860. Wölfe gehenkt

[561] Vordessen war ein sonderer Brauch vornehmlich im Franken- und Bayerlande, daß man die Wölfe an Galgen henkte, gleich Wegelagerern, und geht schon vom Herzog Heinrich in Bayern die Sage, daß er, obschon er das Rotwild über alle Maßen liebte und die Rüden den Bauern durch die Zäune jagte, doch bezüglich der Stegreifreiterei all reine Straße hielt, so daß die Kaufleute sein Reich im Rosengarten nannten, die Räuber und Reiter aber von ihm wehklagten: Kein Wolf mag sich in seinem Lande erhalten und dem Strang entrinnen.

Im Sommer des Jahres 1685 hauste ein gefährlicher Wolf im Ansbacher Gebiet, erwürgte mehrere Menschen, Kinder und Erwachsene, und entging lange dem Tode, denn die gnädige Landesherrschaft wies zwar den Oberjäger an, mit Zuziehung mehrerer Leute einen Streif vorzunehmen nach dem Wolfe, aber dabei fleißig acht zu haben, daß dem Wildbret dadurch kein Schaden zugefügt werde; da ging es recht nach dem Sprüchwort: Wasche mir den Pelz und mache mich nicht naß. Der Wolf würgte und wütete fort, die Landleute trauten sich selbst am hellen Tage nicht mehr aufs Feld zu gehen. Zum Unglück verbreitete sich auch noch die Kunde, daß der Wolf gar nicht ein natürlicher Wolf sei, sondern der Geist des vor kurzem verstorbenen Bürgermeisters und Kastenpflegers zu Ansbach. Schon bei seiner Beerdigung habe dieser aus einem Dachfenster seines Hauses seinem Begängnis in aller Gemütlichkeit zugeschaut, und darauf nachts sei er dem Nachtwächter in Wolfsgestalt und in ein weißes Tuch gehüllt begegnet. Da geschah es, nachdem Ende Juli besagter Wolf sich zuerst hatte sehen lassen, daß er am 10. Oktober gemeldeten Jahres im Weiler Neuses bei Windsbach auf zwei Bauernknaben lauerte, die ihm jedoch entgingen, darauf einem Hahn nachsprang, der die Flucht über einen alten mit Röhrig belegten Brunnen flatternd nahm, und überm Springen in den Brunnen hineinfiel, wo ihm nun die Gemeinde leichtlich, wie sich denken läßt, das Garaus machte. Im Triumph wurde das erlegte Untier nach Ansbach zu hochfürstlicher Landesherrschaft gebracht und darauf folgendermaßen mit ihm verfahren. Erstlich wurde er enthäutet, um ausgestopft die hochfürstliche Kunstkammer als rares Exemplar einer anderthalb Ellen hohen Wolfsgestalt zu zieren, dann wurde ihm von Pappe ein Menschengesicht, seiner etlichermaßen bei Lebzeiten gehabten Physiognomie ähnlich, gemacht und mit einem Schönbart, lang und weißgraulich, ausgeputzt; dann bekam er ein Kleid von gewichster Leinwand, fleischfarbrötlich, angezogen und wurde ihm eine kastanienbraune Perücke aufgesetzt. Und also wurde Herr Isegrim auf dem sogenannten Nürnberger Berg vor Onolzbach an einem eigens dazu errichteten Schnellgalgen aufgehenkt, jedermänniglich zur Warnung, er mochte Wolf, Bürgermeister oder Kastenpfleger sein, zur Strafe seiner ungebührlichen Aufführung.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 561.
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