Neunter Auftritt

[96] Theodora kömmt langsam herein, kniet hin, und hält ein Tuch vor die Augen. Lisette. Faust.


FAUST. Was bedeutet dies? was will meine Tochter? Pause. Rede Mädchen, was weinst Du?[96]

THEODORA. Erbarmen, mein Vater, Gnade, Vergebung!

FAUST. Theodora, was fehlt Dir? Rede geschwind. Das Warten auf etwas Böses ist ein zweischneidiges Schwerdt, das alle Gebeine durchdringt.

THEODORA. Ich bin ein armes geschwächtes und verlaßnes Mädchen.

FAUST. Geschwächt, und verlassen? –

LISETTE. Ach Gott, ja, ihr Geliebter hat sie schändlich verlassen.

FAUST. Ihr Geliebter? Bist Du wahnsinnig?

THEODORA. Ach, mein Vater, ich bin fürchterlich gemißhandelt worden, und verdiene Barmherzigkeit. Ein listiger Verführer hat sich in mein Herz eingeschlichen, hat mich in einen Abgrund von Schande gestürzt, und mich dann schrecklich verstoßen.

FAUST. Theodora! Theodora! Auch Du? – O nein, das ist eine teuflische Lüge! – Meine sittsame, unschuldige Theodora kann kein ehrloses Geschöpf seyn.

THEODORA. O weh mir, ich bin es! – Erbarmen mein Vater! Ich muß alles sagen; es will mir das Herz brechen! Ich bin entehrt, ich bin Mutter!

FAUST. Allmächtiger! Du hast Deine Pfeile[97] auf mich gerichtet, und deinen Bogen fürchterlich gegen mich gespannt. Mädchen, wiederrufe, zerreiße mein wundes Herz nicht ganz!

THEODORA zieht einen Dolch hervor, und giebt ihm denselben. Ich flehe um den Tod, ich bin müde in dieser Schmach zu leben, ich bin gesättigt von Schande und Gram.

FAUST. Muß ich Dir glauben, Unglückliche? Muß ich das Mährchen aus der Hölle für wahr halten? – O so gebe der Ewige mir Kraft, daß es nicht blutig, nicht schrecklich ende! Es erheben sich entsetzliche Gedanken in meiner Seele. Unglückliche, wer ist Dein Verführer?

THEODORA. Ich kann es nicht aussprechen; ich kann den Namen des heuchlerischen Bösewichts nicht nennen!

FAUST. Rede Du, Lisette, ich will alles wissen!

LISETTE weinend. Haben Sie doch Barmherzigkeit mit ihr. Er hat es schrecklich mit ihr gemacht. Erst hat er ihr die Ehe versprochen, und sie verführt; hernach als sie Mutter war, hat er sie als eine Ehrlose von sich gestoßen, und ihr geheißen, es ihrem Vater zu klagen.

FAUST. Hölle, und Teufel, wer ist der Bösewicht? Rede, oder Du bist des Todes![98]

LISETTE. Es ist Moritz der Sohn des Rochus. Theodora stürzt mit einem Schrei auf das Angesicht, Faust sinkt in einen Stuhl zurück. Ach das Gott erbarm; sie sind beide todt. Was soll ich anfangen? Richtet Theodora auf, welche die Hände gegen ihren Vater ausstreckt.

FAUST sich besinnend. Ich bin wach, ich lebe; ja, es ist wahr! Da liegt sie, die Verworfene! Steht auf. Kommt herbei, ihr Väter und Mütter, kommt herbei ihr Söhne und Töchter, und vernehmt die Schandthat! Kommt nicht herbei, lernt keine Greuel der Hölle kennen! Die Natur ist aus dem Gleise getreten, die Kinder sind Dolche in der Hand eines Teufels geworden, um ihren Vater – zu tödten? – Nein, um ihn mit tausend Stichen bis ans Ende des Lebens zu martern, zu martern, zu foltern, bissenweise sein Fleisch zu essen. – Ich dürste nach Blut! – Fort von hier, Sünderinn, daß nicht Kindermord das erste auf meiner Schuldrechnung werde! Fort! Hebt den Dolch gegen sie auf. Lisette reißt Theodora mit sich fort.

THEODORA. O weh mir, weh mir! Ab mit Lisette.[99]


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 96-100.
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