886. Götzens Turm

[574] In der alten Stadt Heilbronn, der vor grauen Zeiten schon die heilsamen Wasserquellen ihren Namen verliehen, die Kaiser Karl der Große selbst[574] entdeckt, und welcher Name als Heilicobrunn schon im neunten Jahrhundert einer Königspfalz allda zuteil ward, deren Grundbau in einem Haus am Markt noch erkenntlich sein soll, ist der schönste Brunnen in der St. Kilianskirche, und unterm Hochaltar hört man noch den Siebenrohrbrunnen rauschen, dessen Röhren längst versiegten; am hohen Kirchturm aber ist gar wunderlich und phantastisch Bildwerk in Stein gehauen, Menschen, die im Schatten ihres einen großen Fußes ruhen, Menschen mit Augen auf der Brust, ohne Kopf und sonstiges abenteuerliches Gebilde mehr.

Dort zu Heilbronn steht an der Mauer, hart am Zwinger, ein viereckiger Turm, der heißt Götzens Turm, darum, weil der biedere Ritter Götz von Berlichingen etliche Zeit darinnen gefangengehalten wurde, und dieses wieder darum, weil er treulich zu seinem Herzog Ulrich hielt, den seine Untertanen genötigt hatten, landflüchtig zu werden, aber von dem Schwäbischen Bunde zu Möckmühl gefangengenommen und dann in der Herberge zu Heilbronn verstrickt worden war. Da sollte Götz dem Bunde Urfehde schwören, das heißt, schwören und geloben, gegen ihn nicht Waffen zu tragen, erlittene Unbill und Verstrickung nimmer zu rächen, das Land zu meiden, aller Orten und Ende aber auf jede an ihn ergehende Vorladung des Bundes sich zur Haft und zu Verhör zu stellen, solches alles hatte eine Urfehde auf sich, die jeder, der sie beschwur, noch dazu mit seinem adeligen Wappen untersiegeln mußte. Götz tat's aber nicht, schlug das Begehren stracks ab und sagte: Da will ich eher ein Jahr im Turme liegen. – Da schickten sie die Weinschröter, die sollten Götzen anfassen, und da zog Götz vom Leder und zuckte seine Wehr, die ihm gelassen war, da schnappten die Küfer wieder hinter sich und baten, nur die Klinge wieder einzustecken, sie wollten ihn nicht weiter führen als auf das Rathaus. Vom Rathaus aber ward er doch in den Turm geführt und mußt' eine Nacht darin liegen, vom Pfingstabend bis auf den Pfingsttagmorgen. Danach kam ihm Hülfe von seinen Gefreunden, Herrn Franziskus von Sickingen und Georg von Frundsberg, die erwirkten ihm ehrliche Haft, die währte bis ins vierte Jahr, da löste er sich mit zweitausend Goldgulden. War noch lange nicht so viel Lösegeld, als der biedere Götz dem Grafen Philipp II. zu Waldeck abnahm, da er ihm unterhalb der Wetterburg aufgelauert hatte und die Raubwölfe seine lieben Gesellen nannte.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 574-575.
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