§ 1. Einleitung.

[5] Es hätte sich geziemt, schon dem ersten Bande dieser Sammlung eine Art Einleitung voranzustellen, um dem Leser Land und Leute, welche hier zur Besprechung kommen, näher zu bringen, richtiges Verständniß und sicheres Urtheil zu erleichtern. Diesem Mangel soll hier abgeholfen werden. Auch so, in die Mitte gestellt, wird das Wort sein Ziel nicht verfehlen. Doch kann hier Absicht oder Anspruch nicht gelten, eine ausführliche, eingehende Darstellung des Landes und seines Volkes zu liefern. Das würde die engen Gränzen weit überschreiten. Nur Umrisse darf die Zeichnung enthalten, nicht Schatten, nicht Licht.

Mit Land und Volk der Schwaben haben wir es zu thun, mit der Südwestecke Germaniens, wo Vater und Mutter der deutschen Ströme, Rhein und Donau, ihre Wiege finden und das deutsche Meer sein Bett sich schuf. Groß ist das Schwabenland, von den Vogesen zum Lech hin, vom untern Neckar bis tief in die Hochalpen, leider zerrissen. Im Westen gehorcht Elsaß französischem Machtgebote, die südlichen Gauen haben sich in blutigen Kämpfen Freiheit von Kaiser und Reich erstritten. Noch bewahrt zwar die alamannische Schweiz uralt deutsches Wesen als heiliges Erbe, dagegen links des Rheines[5] wird Wider stand gegen endliche Romanisirung von Tag zu Tag gefährlicher, erfolgloser.

Aber auch von diesem weiten Striche deutscher Erde handelt es sich nur um einen Theil, allerdings um ein gutes Stück, um ganz Oberschwaben, welches zwischen Iller und Donau auf dem Bodensee ruhend in Ulm die Spitze des Dreieckes bildet, dann um Niederschwaben, so weit es würtembergisch. Selten und nur wo es zulässig, wird in das südliche Baden, in das würtembergische Frankenland hinübergegriffen.

Etwas weiter einzugehen war gefordert, wo das Volk eingeführt wurde. Es mußten alle Völker besprochen werden, welche je auf schwäbischem Boden geweilt, um zu jenem zu gelangen, welches ihn heute noch inne hat.

Tacitus, der Römer, gestorben 117 unserer Zeitrechnung, hat uns in seiner berühmten Schrift über Deutschland, das er aus eigener Anschauung kannte, einen Schatz hinterlassen, wie ihn keines der Völker besitzt. Als er schrieb, hat er wohl nicht gedacht, daß seit fast zweitausend Jahren gerade diese Deutschen, über welche, nicht für welche er seine Erfahrungen niederlegte, ob des herrlichen Vermächtnisses ihn rühmen und preisen würden. Nicht das wollte er, sondern eine Strafpredigt sollten seine Worte sein für die entarteten Kinder der allmächtigen Roma, ein Mahnbrief, daß der Weg, den sie gehen, zum Untergange führe, ein Spiegel, darin sie schauen möchten, wie sie zu leben haben, auf daß jenes stolze Wort – ewige Roma – Wahrheit bleibe. Er fühlte es heraus, der alte Römer, daß von Norden her, von den Germanen die Gefahr drohe und daß diese nicht mit gewöhnlichen Mitteln abzuwenden sei, nur durch volle sittliche Umkehr.

Weniger wegen des Inhaltes als der Form, der edeln Redeweise, ihrer Kraft und kunstreichen Fügung halber gilt dem Professor[6] diese Schrift des ehrenwerthen Feindes der Germanen. Dagegen dem Deutschen selber wird nicht der römische Laut, sondern der kostbare Stoff zum Maßstabe des Werthes.

Leider haben wir selbst dieser Schrift eines Fremden nichts Aehnliches entgegenzusetzen, wir haben uns selbst vernachlässiget. Die beiden Grimm mußten erst die Bahn brechen, um das Versäumte wenn möglich einzuholen. Das Schwabenland hilft getreulich mit; hier geschieht mehr als anderswo. Im Elsaß wirkt Stöber ohne Ermüdung, in der alamannischen Schweiz ein Rochholz, für Baden haben Mone, Bader, Schnetzler Erfreuliches gethan, über Würtemberg ließ Meier seine werthvolle Sammlung erscheinen und schickt sich der ebenso eifrige wie kundige Keller an, einen Sagenschatz herauszugeben. Für bayerisches Schwaben ist so viel wie nichts geschehen. Ich selbst trage Bausteine zu.

Es ist etwas Großes, Ehrwürdiges, Gemüthvolles um das Leben des deutschen Volkes. Mag auch der eine, der andere mit Stolz, Mitleid oder Furcht daran vorübergehen, es ist noch immer der naturfrische, ungeschminkte, kernhafte Ausdruck jenes gewaltigen, unverdorbenen Volkes, welches von der Vorsehung berufen ward, die abgestandene Römerwelt aufs neue zu beleben. Wollen wir uns nur selbst achten und unsere unverwüstliche Eigenart in Ehren halten, wir haben noch Alles Zeug, um wieder nicht zu werden, sondern zu sein, was die Väter gewesen.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. V5-VII7.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sitten und Gebräuche
Sitten und Gebräuche