510. Vom Reißigenstein

[354] Unterhalb Mehlis liegt ein bewaldeter Berg steil und schroff über der Straße, die von Benshausen abwärts, nach Blasienzelle aufwärts führt. In Büchern nennen sie ihn den Reißigberg, von dem sagt ein alter Hennebergischer Geschichtschreiber: Denkwürdig ist auch ein Berg, der reißende Stein, ist eine ziemlich hohe Klippe, an welcher zur Nachtzeit nicht viel Ruhe ist, indem die Steine von oben herab in die gerade unten vorbeigehende Landstraße springen, wodurch viele Leute erschrecket worden; dem Vernehmen nach lassen sich allda viele Gespenste sehen. – Dem reißenden Stein gegenüber ist sonst ein Frauchen mit einem Schlüsselbund umgegangen, das erschien den Leuten in der Mittagsstunde und schrie wehklagend: Drei Viertel für ein Pfund! Drei Quärtchen für eine Kanne! Es war eine Handelsfrau, die ihre Kunden bei Lebzeiten also betrogen hatte, die mußte nun dort umgehen, wie die Biermesserin Frau Holle im Walzerholze bei Arnstadt. Doch hört und sieht man sie jetzt nicht mehr, vielleicht fand sie ihre endliche Erlösung.

Überm Berg drüben hinterm reißenden Stein ist der Höselberg, in den ist ein Amtmann verwünscht, der muß als Feuermann dort spuken.

Im Jahre 1561 borst eine Kluft am Klingesberge und wich das Erdreich, also daß es zehn besamte Acker fünf Ellen hoch bedeckte, vier Acker Wiesen verwüstete,[354] Bäume niederriß und der Berg in der Nacht sechzehn Schuh weit fortrückte. Das ward für ein gar schlimmes Anzeichen gehalten.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 354-355.
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