XI. Von der Bischofferödischen Höle, die neue Kelle genannt.

[80] Eine gute Teutsche Meile von dieser Käyserlichen Freien und des Heiligen Römischen Reichs Stadt Nordhausen lieget gegen den untern Vor-Hartz, unweit von der nunmehro zur Königlichen Preußischen Graffschafft Clettenberg gehörigen Stadt Ellrich ein Land-Guth, so alhier denen Michaelischen und Wildischen Erben zuständig ist, und Bischofferode genennet wird; hierbei befindet sich nun im Felde ein lustiges Wäldlein, und in demselben eine wässerige Höle, welche die Einwohner da herum die neue Kelle heissen, zum Unterschied der alten Kelle, so nicht weit davon unter freiem Himmel gelegen, und ein Erdfall voller Wasser ist, da hingegen die neue Kelle unter einen mit Bäumen dicht bewachsenen Berge lieget. Der Eingang zu dieser unterirdischen Höle ist sehr weit offen, dahero auch so viel von dem Tages-Licht in dieselbe fället, daß die Curiosi, zu Beschauung derselben, keines brennenden Lichtes von nöthen haben. Von diesem Eingange muß man einen tieffen und stickeln Berg biß auff das Wasser hinunter klettern, welches ohne ziemliche Gefahr nicht abgehet, denn solte jemand sich nicht in Acht nehmen, und erstlich in das Lauffen kommen, so glaube ich, daß es wohl solte zu thun haben, daß er nicht in das Wasser hinein lieffe,[80] und nicht lebendig wieder heraus käme, wenn er nicht bei Zeiten niederfiele, und sich an die Erde anhielte, dieserwegen wird sich auch leichtlich keiner in die Höle wagen, wenn es starck geregnet hat, und davon der Berg glitscherig oder glatt worden ist, es müste denn derselbe ein verwegener Wage-Hals sein. Vor etlichen zwantzig Jahren hatten die Curiosi sich dieses zum Theil beschwerlichen, zum Theil gefährlichen Absteigens wegen nicht das Geringste zu befürchten, indem der damahlige Hoch-Fürstliche Hannöverische General-Lieutenant von Pudevvels viele breite Absätze und Tritte oder Stufen in den Berg hatte machen lassen, weilen derselbe zu Sommers-Zeit bei dieser Höle zu unterschiedenen mahlen, des lustigen Orts wegen, sich divertirte oder erlustigte, und zu dem Ende das Geträncke in dem Wasser der Hölen abkühlen ließ, nachgehends sind gedachte Staffeln und Absätze von denen Platz-Regen alle wieder eingerissen, und, solche zu repariren, keine Anstalt gemacht worden. Nachdem also jemand in die Höle hinunter gelanget ist, kömmet demselben eine Höle vor Augen, dessen Ober-Theil von der Natur mit einem starcken Stein-Felsen geschlossen und zusammen gewölbet worden. Die Länge derselben ist, so viel man abnehmen kan, über 18, und die Breite über 16 Land-Messer-Ruthen, solcher Gattung, da eine jede 16 Werck-Schuh hat. Vor sich aber siehet man in derselben ein Wasser, welches sich auff dem gantzen Boden der Höle ausbreitet, dasselbe ist helle, stille, und sehr kalt, nimmet weder ab noch zu, und sind keine lebendige Thiere darinnen befindlich, darneben ist es so tief, daß solches noch niemand hat ergründen können. Mitten durch die Höle der Länge nach über dem Wasser sind Felsen, welche wie eine Mauer aussehen, und das Wasser von einander theilen. Wenn ein Stein über solche Felsen hingeworffen wird, höret man denselben in das andere jenseit derer jetzt gedachten Felsen vorhandene Wasser mit einem starcken Klange fallen, sehen kan man aber dasselbe nicht, weilen die vorgemeldeten Felsen solches verhindern, verlanget aber eine sehr curieuse Person dasselbe in Augen-Schein zu nehmen, so muß er auff einem vorhero angeschafften Kahn über das erste Wasser fahren, und auff den Felsen steigen, von welchen[81] derselbe das andere in diesem dunckeln Theil der Höle vorhandene Wasser bei einer angezündeten Fackel sehen kan. Sonst ist auch diese Höle, ihrer grausamen Tiefe wegen, Verwunderns werth, denn wenn jemand oben auff dem Berge bei dem Eingange sich befindet, und von dar den grösten unten in der Höle vor dem Wasser stehenden Menschen anschauet, so wird ihm derselbe nicht als ein langer Mensch, sondern als der kleineste Zwerg oder ein ander Ding vorkommen. Nechst diesem ist auch von dieser Höle merckwürdig: das vormahls im Pabstthum jährlich eine solenne Procession angestellet worden, weilen man geglaubet, es müsse in derselben jährlich ein Mensch umkommen, wenn ihr nicht auff solche Weise ein Genügen geschehe; Es ist aber solche vermeinte Versühnung folgender massen geschehen: Auff dem Berge gegen der Höle oder Kelle über ist eine Capelle S. Johanni geheiliget, in diese ist ein papistischer Priester aus Ellrich alle Jahr zu gewisser Zeit, in Begleitung seiner Pfarr-Kinder und andern Benachbarten der Höle, in voller Procession mit vorher getragenem Creutz, Fahnen und Bildern derer Heiligen gegangen, so bald nun daselbst der heilige Johannes, papistischem Gebrauch nach, genugsam verehret worden, hat derselbe mit eben der Procession sich fort nach der Höle gemachet, und in dieselbe ein Creutz hinab gelassen, auch wieder heraus gezogen. Als nun solches ebenfalls geschehen, hat er dem umstehenden Volcke diese Reime zugeruffen:


Kommt und kucket in die Kelle,

So kommt ihr nicht in die Hölle.


wie solches in des Eckstormii an Herr D. Brendeln geschriebenen und albereit von mir angeführten Epistel zu ersehen ist.

Quelle:
Behrens, Georg Henning: Hercynia Curiosa oder Curiöser Hartz=Wald [...], Nordhausen 1899 [Nach der Ausgabe Nordhausen 1703], S. 80-82.
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