Zweiter Auftritt.

[124] Vorige, Gustchen durch die Mitte.


GUSTCHEN eilig. Ach Herr Doctor, Herr Doctor!

LANGENBERG. Was gibt es denn?

GUSTCHEN. Aufstand, Empörung, sie bauen Barricaden!

CONSTANZE erschrocken. Barricaden?!

GUSTCHEN. Alles rennt und läuft! Die Bürgerwehr kommt zusammen, es wird Generalmarsch geschlagen, Sie können es hier hinten nach dem Garten heraus nicht hören.

LANGENBERG. Generalmarsch! Dann muß ich fort zu meiner Compagnie![124]

CONSTANZE ängstlich. Mein Gott und ich bleibe allein in dieser Angst! Wird es denn niemals ruhig werden? Wenn doch mein Bruder zurück wäre von seiner Reise!

LANGENBERG nimmt seinen Hut, eilig und leise. Sie sehen wie nöthig Ihnen ein männlicher Schutz ist in dieser aufgeregten Zeit – geben Sie nach! Fernes Trommeln.

GUSTCHEN am Fenster. Herr Doctor, hören Sie, da trommelt es wieder.

LANGENBERG. Ja ich gehe schon! Verdammte Zeit, wo man keinen Augenblick seiner selbst Herr ist. Schlafen Sie wohl, wenn ich kann komme ich noch einen Augenblick vor und bringe Ihnen Nachricht Eilig ab.

GUSTCHEN. Das nimmt auch gar kein Ende, das ewige Lärmen. Die Woche drei, vier Mal Generalmarsch ist das wenigste. Man gewöhnt sich am Ende daran.

CONSTANZE. Was soll noch daraus werden!? Ich habe für die Freiheit geschwärmt, habe sie mir so schön gedacht – und jetzt, wo alle Welt von Freiheit spricht, kommt man aus Angst und Schrecken nicht heraus.

GUSTCHEN. Sie müssen auch nicht zu furchtsam sein, Fräulein, es ist ja meist nur blinder Lärm. Ein Haufen muthwilliger Buben bringt die ganze Stadt auf die Beine!

CONSTANZE. Oft ist es nur Muthwillen, aber es war auch schon Ernst, es ist schon Blut geflossen und mir schaudert vor Blut. Daß auch meinen Bruder gerade jetzt Geschäfte nach London riefen, wäre er hier, ich zöge mit ihm fort, weit weg von hier.

GUSTCHEN lachend. Wo wollten Sie denn hin? Es gibt ja jetzt in ganz Europa kein ruhiges Fleckchen. Doch da Sie von Ihrem Herrn Bruder sprechen, da ist ein Brief von ihm, den mir der Thürsteher gegeben hat. Gibt den Brief, nimmt dann ein Licht und geht nach links.

CONSTANZE den Brief besehend. Nicht mit der Post? Ach nein, durch Einschluß Zu Gustchen. Wo willst du denn hin?

GUSTCHEN. In Ihres Herrn Bruders Zimmer, ein wenig auf die Straße sehen was es denn eigentlich gibt.[125]

Hier hinten heraus ist man ja abgeschnitten von aller Welt und sieht und hört nichts.

CONSTANZE. So laß das Licht hier; gibt es wirklich Aufstand, so werfen sie die Fenster ein, wenn sie Licht sehen.

GUSTCHEN setzt das Licht weg und geht links ab.

CONSTANZE allein, hat den Brief geöffnet und überfliegt ihn flüchtig. Erst in vier Wochen kehrt er zurück? das ist ja eine Ewigkeit. Da werde ich noch manchen harten Strauß mit meinem Herrn Vormund haben! Ja ja Herr Vormund, Sie sind ein kluger Mann, aber ich bin denn doch auch so klug um zu wissen daß es Ihnen bei Ihrer Werbung um mich hauptsächlich um mein Vermögen zu thun ist. Mein Persönchen wäre Ihnen eine ganz angenehme Zugabe – ich glaube wohl, allein ich will doch dieses Persönchen ein wenig besser im Preise halten, als daß ich es für eine bloße Zugabe weggäbe. Horch, was ist das? Flüstert es da nicht im Garten? Geht unbefangen nach dem Fenster, öffnet es und fährt mit einem lauten Schrei bis nach dem Sopha zurück, wobei sie den Brief auf das Nähtischchen legt.


Quelle:
Roderich Benedix: Haustheater. Leipzig 21865, S. 124-126.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Lügnerin
Die Lügnerin