war sonderliche Kraft und Planetenzauber, und die Jungfrau war ein Wünschelweiblein, und so schön, daß er ob ihrer Schönheit die Hindin samt seinen Hunden vergaß, und gedachte die Jungfrau heimzuführen als seine Gemahlin. Und also tat er auch und führte sie heim auf seine Burg.

Nun hatte der junge Rittersmann noch eine Mutter, der kam die Schnur ungelegen, denn sie hatte bisher das Regiment ganz allein geführt, und besorgte sich nun, daß sie Gewalt und Ansehen auf dem Schloß verlieren werde. Und wurde der Schnur gram und haßte sie, und ermahnte oft ihren Sohn, jene nicht allzulieb zu haben, und hätte gar zu gern Unfrieden und Zwietracht zwischen beiden angestiftet. Aber sie konnte das nicht zuwege bringen, denn ihr Sohn wollte ihre Worte nicht hören und war dann jedesmal ungehalten auf sie. Als sie nun das wahrnahm, da stellte sie sich in allem willfährig und dienstgefällig gegen ihren Sohn und die junge Frau, aber es kam bei ihr alles aus einem falschen Herzen, darin sie zumal eine grausame Bosheit erdacht hatte gegen die junge Frau, obschon sie sie äußerlich gar sehr zu ehren schien. Darüber kam die Zeit, daß die junge Frau in das Kindbett kam, und genas von sechs Söhnen und einer Tochter, die trugen alle goldne Ringe um ihre Hälse. Sofort kam das alte böse Weib, die Mutter des jungen Herrn, und nahm die sieben Kinderchen, während die Mutter schlief, trug sie hinweg, und legte sieben junge Hündlein, die in derselben Nacht geworfen worden, an deren Stelle. Nun hatte dieses falsche und ungetreue Weib einen vertrauten Knecht, dem überantwortete sie die sieben Kinder, und verpflichtete ihn bei Treuen und Eide, daß er sie in den wilden Wald tragen, sie töten und begraben sollte in der Erde oder im Wasser ertränken. Das gelobte der Knecht zu[252] tun, trug die Kindlein in den Wald, legte sie unter einen Baum und bereitete sich, sie zu erwürgen. Da kam ihn aber ein Grauen an vor dem Mord, und er schauderte zurück vor solch ungetreuer Tat, und ließ die Kindlein leben, ging und sagte der Frau, daß er ihr Gebot vollbracht habe.

Aber der Schöpfer aller Wesen, der alle Dinge zum Besten lenkt, erbarmte sich der Kindlein und sandte ihnen einen Nährvater, das war ein alter weiser Meister, der in dem Walde wohnte, Weisheit zu pflegen, der nahm die Kindlein in seine Klause und nährte sie mit der Milch der Hirschkühe, die zu ihm zu kommen gewohnt waren, sieben Jahre lang.

Als jenes böse Weib die Kinder weggebracht hatte von der Mutter, führte sie ihren Sohn zu der jungen Frau, zeigte ihm die Hündlein und sprach: »Siehe Sohn, die Kinder, die deine Frau dir geboren, es sind junge Hunde.« Das tat sie ihrem Sohn aus Rache an, weil er die junge Frau so lieb hatte. Als er das sah, glaubte er seiner Mutter und warf einen Haß auf die junge Frau, die er vorher so lieb gehabt, wollte auch kein Wort einer Entschuldigung hören, sondern er ließ sie auf dem Hofe vor dem Palas seiner Burg in die Erde eingraben bis an die Brust, und über ihr Haupt ließ er ein Waschbecken mit Wasser setzen, und gebot allem seinem Gesinde, sich über ihrem Haupt zu waschen und ihre Hände an ihrem schönen Haar zu trocknen. Auch sollte sie keine andere Nahrung bekommen, wie die Hunde.

Und so mußte das arme Weib stehen bleiben in der[253] Grube in Nöten und Ängsten sieben ganzer Jahre, und durfte sich ihrer keine Seele erbarmen. Darüber verzehrte sich ihr schöner Leib, ihre Kleider vermoderten und es blieb nur die Haut über ihren Gebeinen.

Indessen lernten die jungen Kinder im Walde Wild und Vögel schießen, und sich von deren Fleisch nähren, und da geschah es, daß der Ritter, ihr Vater, wieder einmal jagen ging in dem Walde. Da ward er der Kinder gewahr, die in dem Holze spielend hin und her liefen, und hatten alle güldne Kettlein am Halse. Und sein Herz ward von Neigung zu den Kindern bewegt; hätte gern eins oder das andere ergriffen, aber sie ließen sich nicht fangen, sondern verschwanden im Walde. Daheim erzählte er seiner Mutter und anderen Herren und Freunden, daß er im Walde kleine Kinder gesehen mit Goldkettchen an den Hälsen. Darüber erschrak seine Mutter innerlich, nahm den Knecht vor und fragte ihn: »Hast du damals die Kinder getötet, oder hast du sie leben lassen?« Da bekannte der Knecht, daß er sie nicht mit eigner Hand zu töten vermocht habe, doch habe er sie unter einen Baum gelegt, und da wären sie gewiß bald gestorben. Hierauf gebot sie dem Knecht, schleunigst in den Wald zu reiten, die Kinder zu suchen, die mit nichten gestorben seien, und ihnen die goldnen Ketten zu nehmen, sonst würden sie beide zu Schanden werden. Der Knecht gehorchte voll Angst, suchte drei Tage die Kinder im Walde und fand sie nicht; erst am vierten Tage fand er sie, sie hatten die Kettchen abgelegt, und waren nun in Schwäne verwandelt, und spielten auf dem Wasser. Aber das Mädchen hatte noch seine menschliche Gestalt und sah den Schwänen zu, wie sie auf dem Wasser spielten. Da ging der Knecht heimlich hinzu und nahm die sechs goldnen Kettchen weg; aber das Mädchen entlief ihm, daß er es nicht erreichen konnte.

Wie der Knecht die Ketten der Alten darbrachte, sandte sie zu einem Goldschmied und hieß ihn von denselben einen Becher machen. Als der Goldschmied nun von den Ketten einen Becher gießen wollte, befand er, daß das Gold also edel und rein war, daß es weder mit dem Hammer verarbeitet noch im Feuer fließend gemacht werden konnte, bis auf ein Kettchen, das zerschlug er und machte einen Ring davon; die andern wog er auf seiner Waage, legte sie beiseit und gab dafür an Gewicht so viel anderes Gold und machte[254] einen Becher davon, den gab er der Frau und auch den Ring, die schloß beides fest in ihren Kasten.

Jene Schwäne aber, die nun ihre menschliche Gestalt nicht wieder erlangen konnten, wurden betrübt und sangen mit süßer kläglicher Stimme wehmutvollen Gesang, der klang wie Weinen kleiner Kinder. Zuletzt erhoben sie sich auf ihrem Gefieder hoch empor, zu sehen, wo sie sich hinwenden möchten? Da gewahrten sie einen großen spiegelklaren See, auf dem ließen sie sich nieder. Der See aber umschloß einen hohen Berg, an dem hing ein großer Felsen und auf diesem lag eine schöne Burg. Der Felsen war also steil, und das Wasser stand so dicht am Berge, daß außer einem ganz schmalen Steig keinerlei Zugang zur Burg war. Und das war gerade die Burg des jungen Ritters, welcher der Vater jener Kinder war, und die Fenster des Speisesaales der Burg standen nach dem Wasser gekehrt, so daß der Herr bald der Schwanen gewahr ward, und wunderte sich, denn er hatte so schöne Vögel noch niemals gesehen. Darum warf er ihnen Brot und andere Speisen hinunter, und gebot allem seinen Gesinde, daß sie niemand solle verjagen oder vertreiben, sondern sie sollten allezeit Brot hinunter werfen, so lange, bis daß die Schwäne sich dort beständig heimisch hielten. Diesem Gebot ward fleißig nachgelebt, und die Schwäne gewöhnten sich dahin und wurden so zahm, daß sie stets zur Essenszeit kamen und ihr Futter empfingen.

Das arme verlassene Mädchen aber, ihre Schwester, hatte nun zwar ihre menschliche Gestalt behalten, war aber hülflos, und ging betteln hinauf auf die Burg ihres Vaters. Da gab man ihr den Abfall vom Tische, und sie teilte diesen mit der armen Frau in der Grube, denn so oft sie diese sah, mußte sie bitterlich weinen. Doch kannte eins das andere nicht. Auch brachte das Mägdlein noch einige übrig gebliebene Brosamen herunter unter die Burg an das Wasser, und gab die den Schwanen, ihren Brüdern. Allezeit, wann sie nahete, so kamen die Schwanen herbei, fliegend und flatternd und kitternd, und aßen ihre Speise aus der Schürze des Mägdleins. Das kosete sie freundlich und nahm sie oft in ihre Arme, und ging dann stets gegen Abend wieder auf die Burg, und schlief alle Nacht vor der Frau, die in der Erde stand, ohne daß sie wußte, daß diese ihre Mutter war.

Alle Bewohner der Burg sahen das alles mit großer[255] Verwunderung, und daß sie immer weinte, wenn sie bei der Frau stand, und auch, daß sie dieser sehr ähnlich sah. Und da ward auch des Ritters Herz bewegt, daß er das Mägdlein näher betrachtete, und sah die Ähnlichkeit mit seiner Frau, und sah auch an ihrem Hals das güldne Kettlein. Und ließ das Dirnlein vor sich treten und fragte es: »Mein liebes Kind, sage mir, von wannen bist du und von wannen kömmst du her? Wer sind deine Eltern und wie hast du die Schwanen so gezähmt, daß sie aus deinem Schoße essen?«

Da erseufzte das arme Kind aus tiefstem Herzensgrund und sprach: »Lieber Herr! die Eltern, die ich hatte, habe ich nie gekannt. Ich weiß auch nicht, ob ich sie gesehen habe. Wenn du aber nach den Schwanen fragst, das sind meine Brüder, die mit mir ernährt wurden von der Milch der Hindinnen im Walde. Zu einer Zeit geschah es, daß meine Brüder ihre goldenen Ketten ablegten, weil sie baden wollten, da wurden sie in Schwäne verwandelt; und weil die Ketten geraubt wurden, konnten sie die Menschengestalt nicht wieder erlangen, und mußten Schwäne bleiben.«

Diese Rede vernahmen das falsche untreue Weib und der Knecht, ihr Helfershelfer, und erschraken heftiglich und[256] wurden beide bleich im Bewußtsein ihrer Schuld. Der Ritter nahm das wahr, und dachte darüber nach, indem er von der Burg herab spazieren ging. Die Alte aber hetzte den Knecht auf, er sollte das Mägdlein töten. Und er nahm ein blankes Schwert und folgte dem Mägdlein, als es nach seiner Gewohnheit herabging zu den Schwanen. Allein der Herr gewahrte seiner, trat herzu, und wie der Knecht die Missetat begehen wollte, schlug er ihm das Schwert aus der Hand. Da fiel der Knecht auf seine Kniee nieder und bekannte alles. Darauf trat der Ritter zu seiner Mutter und zwang sie mit Drohungen zum Geständnis; da schloß sie ihren Kasten auf und gab dem Sohn jenen Becher, der von den Kettchen gefertigt sein sollte. Sogleich sandte der Ritter nach dem Goldschmied und fragte ihn ernstlich wegen des Bechers. Da sich dieser nun auch der Strafe besorgte, so bekannte er die Wahrheit, daß er die Ketten noch ganz habe, bis auf eine, aus der er einen Ring gefertigt. Der Ritter hieß ihm die Ketten bringen, und gab sie der Jungfrau; die legte sie den Schwanen, jeglichem eine, um den Hals. Da erhielten sie alle die menschliche Gestalt wieder, bis auf einen – der mußte ein Schwan bleiben. Von diesem Schwan findet man in manchem Buche viel sonderliche Abenteuer beschrieben. Nun ließ der Ritter gar eilig die arme Frau aus der Erde nehmen, ließ sie mit edler Spezerei und kostbaren Würzen wieder erquicken, daß sie wieder ein schönes Weib wurde. Seine falsche Mutter ließ er in das nämliche Loch setzen, darin seine unschuldige Frau sieben lange Jahre geschmachtet und gelitten hatte durch jener Bosheit. So geschah ihr nach dem Prophetenspruch: In die Grube fällt, wer andern sie gegraben.[257]

Quelle:
Ludwig Bechstein: Sämtliche Märchen. München 1971, S. 251-258.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsches Märchenbuch
Deutsches Märchenbuch
Märchenbuch: Märchenbuch /Neues deutsches Märchenbuch
Deutsches Märchenbuch.
Gesammelte Werke. Märchenbücher / Deutsches Märchenbuch
Gesammelte Werke. Märchenbücher / Mythe, Sage, Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes. Teil 1.

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon