Sechste Scene.

[497] Ein Officier mit Wache. Struensee.


OFFICIER zur Wache.

Entfesselt den Gefang'nen.

STRUENSEE.

Bin ich frei?

OFFICIER ein schwarz versiegeltes Blatt hervorziehend.

Welch eine Freiheit, Unglücksel'ger, bring' ich![497]

STRUENSEE.

Die herrlichste, die alle Fessel löst.


Das Siegel betrachtend.


Es ist mein Todesurtheil – nicht? – Es ist

Bestätigt, – o ich bitt' euch, lest.

OFFICIER für sich.

Weh mir.


Er erbricht es und liest heftig bewegt.


»Es wird für Recht erkannt, daß der Graf Johann Friedrich Struensee, sich selbst zur wohlverdienten Strafe, und andern Gleichgesinnten zum Beispiel und Abscheu, Ehre, Leib und Gut verbrochen habe, seiner gräflichen und aller andern ihm verliehenen Würden entsetzt, und sein gräfliches Wappen von Henkershand zerbrochen werden solle, sodann –«


Verschont mich, ich ertrag' es nicht – –


Das Blatt entsinkt ihm.


STRUENSEE ergreift es, liest es ruhig zu Ende, dann.

Die Commissarien des Gerichts! und hier

Des Königs Name. Nicht dein heil'ger Wille

Begehrt mein Haupt. Armer betrog'ner König,

Du bist verrathen und verführt, mußt selbst

Von deiner Seite deinen treuen Engel

Verbannen! Ohne Gattin, ohne Freund,

Verlassen, einsam sollst du sein, bis einst

Auch dir ein Rettungstag erscheint, uns Allen

Ein Rächer wird ersteh'n!

OFFICIER.

Herr Graf, ich bitt' euch,[498]

Wenn euch noch etwas zu verfügen bleibt,

So zögert nicht. Die Nacht ist bald zu Ende.

Mit Tagesanbruch werdet ihr bereit sein,

Den letzten Weg zu geh'n.

STRUENSEE.

Mir sagt's mein Herz,

Ich scheide nicht ganz unbeweint von hinnen.

So möcht' ich wohl noch einen Gruß des Friedens

Am Rand' der Gruft den Theuern allen senden,

Die um mich weinen werden auf der Erde;

Wenn ihr den Wunsch mir nicht versagt, wollt ihr

Die Briefe dann bestell'n?

OFFICIER.

Sie werden mir

Ein heiliges Vermächtniß sein.

STRUENSEE.

Ich glaub' es –

Und dies Vertrauen ist mein einz'ger Dank.

Ihr seid ein edler Mann, und freudig legt

Ein Sterbender in eure treue Hand,

Was ihm noch übrig bleibt von allen Gütern,

Die er besaß, – sein letztes Wort. Ich gehe,

Und zög're nicht, und habe bald geendet.


Ab.


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 497-499.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon