Achtzehnte Scene

[82] Hier beginnt die Musik, welche die folgende Scene melodramisch begleitet, bis zum Fallen des Vorhangs. Rudolph wendet sich, auf's Heftigste erschüttert, nach dem Hintergrunde. In diesem Augenblicke tritt Gertrud ganz wie Else gekleidet ins Zimmer, sie trägt einen Büschel grüner Kräuter auf dem Kopfe, von denen Zweige unordentlich um sie herabhängen. Mit der einen Hand hält sie den Büschel gerade über der Stirne, so daß das Publikum ihr Gesicht nicht sieht. Ihr Kopf ist vorwärts gebeugt, als ginge sie in tiefen Gedanken, ihre andere Hand hängt schlaff herab.
[82]

RUDOLPH als er sie erblickt, taumelt entsetzt zurück, hält sich an dem Tische fest und stammelt leise. Weh mir, es sind ihrer Zweie!

ELSE starrt Gertrud entsetzt an, springt dann auf, eilt an Gertrud vorüber nach dem Weihbrunnen- Kessel an der Thüre und taucht die Hand ein, Gertrud ist indeß so weit vorgeschritten, daß sie außerhalb des einen Bogens in gerader Linie mit dem Strebebalken steht. – Else, hoch aufgerichtet, Gertrud mit dem Weihwasser besprengend. Im Namen des Dreieinigen Gottes, Verlorene! zeige Dich in Deiner wahren Gestalt!


Eine Flamme schlägt auf.


GERTRUD stößt einen lauten Schrei aus, das Bündel entfällt ihr, sie steht als Gertrud da, in dem Gewande des ersten Acts. Weh mir! Weh!

RUDOLPH entsetzt. Gertrud? Er breitet die Arme aus. Else!

ELSE stürzt an seine Brust.

GERTRUD ist todtenbleich, ihr Haar hängt wild um die Schultern. Verloren Alles! Weh! – Wehe! – Wehe! – Umsonst mein Heil, mein Lebensglück vergeudet. Euch sehe ich selig, mich verschlingt der Abgrund des Jammers! Rudolph, ich kann nicht leben ohne Dich. – Lügengeister, die ihr mich getäuscht, gebt mir den Tod – das ist Alles, was mir eure fürchterliche Macht gewähren kann – den Tod – den Tod! – Ein Knall erschüttert die Luft. – Sie stürzt zusammen mit dem Rufe. Wehe! wehe!


Der ganze Hintergrund des Hauses fällt ein und deckt mit seinen Trümmern Gertrud. Der Strebepfeiler hält den Vordertheil des Zimmers aufrecht. – Aus den Ruinen schwingt sich eine große Eule empor. – Auf dem Hügel im Hintergrunde steht.
[83]


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 82-84.
Lizenz:
Kategorien: