1000. König Watzmann

[642] Südöstlich von Salzburg streckt, mit ewigem Schnee bedeckt, hoch über sieben niedrigere Zinken ein Berg zwei riesige Zackenhörner gen Himmel, das ist der über neuntausend Fuß hohe Watzmann. Von ihm erzählt das umwohnende Volk aus grauen Zeiten her diese Sage.

Einst, in undenklicher Frühzeit, lebte und herrschte in diesen Landen ein rauher und wilder König, welcher Watzmann hieß. Er war ein grausamer Wüterich, der schon Blut getrunken hatte aus den Brüsten seiner Mutter. Liebe und menschliches Erbarmen waren ihm fremd, nur die Jagd war seine Lust, und da sah zitternd sein Volk ihn durch die Wälder toben mit dem Lärm der Hörner, dem Gebell der Rüden, gefolgt von seinem ebenso rauhen Weibe und seinen Kindern,[642] die zu böser Lust auferzogen wurden. Bei Tag und bei Nacht durchbrauste des Königs wilde Jagd die Gefilde, die Wälder, die Klüfte, verfolgte das scheue Wild und vernichtete die Saat und mit ihr die Hoffnung des Landmanns. Gottes Langmut ließ des Königs schlimmes Tun noch gewähren. Eines Tages jagte der König wiederum mit seinem Troß und kam auf eine Waldestrift, auf welcher eine Herde weidete und ein Hirtenhäuslein stand. Ruhig saß vor der Hütte die Hirtin auf frischem Heu und hielt mit Mutterfreude ihr schlummerndes Kindlein in den Armen. Neben ihr lag ihr treuer Hund, und in der Hütte ruhte ihr Mann, der Hirte. Jetzt unterbrach der tosende Jagdlärm den Naturfrieden dieser Waldeinsamkeit; der Hund der Hirtin sprang bellend auf, da warf sich des Königs Meute alsobald auf ihn, und einer der Rüden biß ihm die Kehle ab, während ein anderer seine scharfen Zähne in den Leib des Kindleins schlug und ein dritter die schreckenstarre Mutter zu Boden riß. Der König kam indes nahe heran, sah das Unheil und stand und lachte. Plötzlich sprang der vom Gebell der Hunde, dem Geschrei des Weibes erweckte Hirte aus der Hüttentüre und erschlug einen der Rüden, welcher des grausamen Königs Lieblingstier war. Darüber wütend fuhr der König auf und hetzte mit teuflischem Hussa Knechte und Hunde auf den Hirten, der sein ohnmächtiges Weib erhoben und an seine Brust gezogen hatte und verzweiflungsvoll erst auf sein zerfleischtes Kind am Boden und dann gen Himmel blickte. Bald sanken beide zerrissen von den Ungetümen zu dem Kinde nieder; mit einem schrecklichen Fluchschrei zu Gott im Himmel endete der Hirte, und wieder lachte und frohlockte der blutdürstige König. Aber alles hat ein Ende und endlich auch die Langmut Gottes. Es erhob sich ein dumpfes Brausen, ein Donnern in Höhen und Tiefen, in den Bergesklüften ein wildes Heulen, und der Geist der Rache fuhr in des Königs Hunde, die fielen ihn jetzt selbst an und seine Königin und seine sieben Kinder und würgten alle nieder, daß ihr Blut zu Tale rann, und dann stürzten sie sich von dem Berge wütend in die Abgründe. Aber jener Leiber erwuchsen zu riesigen Bergen, und so steht er noch, der König Watzmann, eisumstarrt, ein marmorkalter Bergriese, und neben ihm, eine starre Zacke, sein Weib, und um beide die sieben Zinken, ihre Kinder – in der Tiefe aber hart am Bergesfuß ruhen die Becken zweier Seen, in welche einst das Blut der grausamen Herrscher floß, und der große See hat noch den Namen Königssee, und die Alpe, wo die Hunde sich herabstürzten, heißt Hundstod, und gewann so König Watzmann mit all den Seinen für schlimmste Taten den schlimmsten Lohn und hatte sein Reich ein Ende.


Ende[643]

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 642-644.
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