3. Das silberne Messerchen.

[3] Mündlich von Fleischwangen.


In der Gegend von Fleischwangen, wo die Burg des Ritters Hans von Ringgenburg stand und jezt nur noch ein Bauernhaus ist, geht die Sage vom »silbernen Messerchen.« In der Nähe dieses Hauses kam zu den Dienstboten, während sie auf dem Felde arbeiteten, vor etwa 80-90 Jahren noch ein ausnehmend schönes Fräulein in schwarzseidenem Kleide; ihr Angesicht strahlte und Locken wallten über ihre Schultern. Tagtäglich kam das schwarze Fräulein zweimal zu den Knechten, allemal zwischen Morgen[3] und Mittag, um 9 oder 10 Uhr, zwischen Mittag und Abend um 4 Uhr; brachte ein Krüglein köstlichen Weines und ein Laiblein schneeweißen Brodes. Fräulein brachte dazu ein gar hübsches silbernes Messerlein, sagte allemal: »gebt mir fein mein Messerlein wieder, sonst bin ich verloren!« So ging's lange fort und die Knechte gaben das Messerlein immer wieder her. Mal wandelte Einen von ihnen die Lust an, das köstliche Ding zu behalten. Wie gewöhnlich, brachte zu seiner Zeit schwarz Fräulein das Krüglein, das Laiblein, das Messerlein wieder. Einer war so roh und grob, und gab das leztere nicht mehr her. Fräulein bat unter Schluchzen und Thränen, ihr doch das Messerlein wieder einzuhändigen; aber Alles half nichts: der böse Knecht gab's nicht mehr heraus. Unter lautem herzzerreißendem Schreien und Klagen zerraufte sich schwarz Fräulein ihr schön Haar, zerriß ihre Kleider von Seiden und verschwand plötzlich, als ob sie die Erde verschlungen hätte. Seit jener Zeit kam das gute Fräulein nimmer. Die Knechte bekamen keinen Wein und kein Laiblein Brod mehr. Da, wo dieses geschehen, hört man noch oft ein Schluchzen und Weinen2.

2

Müllenhoff 281. 286. 576, wo ein Junge eine silberne Gabel vom Zwerg behält. Wolf, Beitr. II. 319. Rochholz A.S. I. 282. 195. 14, wo der Zwerg ein silbern Messerlein hervorzieht. Auch die Zwerge verschwinden und kommen seit dem Verluste des Messerchens nicht mehr.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 3-4.
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