482. Weiße Maus die Seele.

[303] Mündlich.


Eine Magd im Oberland mußte »schrätteleweis« gehen. War sie auf dem Gang, so lag ihr Leib wie todt im Bett oder in ihres Bauers Stube am Boden. Die Seele aber kroch in Gestalt einer weißen Maus aus ihrem Munde. Die Mutter der Magd war eine »Schratt« und von dieser hatte das Mädle das »Schrattweisgehen« geerbt. Vor Anstrengung war aber diese Magd ganz krank, so daß ihr Herr dachte, sie müßte eine Schratt sein, und ihr darum abpaßte. Nachts um zwölf Uhr sah sie der Bauer in die Stube gehen, umfallen und eine weiße Maus zum Fenster hinaus dem Stalle zu gehen. Er eilte zum Stall und nahm schnell ein Brett weg, das als Steg über die Mistlache zum Stalle führte. Da konnte die Maus nicht in den Stall kommen. Aber da das Schrättele auf jeden Fall etwas drücken muß, drückte es die große Eiche, welche im Hof lag. Andern Tags war die Magd blau vom Drücken. Da nahm sie der Bauer unter vier Augen und sagte, was er gesehen. Das Mädle weinte und entschuldigte sich, daß sie dieses Uebel geerbt habe. Der Bauer sagte, er wolle ihr helfen, wenn es möglich sei, möge es kosten, was es wolle. Die Magd aber sagte: Da müßte ich ja euer schönstes Roß im Stall erdrücken. Der Bauer war barmherzig und erlaubte ihr das. Und von der Stunde an war die Magd erlöst257.

257

Vgl. Schönw. I. Thl. S. 220.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 303.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagen, Märchen, Volksaberglauben
Sagen, Märchen, Volksaberglauben