XIV

[299] Wertheim schwieg, und der Graf Robert sagte: Sie zweifeln wohl keinen Augenblick daran, daß ich alles aufbieten werde, was in meinen Kräften steht, um Ihre Pläne zu befördern, aber ich glaube, lieber Wertheim, Sie werden einige Tage ruhen müssen, ehe Sie daran denken können, weiter zu reisen, und dieß erfüllt mich mit Sorgen, denn wenn der Obrist wirklich geblieben ist, so muß man Verfolgung befürchten, und wie leicht können Sie hier entdeckt werden.

Im Grunde, sagte Wertheim finster, liegt mir wenig am Leben, und mein Freund Lehndorf ist gesund. Schaffen[299] Sie ihm also die Mittel fortzukommen, damit mir wenigstens der Trost bleibt, wenn ich untergehen muß, daß er lebt, um vielleicht in der Zukunft an der Rache Theil zu nehmen und den Feind bestrafen zu helfen, der uns, nachdem er unser Vaterland in den Staub getreten, unsere Ehre gekränkt hat, durch seine Satelliten unsere Bräute und Schwestern rauben und, so wie die öffentliche Ehre verletzt ist, auch die Familienehre mit Hohnlachen zu Grunde richten läßt.

Der Baron Lehndorf erklärte sich bestimmt, daß er den Freund nicht verlassen würde, und der Graf bat den Verwundeten, es zu erlauben, daß er seinem Oheim die Geschichte seines Unglücks mittheile, da ja doch nur durch ihn in seinem Hause kräftiger Beistand zu erlangen sei. Nur schwer ließ sich Wertheim überreden, seine Einwilligung zu dieser Mittheilung zu gewähren, denn sein von Natur heftiges und durch das öffentliche sowohl, als sein eignes Unglück erbitterte Gemüth war schwer von einmal empfangenen Eindrücken zu heilen, und was auch der Graf Robert sagen mochte, er schwieg düster dazu, und verlor den Verdacht und Widerwillen gegen den Oheim seines Freundes nicht ganz. Endlich überstimmt und überredet, mußte er die verlangte Einwilligung geben, und Graf Robert begab[300] sich zu seinem Oheim, um das Beste seines düstern, ungestümen Freundes zu berathen.

Der Graf beklagte den jungen Mann und war um so mehr zur Hülfe bereit, da er dem Staate einen kräftigen Krieger zu erhalten wünschte. Doch entschied er dahin, daß jede Maßregel aufgeschoben werden müsse, bis der Arzt zurück sei, um seine Meinung zu hören, wie bald der Verwundete sich neuen Anstrengungen unterwerfen könne. Es ward also beschlossen, um jede Neugierde der Bedienten zu unterdrücken, die bei etwaigen Nachforschungen nachtheilig werden könnte, zu verbreiten, der junge Mann sei durch einen Sturz mit dem Pferde verletzt worden und müsse sich hier im Hause etwas erholen, ehe er weiter nach Warschau reisen könne, wie seine Absicht sei; und um allen Schein des Geheimnisses zu vermeiden, sollten die beiden Fremden der Familie des Grafen vorgestellt werden und in diesem Kreise scheinbar gleichgültig leben, bis der Arzt die Abreise erlauben würde. Der Graf Robert hatte es Anfangs zu erwähnen vermieden, daß der Herr von Wertheim derselbe sei, durch dessen ungestüme Hitze sein Oheim schon ein Mal war beleidigt worden. Er wollte erst die Unterstützung desselben für den jungen Mann in Anspruch nehmen und ihm dann dessen aus Vaterlandsliebe entstandenen Mißgriff bekennen. Im Eifer des Gesprächs aber vergaß er diesen[301] Vorsatz und hatte seinen Oheim verlassen, ohne ihm diesen Umstand zu vertrauen.

Zu seinem Freunde zurückgekehrt, fand er bei diesem den größten Widerwillen sich zu fügen, denn auf der einen Seite hielt ihn Scham und Verlegenheit zurück, sich einer Familie zu zeigen, bei der sein erstes Auftreten keinen vortheilhaften Eindruck konnte zurückgelassen haben, und dann war sein Mißtrauen gegen den Grafen, welches er freilich dem Verwandten desselben nicht zeigen durfte, keineswegs gehoben. Endlich mußte er einsehen, daß er, da sein böses Schicksal ihn zwang, gerade in diesem Hause Gastfreundschaft zu empfangen, wenigstens jetzt die Höflichkeit üben müßte, die sowohl die Sitte, als seine eigene Sicherheit forderte. Er ließ es also geschehen, daß der Graf Robert sowohl ihn, als seinen Freund Lehndorf mit Wäsche und Kleidern anständig versorgte, woran bei ihrer übereilten Flucht Keiner gedacht hatte, um dem Grafen und seiner Familie vorgestellt werden zu können. Als sie den Saal in dieser Absicht betraten, fiel es dem jungen Grafen ein, daß er es vergessen habe, seinen Oheim darauf vorzubereiten, daß er in der Person des Herrn von Wertheim keinen Unbekannten begrüßen würde, und er befürchtete unangenehme Folgen dieser Vergeßlichkeit.

Es war nicht zu verkennen, daß ein Schatten von Unmuth[302] über das Gesicht des Grafen flog, als sein Blick dem des ihm vorgestellten Verwundeten begegnete. Die leise Hoffnung, daß er ihn nicht wieder erkennen würde, verließ den jungen Mann, Verlegenheit und Scham färbten sein Gesicht mit dunkler Röthe, und drohten ihn aller Fassung zu berauben.

Der Graf hatte bald das in ihm aufsteigende Gefühl besiegt und sagte höflich, wenn auch mit einiger Kälte: Da ich das Vergnügen habe, Herr von Wertheim, Sie bei mir zu sehen, so muß ich glauben, daß Sie Ihre Ansichten über mich, die Sie bei unserm ersten Zusammentreffen so unverholen äußerten, geändert haben, und diese stillschweigende Erklärung ist mir im gegenwärtigen Augenblicke genügend, um jedes Mißverständniß zwischen uns aufzuheben. Der junge Mann wollte antworten, aber er strebte vergeblich danach, Worte zu finden, so daß der Graf, mit seiner Verlegenheit Mitleid fühlend, ihn, ohne weitere Antwort zu erwarten, mit seinem Freunde den Damen vorstellte.

Der Gräfin gegenüber, war der Zustand des jungen Mannes ebenfalls peinlich, denn die Erinnerung stieg in ihm auf, wie er dieselben Frauen damals im Saale getroffen und sie keines Grußes, kaum eines Blickes werth gehalten habe, als er im Schmerz über das öffentliche Unglück mit zu großer Rohheit den Grafen als Landesverräther behandelte.[303] Er konnte also nur mit Mühe auf die Theilnahme, die ihm die Gräfin über seinen Unfall bezeigte, einige höfliche Worte antworten und war froh, als sich der Obrist Thalheim, der sich ebenfalls in der Gesellschaft befand, seiner bemächtigte und ihn in ein Gespräch über die letzten Gefechte, über die beinah gänzliche Auflösung der preußischen Armee und über den Druck der Franzosen verwickelte.

Der Arzt war von seinen Krankenbesuchen zurückgekommen und man begab sich zur Tafel; aber die Stimmung war nicht so unbefangen, wie gewöhnlich. Die neuen Gäste nahmen nur mit Zurückhaltung an den Gesprächen Theil, und des Grafen Höflichkeit war förmlicher und kälter, als man es an ihm gewohnt war. St. Julien hatte sich mit unbefangener Heiterkeit der Gesellschaft angeschlossen, aber die beiden Freunde des jungen Grafen würden es wie einen Verrath an ihrer heiligen Sache betrachtet haben, wenn sie den Scherz eines Franzosen belächelt hätten, wenn auch ihr Herz nicht von so frischen Wunden geblutet hätte, wie dieß nach der Entführung der Schwester und Braut der Fall war. Es zog sich also bald nach aufgehobener Tafel Jedermann zurück, und der Graf erkundigte sich bei dem Arzte, ob er es für möglich halte, daß der junge Wertheim seine beabsichtigte Reise fortsetze.

Da der Arzt sah, daß der Graf im Geheimniß sei, so[304] gestand er offen, der junge Mann müsse wenigstens zwei Tage ruhen, wenn die Wunde sich nicht auf's Neue heftig entzünden solle, in welchem Falle der Kranke in Gefahr sei, den Arm zu verlieren. Der Graf richtete seinen Plan demgemäß ein und ließ seinen Vetter zu sich bitten. Es wurde nun beschlossen, daß der junge Gustav noch diesen Nachmittag mit einem leichten Jagdwagen und zwei guten Pferden aus dem Stalle des Grafen unter dem Vorwande abreisen solle, daß der Graf Robert diese leichte Equipage als ein Geschenk für seine Schwestern nach seinem Gute sende. Der junge Mensch sollte aber statt dorthin zwei Poststationen nach Warschau machen und dort in einer Schenke die Ankunft der Reisenden erwarten, denen er Wagen und Pferde zu ihrem Fortkommen zu überlassen habe. Er selbst solle denn ein Reitpferd einhandeln und damit zurückkehren. Die Reisenden sollten öffentlich auf dem Wege nach Warschau von Schloß Hohenthal abreisen und von der bezeichneten Station ab ihren Weg nach Berlin, oder wohin sie sonst wollten, richten, und man hoffte durch diese Einrichtung sowohl die Verfolger irre zu führen, als auch den Verdacht des Beistandes und der Mitwissenschaft von den Bewohnern von Hohenthal abzulenken. Der Graf Robert theilte seinen Freunden den entworfenen Plan mit, die, damit zufrieden, dankbar die Fürsorge des Freundes erkannten, nur hätten[305] sie gewünscht, sogleich abreisen zu können; die Verzögerung zweier Tage schien ihnen peinvoll. Der Graf Robert bat den jungen Gustav in Gegenwart seiner Gäste um die Gefälligkeit, diesen Auftrag zu übernehmen, weil es unmöglich sei, sich in einer so ernsthaften Sache jemandem zu vertrauen, auf dessen Verschwiegenheit man nicht mit Sicherheit rechnen könne. Der Jüngling bemerkte mit Dankbarkeit das Bestreben seines beschützenden Freundes, eine falsche Meinung seiner Gäste über ihn von ihm abzuwenden, und als er bereitwillig den Auftrag seines Freundes zu vollziehen versprach, überhäufte ihn dieser mit Danksagungen, in die der Verwundete sowohl, als der Baron Lehndorf herzlich einstimmten, und der Jüngling trat nach dem verabredeten Plan sogleich die Reise an.

Mit schmerzlichen Empfindungen hatte sich der junge Wertheim aus dem Gesellschaftssaale der Gräfin zurückgezogen. Er fühlte grollend die Kälte, mit welcher der Herr des Hauses ihn behandelte, und konnte sie doch innerlich nicht tadeln, denn mit Beschämung mußte er sich gestehen, daß sein früheres Betragen ihn nicht berechtigte, eine liebevolle Aufnahme zu fordern, und indem er gezwungen war, unter so drückenden Verhältnissen Hülfsleistungen in diesem Hause zu empfangen, die vielleicht sein Leben erretteten, betrachtete er St. Julien mit Unmuth und bemühte sich gewissermaßen,[306] einen Verdacht gegen den Grafen in seiner Seele fest zu halten, um sich nur nicht sein Unrecht in seiner ganzen Größe eingestehen zu müssen. Traurig blickte er also auf den zierlichen Wagen, auf die schönen muthigen Pferde nieder, mit denen eben der Jüngling Gustav abreiste, zum Abschiede noch freundlich hinauf grüßend, worauf ihm Graf Robert noch mit zärtlicher Besorgniß Warnungen zurief, die der junge Mensch lächelnd beantwortete, indem er aus dem zierlichen Kabriolet mit sicherer Hand die edeln Rosse lenkte und wie im Fluge den Hof verließ.

Trübe schlichen die Stunden vorüber, der Herbst war schon weit vorgerückt, feuchte Nebel senkten sich hernieder und die Natur bot dem bekümmerten Gemüthe keinen Trost, so daß nur gesellige Vereinigung Aufheiterung gewähren konnte. St. Julien kam, um die Freunde zu einer solchen Vereinigung einzuladen. Er machte dem Grafen Robert Vorwürfe, daß er den jungen Gustav hatte abreisen lassen. Wir werden uns außerdem bald genug trennen müssen, sagte er, Du hättest doch gewiß einen andern finden können, der Deine Aufträge zu erfüllen im Stande wäre. Auch die Damen sind böse, daß Du unsern lieben Kapellmeister entfernt hast, und es wird ohne ihn schlecht mit der Musik gehen, und Du, nimm es nicht übel, Du bedarfst ihn am meisten. Er kehrt ja in wenigen Tagen wieder, sagte der Graf lächelnd.[307]

Lieber Freund, erwiederte St. Julien ernsthaft, wenn man nur noch wenige Wochen zu leben hat, dann sind einige Tage viel. Du weißt, wir müssen uns bald trennen, und Gott weiß, wohin dann mich das Schicksal führt. Es scheinen sich neue Gewitter im Süden zusammen zu ziehen, und mir blutet das Herz, wenn ich denke, daß wir, die wir hier so glückliche Tage mit einander leben, uns nun trennen und vielleicht niemals wiedersehen, denn wer kann mit Bestimmtheit wissen, ob ich aus den Kämpfen, die sich zu entwickeln drohen, lebend wiederkehre.

Der Graf Robert drückte schweigend die Hand des jungen Mannes, indem er liebevoll in die dunkeln Augen blickte, die mit Zärtlichkeit auf ihn gerichtet waren, und der junge Wertheim sagte in der übereilten Hoffnung, daß sich vielleicht ein Krieger von Napoleons Sache abtrünnig machen ließe: Wenn Sie Ihre deutschen Freunde so lieben, wie Ihre Worte zeigen, warum verlassen Sie denn nicht die Sache des Weltunterdrückers und ersparen Sich einen Schmerz, den ich natürlich finde, und die späte Reue, zum Verderben der Welt mitgewirkt zu haben?

Beleidigt blickte St. Julien auf, doch die Flamme des Zornes verschwand, als sein Auge auf das bleiche Gesicht des Verwundeten sich richtete, und er erwiederte lächelnd: Es wäre unpassend, wenn ich in diesem Augenblicke Gewicht[308] auf den Ruhm legen wollte, der die französischen Waffen umgiebt, und der allein hinreichend wäre, Frankreichs Krieger an ihren großen Feldherrn zu fesseln; aber ich frage Sie, Herr von Wertheim, wenn ich so glücklich wäre, von Ihnen sehr geliebt zu werden, ob Sie in dieser Neigung, wie mächtig sie auch wäre, einen Grund finden könnten, Ihren König, Ihr Vaterland, Ihre Sache zu verlassen, wenn sich alle Braven um Ihre Fahnen sammeln? Auch denken meine deutschen Freunde zu gut von mir, fuhr er etwas empfindlich fort, als daß sie einen solchen Schritt je auch nur für möglich gehalten hätten.

Ein allgemeines Schweigen folgte auf diese Worte, die nicht dazu dienten die Gemüther einander zu nähern, und der Graf Robert erinnerte endlich, daß es Zeit sei, sich in den Saal zu begeben, wohin ihn alle drei Freunde etwas mißmüthig begleiteten. Die Haus genossen waren schon versammelt, und man nahm um so lieber zur Musik seine Zuflucht, da sich ein heiteres Gespräch diesen Abend nicht wollte durchführen lassen, weil Keiner recht mit sich und dem Andern zufrieden war.

Während des ersten Quartetts trat der Prediger ziemlich geräuschvoll in den Saal, und man sah es ihm an, daß er mit Ueberwindung den Schluß der Musik erwartete, weil er etwas auf dem Herzen hatte, das ihm wichtiger als alle[309] Musik der Welt schien, und sein Bestreben, sich dem Grafen zu nähern, war so auffallend, daß selbst Emilie während des Gesanges sich dadurch gestört fühlte und dem Ende zueilte, ohne wie sonst mit innerer Lust alle Kunst des Vortrages zu entfalten und ihr Gefühl in Tönen sich wiegen zu lassen.

Man hatte auch kaum geendigt, als die auffordernde Miene des Geistlichen den Grafen nöthigte aufzustehen und sich ihm zu nähern, worauf dieser ein scheinbar gleichgültiges Gespräch anknüpfte, indem er mit dem Grafen durch den Saal ging und dann, wie er glaubte, unbemerkt ihn hinweg nach einem entlegenen Zimmer führte. Als sie dieß erreicht hatten, ging der Prediger einige Mal auf und nieder, und der Graf brach endlich das Schweigen, indem er sagte: Sie haben vermuthlich etwas zu berichten, das nicht angenehmer Natur ist, denn sonst würden Sie, Herr Prediger, nicht so lange mit der Mittheilung zögern.

Wenigstens sonderbar ist es, erwiederte der Geistliche, und ich befürchte, Sie werden von mir glauben, daß ich mich in Ihre Familienangelegenheiten einzumischen suche, und doch konnte ich es, vermöge meines Amtes, nicht ablehnen, da ich ersucht wurde, meine Kräfte anzuwenden, um Frieden zu stiften und wo möglich zu vereinigen, was so lange schon unnatürlich entzweit ist.[310]

Wie verstehe ich das? fragte der Graf mit finstrer Stirn.

Ich will es zugeben, sagte der Geistliche mit so mildem Tone, wie er ihn nur von seiner scharfen Stimme erzwingen konnte, daß der Bruder Ihrer Frau Gemahlin Unrecht gegen seine Schwester geübt hat. Er gesteht dieß selbst ein mit herzlicher Reue, aber sollen deßhalb Geschwister einander ewig zürnen? Beten wir nicht täglich: Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben. Und soll dieß ein leeres Wort bleiben, bei dem unsere Herzen nichts empfinden?

Lassen wir das, Herr Prediger, sagte der Graf kurz und finster; ich bitte Sie, diese Seite nie mehr zu berühren.

Der Graf wollte nach diesen Worten zur Gesellschaft zurückkehren, der Prediger aber hielt ihn zurück, und indem er den Ton des Seelsorgers fallen ließ, sagte er im Tone des Geschäftsfreundes: Gönnen Sie mir noch einen Augenblick, ich habe meine Pflicht gethan, indem ich die Versöhnung der Geschwister versuchte, worauf ich nie gekommen wäre, wenn ich nicht den bestimmten Auftrag dazu hätte.

Und Wer, fragte der Graf, mischt sich in meine Familienangelegenheiten? Wer kann Ihnen einen solchen Auftrag gegeben haben?

Wer anders, erwiederte der Pfarrer lächelnd, als der, dem die Versöhnung am Meisten am Herzen liegt.

Wie, rief der Graf mit Erstaunen, der Baron Schlebach?[311]

Ihr Herr Schwager, ja, versetzte der Pfarrer mit schlauem Lächeln.

Niemals, erwiederte der Graf mit Heftigkeit, darf er auch nur die leiseste Annäherung erwarten; und ich kann die Hartnäckigkeit, mit der er darauf besteht, nicht achten. Ich bitte Sie, ihm dieß so deutlich zu machen, daß er es einsehen muß. Wählen Sie dazu Worte, welche Sie wollen, nur befreien Sie mich und seine arme Schwester von einer Zudringlichkeit, die für uns unerträglich ist.

Hören Sie mich, sagte ernsthaft der Geistliche, den die große Heftigkeit des Grafen in Verwunderung setzte. Es ist ganz unmöglich, daß Sie den Baron Schlebach nicht sprechen; Sie würden dadurch Auftritte veranlassen, die Ihnen, wie ich Sie kenne, im höchsten Grade widrig sein würden.

Wie kommen Sie mit diesem Menschen in Verbindung? sagte der Graf noch immer sehr entrüstet. Ohne mein Zuthun, erwiederte der Pfarrer. Der alte Lorenz brachte ihn heute zu mir, indem er zu mir mit seiner gewöhnlichen Heuchelei sagte, da ich von Gott dazu bestimmt sei, die Irrenden auf den rechten Weg zu leiten, so habe er dem Herrn Baron gerathen, sich an mich zu wenden, damit er den Frieden seiner Seele wieder gewänne und in Eintracht mit seiner Familie leben könne, denn ihm nage es das Herz ab,[312] wenn er sehen müsse, wie seinen verehrten Freund, den Herrn Baron, der Kummer darüber verzehre, daß sich diejenigen, die Gott ihm so nahe gestellt habe, so fern von ihm hielten. Der Baron sprach weniger von Gott zu mir, sondern sagte mir bloß, Herr Lorenz habe ihm versichert, daß ich der Freund Ihres Hauses sei, und da mein Amt es mir zur Pflicht mache, die Gemüther der Menschen zu versöhnen, so werde ich, wie er hoffe, gewiß auf das Bereitwilligste ihm eine Unterredung mit Ihnen auszuwirken suchen, die vielleicht eine Versöhnung zwischen lang getrennten Geschwistern herbeiführen könne, um so mehr, da er bereit sei, jedes Unrecht gegen seine Schwester einzugestehen und sie deßhalb um Verzeihung zu bitten. Dieß alles wurde sehr höflich gesagt, aber er fügte hinzu: Sagen Sie meinem Schwager, daß ich ihn durchaus sprechen muß, und wenn er eine Unterredung, die ich, wie Sie selbst sehen, mit Vorsicht einleite, nicht bewilligen will, so bin ich entschlossen, nach Schloß Hohenthal zu gehen, um ihn aufzusuchen, und er kann meinen Anblick nur dann vermeiden, wenn er den nächsten Verwandten seiner Gemahlin mit Gewalt von seiner Schwelle treiben läßt.

Was kann der Mensch von mir wollen? rief der Graf entrüstet, welch neues Unglück will er durch seine Gegenwart hervorrufen?[313]

Bewilligen Sie ihm die Unterredung, sagte der Pfarrer besänftigend. Ich habe ihn gebeten die Nacht bei mir zu bleiben, dann kann er morgen früh hieher kommen, und Sie sprechen ihn erst allein und bestimmen, ob er sich Ihrer Frau Gemahlin nähern soll.

Hieher nicht, rief der Graf noch immer sehr aufgeregt, hierher darf er nicht kommen, die Gräfin darf ihn nicht in ihrer Nähe ahnen. Der unglückliche Frevler, er kennt nicht einmal den Umfang seiner Schuld. Der Graf schwieg plötzlich, denn mitten in seiner Leidenschaftlichkeit bemerkte er den aufmerksam lauernden Blick des Predigers, der zu erwarten schien, daß im Drang verschiedener schmerzlichen Empfindungen der Graf jede Zurückhaltung aufgeben und ihm die Quelle der Leiden zeigen würde, die er oftmals in einer Familie wahrgenommen hatte, die von außen so glücklich schien.

Ein kurzes Schweigen war entstanden. Endlich sagte der Geistliche, ein wenig über die getäuschte Hoffnung verstimmt: So sprechen Sie ihn bei mir, wenn Sie ihn hier nicht sehen wollen, denn, glauben Sie mir, sprechen müssen Sie ihn durchaus, wenn nicht ärgerliche Auftritte entstehen sollen.

Nach einigem Nachdenken sagte der Graf mit ruhiger Fassung: Ich nehme dankbar Ihr Anerbieten an und bitte Sie die Sache so zu leiten, daß der Gräfin die Nähe ihres Bruders wo möglich verschwiegen bleibt. Auch ich hätte gern[314] ein Zusammentreffen vermieden, das nicht erfreulich sein kann; indeß auch solche Dinge gehören zu den Bürden des Lebens, die ein Mann muß ertragen können.

Der Prediger gelobte von seiner Seite Verschwiegenheit, doch bemerkte er gegen den Grafen, daß der Baron mit dem alten Lorenz gekommen sei, der um so weniger eine Zusammenkunft, die er eingeleitet habe, verschweigen würde, wenn er wüßte, daß man dieß wünsche. Der Graf gab ihm Recht, und Beide wunderten sich darüber, daß der Baron mit dem Alten in einer Vertraulichkeit lebe, die unziemlich genannt werden konnte, da ihn nur niedrige Gründe bestimmt haben konnten, sich einem Trunkenbolde vertraulich zu nähern, von dem er durch Erziehung und Bildung und Gründe aller Art entfernt gehalten werden sollte.

Der Graf kehrte jetzt mit dem Prediger scheinbar ruhig zu der Gesellschaft zurück und sagte, indem er dem ängstlichen Blicke der Gräfin begegnete, mit heiterem Lächeln: Der Herr Prediger hatte mir Mancherlei über die Gemeinde mitzutheilen; aber nicht wahr? setzte er hinzu, indem er ihm die Hand bot, wir werden gemeinschaftlich alle Uebel abwenden. Gewiß, antwortete der Pfarer lächelnd, das Schwerste haben Sie ja schon gethan.

Die Gräfin, die durch die lange Abwesenheit ihres Gemahls und des Predigers beunruhigt worden war, glaubte[315] nach diesem heiteren, gleichgültigen Gespräch, daß nichts Bedeutendes vorgefallen sein könnte, und wollte sich der Unterhaltung wieder hingeben, aber es war diesen Abend kein Leben in die Gesellschaft zu bringen. Der Graf war innerlich mit der Unterredung beschäftigt, die am folgenden Tage Statt finden sollte. Die Gäste des Grafen Robert waren, von Kummer und Mißtrauen gedrückt, zu keiner harmlosen Theilnahme an der Unterhaltung zu bewegen, so daß man zuletzt zu den Karten seine Zuflucht nahm, womit der Prediger besonders zufrieden war.

Da der Baron Lehndorf, sein Freund Wertheim und der Prediger die Parthie des Obristen Thalheim machten, so redete der Pfarrer den Verwundeten oftmals an und nöthigte ihn die verabredete kleine Fabel zu wiederholen, daß er nämlich mit dem Pferde gestürzt sei und sich den Arm beschädigt habe, welcher Unfall ihn genöthigt, das Vorwort seines Freundes zu benutzen, um die Gastfreundschaft hier in Anspruch zu nehmen, wo er zugleich so glücklich gewesen sei, den Beistand des Herrn Doktors für seinen Arm benutzen zu können. Und davon haben Sie mir nichts gesagt, sagte der Prediger, indem er einen scharfen Blick auf den Arzt richtete, der dem Spiele zusah. Der überraschte Freund wurde roth und sprang einen Schritt zurück, drückte dann die Augen zu und sagte, vor Verlegenheit blinzelnd: Es ist[316] eine unbedeutende Beschädigung, es war nicht der Mühe werth darüber zu sprechen.

Der Prediger erwiederte nichts weiter, richtete aber noch einige gleichgültige Fragen über das französische Militair an den Baron Lehndorf und seinen Freund, und spielte ruhig seine Parthie zu Ende. Nach dem Abendessen nahm er den Arzt am Arme und schlug ihm vor, noch eine Pfeife Tabak in seinem Zimmer zu rauchen, welches dieser nicht ablehnen konnte, und so trennte sich die Gesellschaft, weil ein Jeder sich danach sehnte, sich seinen Gedanken ungestört überlassen zu können.

Nachdem der Prediger im Zimmer des Arztes mit großer Gelassenheit seine Pfeife in Ordnung gebracht, gestopft und angezündet hatte, lud er seinen Freund ein, seinem Beispiel zu folgen, woran dieser noch nicht gedacht hatte, denn ihm war heute die Aussicht, daß der Geistliche noch lange könne bei ihm verweilen wollen, nicht angenehm, weil er sich gern losmachen und seine Pflicht erfüllen wollte; denn die Wunde des Herrn von Wertheim mußte noch verbunden werden, und er wollte den jungen Mann nur ungern noch länger die Ruhe der Nacht entbehren lassen.

Also, fing der Prediger das Gespräch an, den Rauch aus seiner Pfeife in die Höhe blasend, der Herr von Wertheim[317] ist mit dem Pferde gestürzt und dadurch ist er verwundet worden?

Unbedeutend, erwiederte der Arzt, er wird bald hergestellt sein und seine Reise fortsetzen können.

Und nach Warschau will er? fragte der Prediger weiter.

So höre ich, sagte sein ängstlich werdender Freund.

Lieber Doktor Lindbrecht, erwiederte hierauf der Geistliche lächelnd, Sie haben durchaus kein Talent zum Lügen. Das müssen Sie besser lernen, wenn Sie mich hintergehen wollen. Ich will Ihnen jetzt sagen, wie die Sache zusammenhängt. Ihr Kranker ist im Duell mit einem französischen Obristen verwundet worden, der noch übler weggekommen ist, denn an seinem Aufkommen wird gezweifelt, und der Divisions-General hat der Gemahlin des Obristen versprochen, den Mörder desselben auf's Nachdrücklichste zu verfolgen, deßwegen thun Sie gut, wenn Sie Ihrem Patienten rathen, seine Genesung nicht hier abzuwarten, und Sie müssen den Ruhm ihn herzustellen schon einem Andern überlassen.

Der Arzt betrachtete seinen Freund mit weit geöffneten Augen, blieb eine Zeit lang sprachlos vor Erstaunen und rief dann: Sie haben einen Dämon, der Sie lehrt in die Tiefe eines jeden Geheimnisses zu blicken, denn auf gewöhnlichen Wegen können Sie unmöglich Alles erfahren.

Sie sehen, ich habe meine Nachrichten, erwiederte der[318] Prediger selbstgefällig lächelnd, und Sie sehen auch, daß das zuweilen nicht so übel ist, denn man kann unbesonnenen Leuten dienen, wenn man wohl unterrichtet ist.

Noch stand der Arzt in Staunen verloren über die unbegreifliche Klugheit seines Freundes, als die Thüre geöffnet wurde und der Graf Robert eintrat, der mit einiger Verlegenheit den aufgeregten Arzt und den gelassen rauchenden Prediger betrachtete. Sie sehen nach, hob der Letztere schalkhaft lächelnd an, ob Sie unsern Freund, den Doktor, noch nicht allein finden, damit er die Wunden des Herrn von Wertheim endlich verbinde.

Nicht ich, rief der Arzt heftig vorspringend und die Hand auf die Brust legend, nicht ich habe den Verrath begangen. Er weiß unser Geheimniß, aber, welcher Dämon es ihm verrathen, ist mir unbekannt.

Sein Sie ruhig, sagte der Prediger ernsthaft, und gebehrden Sie sich nicht so wunderlich. Ich habe von Reisenden zufällig erfahren, daß ein französischer Obrist von einem verabschiedeten preußischen Offizier schwer verwundet worden ist.

Also lebt der Obrist, rief der Graf in freudiger Ueberraschung, jede Zurückhaltung aufgebend. Er lebte noch vorgestern, erwiederte der Geistliche. Die Aerzte sollen aber sein Aufkommen bezweifeln und der Divisions-General die heftigste[319] Verfolgung der Flüchtlinge beabsichtigen. Deßhalb rathe ich Ihnen, Ihre Freunde so bald als möglich fortzuschaffen und nicht eine Minute länger, als es nöthig ist, zu zaudern.

Der Graf dankte dem Prediger und eilte, seinem Oheime die Nachrichten, die er eben erhalten hatte, mitzutheilen, worauf Dübois gerufen wurde, der alsbald wieder die Zimmer des Grafen verließ, um Postpferde für den folgenden Morgen um fünf Uhr zu bestellen. Der Arzt hatte die Wunde des Kranken eben verbunden, als der Graf Robert zu diesem eintrat, ihm die Nothwendigkeit anzuzeigen, schon den andern Morgen zu reisen. Wertheim war mit dieser Anordnung zufrieden, denn er fühlte sich gedrückt unter dem Dache des Grafen. Der Arzt theilte ihm hierauf noch, ehe er sich zurückzog, die nöthigen Verhaltungsregeln für die Reise mit, versprach auch um vier Uhr die Wunde noch ein Mal zu verbinden und kehrte dann zum Prediger zurück, den er noch rauchend auf seinem Zimmer fand, und der nun auch mit dem übermüthigen Rathe von ihm schied, in der Zukunft das unnütze Bestreben ihm etwas zu verheimlichen aufzugeben.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 2, Breslau 1836, S. 299-320.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Evremont
Evremont (1 ); Ein Roman
Evremont; Ein Roman
Evremont

Buchempfehlung

Jean Paul

Vorschule der Ästhetik

Vorschule der Ästhetik

Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«

418 Seiten, 19.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon