Vierter Auftritt.

[48] Schlicht. Nünecke. Frau Nünecke, einen Korb mit Eiern, Butter, einer Flasche Getreidekümmel, einem Schinken und einer Kiste Zigarren in der Hand.


SCHLICHT. Bald hätte ich mich alteriert. Aber man muß derartige Beleidigungen von seinem Bewußtsein wie den Regen von seinem Wachstuchmantel abgleiten lassen. Was kommen denn da für neue Figuren?

NÜNECKE Augusten nachschreiend, sehr rüde. Na, das is Ihr Glück, daß Sie nicht von Rixdorf sind, Sie ließ ich stante pede arretieren. Den Schulzen von Rixdorf umrennen, so was is noch nich dajewesen. Wenn Sie ooch noch so die Lippen ziehen, was ich mir davor koofe! Er gewahrt Schlicht und sieht ihn einige Zeit an. Sind Sies?

SCHLICHT. Wer?

NÜNECKE zu seiner Frau. Ist der aber dämlich, der weiß nicht mal, wer er ist.

FRAU NÜNECKE. Freilich ist er's. Wissen Sie, Herr Justizrat, die Maurerstochter, die Brand Agnes, die bei Quisenow gedient hat und geschnipft haben soll und jetzt Nummer Sicher sitzt, das is meine Schwestertochter, Herr Justizrat.

NÜNECKE. Ja, wir haben die Ehre.

FRAU NÜNECKE. Und weil Sie nu der Verteidiger sind, so sind wir so frei, ich und mein Mann –

NÜNECKE. Halt'n Mund! Der Schulze von Rixdorf wird überall mit Hochachtung empfangen. Sie werden mich wohl kennen.

SCHLICHT. Ich habe nicht die Ehre.

NÜNECKE. Was ich mir davor koofe!

SCHLICHT. Sie sind Schulze, oder schreiben Sie sich Schulze?

NÜNECKE sieht ihn an. Ich schreibe mir gar nich. Wozu ist denn der Schulzenstempel? Ich bin Schulze und ein Mann, der was vom Gesetz versteht, kenne ooch den ganzen Schwindel und nu bin ich heut ringekommen, um mir mit Ihnen 'n bißken zu besprechen, wie wir mein Geschwisterkind, die Agnes, aus der Patsche bringen könnten.

SCHLICHT. Das wollen Sie mit mir besprechen?

NÜNECKE. Na ja, und wenn Sie 'n geriebener Kerl sind,[49] wie ich, dann werden wir beide schon was ausdüfteln daß man dem Gerichtshof ein X für ein U macht. Mein Gerichtsschreiber in Rixdorf, ich sage Ihnen, des is ooch 'n Freudig lachend. Hauptspitzbube.

SCHLICHT. Herr Nünecke!

NÜNECKE. Ach, »Herr« – wat ick mir davor koofe. Ich kenne den Rummel. Ich weiß als Schultze, wodrauf es ankommt – Schmieren muß man, wenn man gut fahren will drum haben wir uns auch ordentlich vorgesehen. Aus dem Korbe die Schnapsflasche holend. Hier, ein Püllecken Getreidekümmel, echter Iilka Nr. 1. Die Flasche schmunzelnd betrachtend. Der Troppen geht runter, sag ich Ihnen, da brauchen Sie keinen Zucker zu. Er trinkt einen gehörigen Schluck und stellt die Flasche auf den Tisch. Die reine Sahne, wie sie voin der Kuh kommt –

SCHLICHT. Nun habe ich bald genug –

NÜNECKE. Da wären Sie doch der erste, der mit so wenig genug hätte. Nee, wenn wir Bauersleute mal anfangen, denn hören wir nicht so balde uf. Jetzt werden Ihnen gleich die Augen übergehen. Er nimmt den Schinken aus dem Korbe. Was? Wie? Wat sagen Sie zu det Gevatterhäppken. Er schnalzt mit der Zunge. Da möcht ich mir bei Ihnen zu Gast laden! Schlicht auf die Schulter klopfend. Das war aber auch ein Schweineken, sage ich Ihnen – propper. Und wenn wir Ihnen noch ein paar Pfund Brot zugeben, so denke ich, daß Sie vor vier Wochen Abendbrot ausgesorgt haben. Auf das Brot klopfend. Allens Teig, kein Krinolin.

SCHLICHT. Lange genug hab' ich zugehört, wozu soll dies alles?

NÜNECKE zu seiner Frau. Nu sieh dir bloß den Menschen an, was der vernagelt ist. Laut. Und damit Sie sehen, daß wir Dorfleute ooch wissen, was bei euch Städter am besten flutscht, Er greift in die Hosentasche und holt eine Hand voll Taler vor. so. – Das Geld verächtlich auf den Tisch legend. Was ich mir davor koofe.

SCHLICHT zornig. So – so! Und was soll ich für das alles tun?

NÜNECKE vertraulich. Die Agnes muß raus – sie ist angeklagt, aber es fehlen ja sämtliche Ingredienzien.

SCHLICHT verbessernd. Inzidentien meinen Sie –[50]

NÜNECKE. Is eene Sauce. Was ich mir davor koofe!

SCHLICHT. Aber sagen Sie mir nur, was Sie mit all dem Auf die Geschenke weisend. wollen – sonst bin ich genötigt –

NÜNECKE. Verstehen Sie noch nicht? Laut, beiseite. Is das en oller Dämelkopp. Zu Schlicht. Da wo es nötig is, 'n bißken was druflegen, 'n bißken Durchstecherei – dem Gerichtshof was in die Hand drücken, so wie ich's bei Ihnen hier mache. Er zeigt auf die Geschenke. Wenn man die Sache richtig anpackt, geht allens, als Schulze muß ich das wissen. Ich habe ooch schon manchen geholfen, wenn er sich 'n bißken zu helfen wußte.

SCHLICHT. Jetzt hab' ich es satt. Ist das ein infamer Schlingel! Will mich hier durch Bestechung verleiten; mir nichts, dir nichts –

NÜNECKE. Was? Dir nichts? Auf die Geschenke deutend. Das nennen Sie: Dir nichts?

SCHLICHT. Unerhörte Frechheit! Weiß er, daß ich Luft habe, ihn die Treppe hinabwerfen zu lassen?

NÜNECKE sieht zuerst Schlicht, dann seine Frau sprachlos an. Hast du's gehört? Diese Sprache zu einem Ortsvorsteher. Ich lasse ihn ins Loch werfen.

FRAU NÜNECKE. Aber Mann, sei doch vernünftig!

NÜNECKE. Nimm die Sachen zusammen und sieh alles nach, ob nischt wegjekommen ist. Er nimmt das Geld, dann die Schnapsflasche. Wissen Sie was? Na denn nich, lieber Mann! Er trinkt die Flasche fast leer.

FRAU NÜNECKE will ihn vom Trinken abhalten. Aber Nünecke – du dudelst dir richtig noch eenen an!

NÜNECKE halb betrunken. Halt 'n Mund! Er trinkt. Und Sie wollen der Agnes ihre Sache führen? Sie haben ja gar keine Tiktak – Taktik – haben Sie nich –

FRAU NÜNECKE. Aber Nünecke –

NÜNECKE schleudert sie hinweg. Halt 'n Mund! Sie wollen mir sagen – das Schmieren wäre heut nicht mehr erforderlich – Sie oller Krauskopp?

FRAU NÜNECKE. Aber Mann!

NÜNECKE. Halt 'n Mund! Ich werde die Agnes frei machen, ich weiß, wie es gemacht wird. Komm! – Aber halt! – Nur sich nicht lumpen lassen. Wir waren eine Viertelstunde[51] hier bei Ihnen – Sie sind Instizrat – Sie haben mit mir gesprochen und mir einen Rat erteilt – fortzugehen – das nennt man einen Konsul – Sultan – Konsultation – hier! Er zieht Geld aus der Tasche. Zwei Personen, zehn Silbergroschen die Viertelstunde ist die Taxe, hier haben Sie 'n halben Taler! Er wirft das Geld hin. Wat ick mir davor koofe! Er geht mit seiner Frau, Schlicht stolz musternd, ab.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 48-52.
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