372. Oeffentliches Versehen in Konstanz.

[422] Noch in den 1780er Jahren schickte man, wenn Jemand erkrankte, sogleich nach dem Arzte zum Pfarrer (oft auch umgekehrt), damit er den Kranken öffentlich versehe, d.h. ihm die Beichte hören und die Communion erteilen wolle. Hiebei mußte des Messners Frau zuerst in mehreren Gassen ansagen, daß diser oder jener versehen werde, um dieser Handlung beiwohnen zu können. Bei diser Art von Prozession ging der Messner mit einer großen Laterne mit brennendem Lichte voran, eine ziemlich große Glocke in der Hand, womit er von Zeit zu Zeit schellte. Hinter ihm gingen zwei ältere Männer in schwarzen Mänteln, mit blechernen Laternen, in welchen ebenfalls Lichter brannten auf bemalten hölzernen Stäben. Auf sie folgte der Pfarrer, welcher mit dem Ciborium nach allen Seiten den Segen gab, und nach ihm das Volk, welches laut betete. Wer dem Zuge begegnete, kniete in den Straßen nieder und empfing den Segen des Geistlichen. Der Zug ging bis vor die Zimmerthüre des Kranken. Auf dem Rückwege zur Kirche betete das Volk ebenfalls wieder.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 422.
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