815. Die Zollner von der Hallburg

[533] Über Volkach am Main stand eine Ritterfeste, die Hallburg geheißen, und deren Besitzer nannten sich die Zollner. Wahrscheinlich zöllnerten sie ein wenig bezüglich der Mainschiffahrt, daher der unadelige Name. Ohnweit der Burg steht auf dem Kirchberge noch eine sehr alte gut erhaltene Kirche. Einst zogen zwei Zollner von der Hallburg, Brüder, in das Heilige Land, der eine war vermählt, der andere unvermählt, und kämpften tapfer gegen die Sarazenen, unterlagen aber in einer Schlacht der Übermacht und wurden gefangen. Lange trugen sie im dunkeln Kerker schwere Ketten, und endlich wurden sie, da sie Christum nicht abschwören wollten, zum Tode verurteilt. Ein türkisches Mädchen, des Kerkermeisters Tochter, war heimlich dem Christenglauben zugeneigt und vergoß viele Tränen über der armen Ritter nahen Tod; ja sie bat dieselben, sie in ihr letztes Gebet mit einzuschließen. Darauf haben die Ritter noch einmal recht inbrünstig im Kerker gebetet, und zwar zur wundertätigen Maria auf ihrem Kirchberge in der fernen Heimat, und haben nicht vergessen, auch die junge Türkin in ihr Gebet mit einzuschließen. Dann sind sie beide ruhig entschlummert, und es erschien ihnen die Maria vom Kirchberg im Traume und winkte ihnen. In derselben Nacht träumte auch der verlassenen Herrin auf der Hallburg, die Madonna ihrer Kirche winke sie zu sich. Und da machte die Frau sich am andern Morgen auf, einen stillen Bittgang zur Kapelle zu tun. Und wie sie hinkam, da fand sie vor der Türe zwei Männer in Sklaventracht und in Ketten und ein jung Mägdlein in des Morgenlandes Tracht in Schlummer sitzen, und der eine war ihr Mann. Ihr lauter Freudenruf erweckte die Schläfer, die blickten staunend umher und wußten nicht, wo sie waren, bis die Männer die Gegend und der eine in der Edelfrau sein Weib wiedererkannte, und alle warfen sich vor dem wundertätigen Bilde voll frommgläubigen Dankes anbetend nieder. Dann wurde die junge Türkin des jüngern Zollners von der Hallburg Hausfrau, nachdem sie feierlich in derselben Kirche zur Christin geweiht worden, und zum ewigen Gedächtnis ward für die Kirche ein Bildwerk verfertigt, das schnitzte ein kunstvoller Hirte derselben Gegend, welches noch vorhanden. Darauf erblickt man alle Personen, die jenes hohe Wunder berührt, in halber Größe; die Antlitze[533] der Ritter sind leidensvoll, und dieselben Ketten und Fußblöcke, die sie im Kerker getragen, und die bei ihrer wunderbaren Entrückung nach der fernen abendländischen Heimat noch an ihnen hingen, dann aber abfielen, sind den Bildern der Ritter angelegt. Fragte nun ein Ungläubiger spöttelnd nach solchen Wunders Möglichkeit, so erwidert ihm der Mund der Sage: Konnte der Teufel Christum selbst auf einen hohen Berggipfel führen sowie den Herzog Heinrich den Löwen in einer Fahrt übers Meer tragen, warum sollte nicht die heilige Jungfrau ein noch höheres Wunder zu üben vermocht haben?

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 533-534.
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