Fünfte Scene.

[302] Köller, ein Diener, dem Graf Ranzau folgt.


DIENER zum Grafen.

Ich melde Ew. Excellenz sogleich.


Ab.
[302]

KÖLLER zu Ranzau, der sich unmuthig in einen Sessel geworfen.

Wie ist mir, seh' ich wirklich recht, Graf Ranzau

Im Vorsaal des Ministers? Nun, beim Himmel!

Die Welt ist morsch; habt ihr dem alten Haß

Entsagt, der jede Huld'gung ihm geweigert,

Und wankt auch ihr, so darf er nichts mehr scheuen.

Ich wünsch' ihm Glück. Auf seiner Schwelle harrt

Sein größter Feind, der Edelste der Dänen.

RANZAU.

Ich bin sein Feind, und ich verhehl' es nicht,

Ich hab' ihn einst geliebt, beschützt; ja selbst,

Wer weiß das nicht, den klippenvollen Weg

Zu dieser Höh' mit rascher Hand gebahnt.

Jetzt hass' ich ihn! Ich muß, ich darf sein Feind sein,

Weil ich den ew'gen Platz, den ich behaupte,

Dem König nicht, und keinem Struensee,

Dem Himmel nur und meinen Ahnen danke.

Was aber that er euch, daß ihr voll Unmuth,

Voll schlechtverhalt'nen Ingrimms auf ihn blickt?

Seid ihr sein Freund nicht, sein Begünstigter,

Den er nicht scheut, weil er ihn groß gemacht?

Ihr schmäht die Sonne, die euch wärmt und nährt,

Euch wachsen machen kann. – –

KÖLLER.

Fluch seiner Gunst!

Ich hass' ihn, wie ich den Verrath gehaßt,

Und liebe den Verrath, seit ich ihn hasse.

Blickt mich nicht staunend an, vernehmt es nun,[303]

Ich spiele, Graf, ein lang verborg'nes Spiel;

Dem Lande, denk' ich, soll es Glück und Heil,

Und schweres Elend dem Verräther bringen.

Blickt in die Karte! Wohl mir, wenn ihr dann

Das Wagniß theilen wollt und den Gewinn.

RANZAU.

Was muß ich hören, und an welchem Ort?

KÖLLER.

Nicht um mich blick' ich, weiß nicht, wo wir steh'n,

Nur die Minuten zähl' ich; könnt ihr's ahnen,

Was uns der nächste Tag verderbend bringt?

Ich bau' auf euch, will mein Geheimniß euch

Vertrauungsvoll enthüllen, augenblicklich

Noch, eh' ihr mit entscheidungsvollem Tritt

Entgegenschreitet der verhaßten Schwelle.

RANZAU.

Was werd' ich hören, Obrist? Redet, redet!

Ihr zeigt ein Doppelantlitz, das mich schreckt.

Seh' ich das wahre, oder sieht's der Günstling?

Indeß ihr hin zu ihm mit treuem Blick

Der alten glaubenswerthen Freundschaft lächelt,

Zeigt ihr mir heut', in wuthentstellten Zügen,

Des Augenblickes schnell erzeugten Haß.

KÖLLER.

Des Augenblicks? Ich weiß von keiner Treue,

Schien sie ihm glaubenswerth, nun weiß der Himmel,[304]

Ich hab' sie nie gelobt. Zum ersten Mal

In Preußen sah ich diesen Struensee.

Wir hatten Frieden damals. Der Soldat

Allein trug noch des Kriegs fruchtlose Bürde.

Ich war der Mühen satt. Der junge Arzt,

In eurer Hauptstadt damals schon berühmt,

Sprach viel von eures Lands bequemen Dienst,

Von schnellem Beispiel glänzender Beförd'rung.

Ein nordisch Frankreich nannt' er dieses Dänmark,

Wo hoffnungsvoll ein jugendliches Paar

Vom Thron herab wie eine Frühlingssonne

Durchs ganze Reich erweckend Leben strömte.

RANZAU.

O schnell entschwund'ne Zeit!

KÖLLER.

Ich kam hieher,

Nahm Dienste in dem deutschen Regiment,

Ward mit dem lebensfrohen Arzt vertraut

Und schien ihm nützlich bald und unentbehrlich.

Gewann er sich der Weiber flücht'ge Huld

Mit leichter Müh', so fühlt' er auch die Tücke,

Den Wechsel oft des launischen Geschlechts.

Einst führt' ich ihn zu einem Mädchen hin,

Das ich seit Monden kannte. Laßt mich Alles

Mit diesen Worten nur erschöpfend sagen.

Die Sonne hat kein reizender Geschöpf,

Kein liebenswerth'res je geseh'n. Mein Herz

War ihr zu eigen wie ein blöder Sklave.[305]

Ich dachte Nichts als sie. – Da trat er,

Der Dämon meines Friedens, vor sie hin.

Ihn sehen und ihn lieben, war ihr eins.

RANZAU.

Ja, seiner Blicke heimlich Feuer flammt

Ins Herz der Weiber wie ein sich'rer Blitz.

KÖLLER.

Da kam die Zeit der Reis'. Ihr wißt es selbst,

Wie plötzlich ihn des Schicksals günst'ger Flug

In königliche Nähe trug. Er schloß

Dem glänzenden Gefolg' sich an, gedachte

Der Qualen kaum des liebenden Geschöpfs,

Das er zurückließ, das in brennender

Geheimer Sehnsucht sich verzehrte. Endlich

Kehrt' er zurück. Wie flog sie ihm entgegen,

So voll das treue Herz. Das seine aber

War umgewandelt in dem tiefsten Leben,

Erstarrt vom winterlichen Strahl des Glücks.

Sein Wort war unerquicklich; selten kam er

Auf karge, heißerflehte Augenblicke.

Und mahnte ihn die gramerpreßte Thräne

Im lieben Aug' an frühe Zeit, so klirrte

Der höf'sche Sklave mit den gold'nen Ketten.

Jetzt wendet sich die jugendliche Gnade

Der holden Königin zu dem Bethörten.

Der Zukunft gold'ne Pforte thut sich auf

Vor seinen kühnen Blicken. – Die Verlass'ne,

Graf, ihr versteht mich, – scheltet mich nicht thöricht,[306]

Sie wirft ein brechend Aug' auf des Verräthers

Unwürd'gen Glanz – und stirbt. Sie hat vergeben,

Ich aber hab' auf ihrem Grabe Rache

Der Frühgeschied'nen – fürchterlich gelobt.

RANZAU.

Jetzt, Obrist, glaub' ich euch; ihr seid sein Feind,

Doch das ist eure, ist nicht Dänmarks Sache.

KÖLLER.

Sie wird's, hört weiter nur; seit jener Zeit

Hab' ich, geheimnißvoll beachtend, nun

In seiner Nähe lang gelebt.

Hab' sein Vertrau'n mir nicht erbettelt; aber,

Wenn er's entgegentrug, es nicht verschmäht.

Und wie er ungern nur dem Dänen traut,

So hat der Deutsche auf sein brausend Herz

Ein stilles Anrecht. So erklär' ich mir's,

Daß er mich wachsen ließ in seiner Gunst.

Bis heute glaubt' ich noch an seinen Muth,

Jetzt weiß ich, daß er fürchtet; nun ist's Zeit!

Er wagt's, die besten Truppen dieses Landes,

Ein Regiment, dem Adel ganz ergeben,

Die treue Schar der Garden heimzusenden.

Er wagt's, – er thut den kühnen Schritt,

Und sieh', er zittert vor dem Vivat der Soldaten.

Jetzt ist es Zeit zum Kampf! Das scheue Herz

Des Feind's ist uns des Sieges sich'rer Bürge.

Er fürchtet seinen Sturz, nun muß er stürzen,

Und Alles ist schon vorbereitet. – –[307]

RANZAU.

Wie?

KÖLLER.

Ein Bund geschlossen ....


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 302-308.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon