533. Das Nonnenkloster zu Saalfeld

[367] In unvordenklicher Zeit war das Haus der jetzigen Hofapotheke ein Nonnenkloster, es ist nach dem hohen Schwarm der urälteste, doch schon ganz byzantinische Bau der Stadt, und noch zeigt sich daran manch rätselhaftes Steingebilde. In selbigem Hause soll es vordessen greulich gespukt haben, es gingen darin, soviel der etwas beschränkte Raum erlaubte, sämtliche Nonnen, Priorinnen und Äbte um und wandelten durch die unterirdischen Gänge, von denen einer nach dem Peterskloster führte, auf dem jetzt das Schloß steht, ein anderer nach dem Barfüßerkloster, ein dritter unter der Saale hinweg nach Altensaalfeld, mit einem Stationspunkt[367] unter der Gehülfenkapelle in einem Brückenpfeiler, ein vierter unter die Sorbenburg, ein fünfter unter das Schlößchen Kitzerstein, und wo sonst noch die Nonnen ihre Gänge hin hatten und ihre Besuche her empfingen. Wo jetzt das Laboratorium der Hofapotheke, da war ehedem das Refektorium, und in dem Gastzimmer war das Dormitorium der Nonnen. Unter dem Kohlengewölbe öffnete sich eine Falltüre zu einem Unterkeller, die soll hernachmals vermauert worden sein, darinnen setzten die Nonnen dasjenige im stillen bei, was die Welt nicht mit Augen sehen durfte. Aber von Zeit zu Zeit, hauptsächlich am Tage der unschuldigen Kindlein, ist dasjenige in blutiger und dräuender Gestalt erschienen und hat sich nicht durch aufgeschütteten Kalk, nicht durch die Falltüre und die Kellergewölbetüre bannen lassen. Auch ist im Kloster ein beständiger Hader und Unfriede – eifersuchtswegen – gewesen, und sagen die Leute, es wären dieserhalb außen am Hause Hund und Katze als ein Wahrzeichen angebracht worden – doch sind es die Gestalten eines Leuen und eines Bären. – Endlich ist an einem schönen Morgen das alte Kloster zugewesen und auch zugeblieben – kein Gesicht hat sich mehr darinnen erblicken lassen – und als man endlich öffnete, war das Innere so tot und öde, als habe seit Jahren niemand mehr drinnen gewohnt. Niemand kann sagen, wo die Nonnen hingekommen sind. Einige meinen, sie seien ihre gewohnten Gänge gegangen und nicht wiedergekommen: andere aber sagen, sie seien verwünscht, müßten ewiglich in diesen Räumen bleiben und so lange spuken, als nur ein Stein des uralten Klosterbaues auf dem andern stehe. Andere haben diesen Termin minder lang gestellt und sagen, sie haben bloß so lange spuken dürfen, als es Mönche zu Saalfeld gegeben, und diese Zeit sei schon längst vorüber, und wären die spukhaften Nönnlein nun alle erlöst. – Vor dem Hause lag oder liegt noch ein großer Stein, darauf sitzt in jeder Neumondnacht eine Schleiereule und schlägt mit den Flügeln und tut einen markdurchdringenden Eulenschrei, wie die Tut-Osel.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 367-368.
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