77. Das Kautenweibchen.

[59] Schriftlich von Rotweil.


Im »Kautenwald« zwischen Rotweil, Villingen und Neckarburg geht ein Waldweiblein um, vom Walde »Kautenweiblein« zugenannt. Es ist sehr gefürchtet, so daß Buben und junge Mädchen gar nicht in den Wald mögen. Diesen ist Kautenweibchen nicht hold, auf sie hat's es besonders abgesehen. Oft, wenn solche Mädchen in den Wald kamen, um Holz oder Erdbeeren zu holen, trieb sie Kautenweibchen im Kreise herum, daß sie am Ende gar wohl nicht mehr wußten, wo sie daran waren. Nicht selten verloren sie den rechten Weg und verirrten so, daß sie um Alles sich des Orts nicht mehr erinnern konnten, wo sie auch standen. Kurz, sie kamen statt zum Walde hinaus, immer tiefer in ihn hinein. Holz auf dem Kopfe wurde unerträglich schwer und manchmal brachten Buben ihre Büscheln gar nicht mehr heim, so schwer hat's ihnen das »Kautenweible« gemacht. Aber auch alten Weibern und Männern spielte »Kautenweiblein« hie und da einen Schabernack. Schon viele irrten Tag und Nacht im Wald herum, von dem Waldgeist verführt, und fanden lediglich keinen Ausweg mehr. Dies soll nicht blos ein mal passirt sein. Sehen kann man »Kautenweibchen«[59] selten; hie und da haben's schon Leute gesehen, wie es vor ihnen hertanzte, ganz hautpudelnacket; hat dabei immer in die Hände geklatscht, gelacht und ein abscheulich garstig Liedlein gesungen, das die Leute nicht mal sagen mögen, sie schämen sich deß. Plötzlich war's wieder nimmer da und versteckte sich in einer Hecke. Alte Leute sagen noch viel davon, wie sie geneckt worden seien.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 59-60.
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