228. König Widewuto opfert sich selbst

[171] Da König Widewuto oder Waidewut, wie er auch genannt wird, zu hohen Jahren gelangt war und die Lande an seine Söhne alle verteilt waren und er fühlte, daß er nicht mehr kühnlich gegen die Feinde stehen könne, da ließ er nahe der heiligen Eiche zu Romove einen Holzstoß schichten und Tieropfer darbringen, er selbst aber stand in allem Glanze seiner Königswürde, hielt eine Schale voll Met und goß diese einer schwarzen Kuh zwischen die übergoldeten Hörner und sprach vor dem Volke, das mit brennenden Fackeln den lohenden Scheiterhaufen umstand, ein Gebet zu seinen Göttern: Euch alle, ihr Götter der Erde und des Meeres, des Lichtes und der Finsternis, dich, Donnerer Perkunos, dich, Pikollos, Gott des Todes, und dich, Potrimpos, Gott der Schlachten, rufe ich an, daß euer Auge auf mich sich lenke und senke, auf mich, den König, der seinem Volke sich selbst zum Opfer darbringt, damit es siege und in Ruhm und Ehren fortbestehe für alle Zeiten! Und als der König diese Worte gesprochen, stürzte er sich mutvoll in die lodernde Flammenlohe, und das Volk warf seine Fackeln über ihn und erhob das Geschrei der Klage und den Gesang der Schlacht, und die Krieger schlugen dreimal auf ihre Schilde, daß sie dröhnten und von ihrem Schall die Luft erzitterte und die Wälder ihn widerhallten.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 171.
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