§ 5. Alamannen.

[13] Im dritten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung geriethen die Germanen in eine auffallende Bewegung. Die einzelnen Völker vereinigten sich in Bünde, um feindlichen Stammesgenossen erfolgreicher widerstehen, mehr noch, um mit Nachdruck römische Provinzen zu plündern, wo nicht zu erobern. Sie fühlten sich schon als Erben der alternden Roma und ihr Blick wendete sich unverwandt gen Süd und West, nach Gallien und Italien. Dabei gingen altberühmte Völkernamen unter und neue traten an deren Stelle.

Als der erste dieser Bünde werden die Alamannen genannt. Kaiser Karakalla will sie am Main besiegt haben; in Wahrheit hat er den Frieden erkauft. 213. Schon damals kündeten sie sich als zahlreiches, streitbares Volk an und in der That wurden[13] sie auch zur furchtbarsten, nie ruhenden Geisel der Römer. Die Fechtkunst ihrer Reiter setzte in Erstaunen. Denn Tenkterer, ausgezeichnete Reiter, nebst Usipiern und Tubanten, schon lange in den Gegenden um den Main bekannt, bildeten des Bundes Grundstock. Kaiser Severus Alexander ward nur durch gewaltsamen Tod verhindert, sie von Mainz aus für ihre verwegenen Einfälle und Räubereien zu züchtigen, 235, und sein Nachfolger Maximinus, selbst ein Barbar aus Thrakien, ging gar nicht nach Rom, sondern blieb in Germanien, um die wilden Alamannen mit aller Macht zu bekriegen. Das Glück stand ihm zur Seite. Doch ward er schon 238 ermordet, und die Alamannen warfen sich nun auf Gallien. Dieses unglückliche Land war fast immer das Ziel ihrer verheerenden Einbrüche. In ihrem Haß gegen Alles, was römisch war, ließen sie stets eine Wüste hinter sich. In wildester Lust zerstörten sie die blühendsten, volkreichsten Städte; sie galten ihnen gleich Gefängnissen. Kaum zurückgetrieben brachen sie wieder los. Jede Niederlage schien sie kräftiger zu machen.

Schon unter Gallienus (erm. 268) durchstreifte der Alamannenfürst Chrokus die gallischen Länder und wurde (wohl übertrieben) ein Heer von 300000 Alamannen bei Mailand auf italischem Boden geschlagen.

Nicht half es, daß die römischen Befestigungen bis über den Neckar vorgerückt wurden. Die Alamannen drangen unaufhaltsam vor. Wieder hatten sie Gallien verwüstet, da ward ihrer Probus (erm. 282) Herr. Wenn wahr, deckten 400000 alamannische Leichen römischen Boden. Die Germanen wurden über Neckar und Alb zurückgeworfen. Neun Fürsten baten um Frieden. Mit des Kaisers Tode standen sie aber schon wieder und blieben auch fortan im Süden. Von dem Einflusse des Mains in den Rhein bis zur Lahn und herauf zur Mündung[14] der Günz in Donau, vom Schwarzwalde bis an Jagst und Kocher dehnten sie sich aus. Der Rhein ist Gränze gegen die Römer in West und Süd. Dagegen mußten sie die oberen Gegenden am Main den von Osten vorrückenden Burgunden um diese Zeit überlassen; darum wurden sie nicht gute Nachbaren. Wegen der Gränzen und der Salzquellen bei Hall lagen beide Völker immer in Hader.

An die einzelnen Völker der Alamannen erinnern noch heutige Namen, wie der Linzgau an die Lentienser auf der Nordseite des Bodensees, so gute Reiter, daß, als sie von Constantius II. an diesem See geschlagen wurden, man viele der Gebliebenen auf ihren todten Rossen noch sitzend fand – der Breisgau an die Brisigaven, die Buohunna oder Buchonia, der Buchengau an die Bukinobanten.

Wenn die Römer in diesem spätern Zeitraume über die Germanen siegten, so geschah es theils durch Verrath, zumeist aber mit Hilfe anderer germanischer Stämme. Denn Zwietracht gehört von je zur Eigenart der Germanen. Nur so konnte Konstantius Chlorus die Alamannen bei Lingones oder Langres und bei Vindonissa oder Windisch im J. 301 schlagen und Julian in mörderischer Schlacht bei Argentoratum oder Straßburg, 357, worauf er bis Hall an der Gränze vordrang, Alles verwüstete, und die Huldigung von sechs Fürsten empfing, 359. Nach ihm errang noch Valentinian Vortheile, 365, aber Gratian war 378 der letzte Kaiser, welcher alamannischen Boden betrat.

Die Alamannen standen immer unter mehreren Fürsten oder Königen. Zu Julians Zeit herrschten Makrianus mit seinem Bruder Hariobaudus im Nassauischen, Suomarius im heutigen Starkenburg, Hortarius genüber von Worms und Speyer, Urius, Ursicinus und Vestralpus in Niederschwaben, Gundomadus und Vadomarius im Breisgau, dann Chnodomar und[15] sein Neffe Serapion in unbekannten Gauen. Ein zweiter Fürst des Namens Chrokus verhalf 306 Konstantin dem Großen zum kaiserlichen Purpur. Damit griff er in die Weltgeschichte ein; mittelbar ist ihm der Sieg des Christenthumes über das Heidenthum zu danken. Dieses hinderte aber den Kaiser nicht, später gefangene Alamannenfürsten den wilden Thieren vorwerfen zu lassen. Die Römer übten öfter solche unwürdige Rache. Unter Jovinus ward ein gefangener Fürst an den Galgen gehängt gleich einem Räuber.

Zu Beginn des fünften Jahrhunderts ward es den Burgunden am oberen Main zu enge; sie drängten stromabwärts zwischen Franken und Alamannen ein, bis Mainz hin, 412. Da mußten die Alamannen vom ganzen Maine weichen, für immer, denn als die Burgunden auch hier abzogen und jenseits der Vogesen am Rhone ein eigenes Königreich gründeten, nahmen Franken die verlassenen Wohnplätze ein. Den Verlust an Land im Norden glichen nun die Alamannen damit aus, daß sie sich westlich und südlich mehr ausbreiteten; sie entschädigten sich durch Eroberung des Striches zwischen Rhein und Vogesen, von ihnen Elsaß oder Fremdensitz genannt, und bemächtigten sich der Gaue zwischen Basel und Bregenz bis Graubünden in den Hochalpen hinauf.

Was sie damals an Land besaßen, das haben sie auch jetzt noch inne. Zwar wird Alamannien nicht mehr genannt, aber der berühmte Name Alamanne dient noch heute dem Franzosen und Spanier zur Bezeichnung des ganzen deutschen Volkes.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. XIII13-XVI16.
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