919. Die Farrensamenholer

[596] Wie in Thüringen der Farn- oder Farrenkrautsame für magisch hülfreich, seine Gewinnung aber, wem sie nicht durch unversehenen Glücks- und Zufall wird wie dem Mann zu Berka an der Werra, für seelengefährlich gilt, so auch in Schwaben. Die Gewinnung ist immer nur durch Teufelsbeihülfe möglich, und es ist eine sehr schwere Sache damit. Nicht beten, in keine Kirche gehen, keinem Weihkessel nahen, auf Kreuzwege treten und die Erscheinungen Verstorbener festen Mutes anschauen, ihnen nicht Rede stehen, über Teufelsfratzen nicht lachen, sollten sie auch so lächerlich sein, wie die, als eine Hexe, die zum Wuodesheer zu spät kam, nackt auf den Kopf gestellt wurde und nun mit auf sie gesteckten Lichtern leuchten mußte – das sind die schweren Proben, die bei der Farrensamengewinnung bestanden werden müssen. Sind sie bestanden, so kommt der grüne Jäger, als welches kein anderer ist denn der Teufel, und bringt ein Tütchen voll Farnsamen, nicht so viel, als in eine Schachtel voll Schneeberger Schnupftabak geht, das trägt der Farrensamenholer dann stets bei sich. Nun schlägt ihm nichts fehl, jede Kugel, die der Jäger aus dem Rohre schießt, trifft; sein Gewehr schießt um eine Ecke herum. Des Handwerkers Arbeit fleckt, als hätte er zwanzig Gehülfen. Ein Holzhauer in Rothenburg am Neckar hatte die Proben bestanden, der machte jeden Tag fünfhundert Büschele Holz, das sollt' ihm einmal einer nachtun. Auch war daselbst vor vielen hundert Jahren einmal ein Leinewebergesell, der hatte auch Farnsamen gewonnen, lebte die ganze Woche in Saus und Braus, arbeitete aber am Sonntag, weil das Sabbatschänden auch zu den Bedingnissen der Teufelsbündner gehört, aber da webte er ungeheure Stücken, bis die Teufelsweberei zuletzt an Tag kam und es damit ein dreckig Ende gewann. Jeder[596] Farnsamenholer kann selben Samen aber nur auf sein eigenes Gewerb oder Handwerk holen, darin gelingt ihm dann nach bestandenen Proben alles. Wenn aber die Bäuerlein, wie auch schon dagewesen, Jäger werden wollen und die Dorfschulmeisterlein Staatsräte und die Advokaten gar Regenten – das glückt nicht, und wenn sie noch so viel roten Farnsamen vom Teufel in Tüten erlangt hätten.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 596-597.
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