Vierter Auftritt.

[40] KRÖJER tritt wieder von links ein. Bitte! Er geht zum Fenster und schließt es. Inzwischen kommen der Bischof und die Pastoren. Kröjer schließt die Tür.

BLANK mecklenburger Dialekt. Sie sünd doch in dies Haus bekannt – können wir nich 'n bischen was zu essent kriegen?

DER BISCHOF. Wir machen eine komische Figur – ich weiß. Aber die Sache ist die: – wir waren schrecklich seekrank.

BREJ. Wir haben nichts bei uns behalten.

DER BISCHOF. Und als wir endlich ruhige See hatten und wieder für etwas Gekochtes und Gebratenes empfänglich waren –[40]

BREJ. – da kam das Wunder.

JENSEN. Ich hab' einen schauderhaften Hunger.

KRÖJER. Ich fürchte, um die Küche hat sich hier kein Mensch heut bekümmert; aber ich will mal nachsehen. Ab.

JENSEN. Ich habe förmlich kulinarische Sinnestäuschungen. Von dergleichen hab' ich schon gelesen; aber man liest ja so vieles, was man nicht glaubt. – Namentlich Schneehühner seh' ich!

FALK. Schneehühner!

JENSEN. Ich rieche sie sogar; gebratene Schneehühner!

BLANK. Wat? Sneehühner's?

MEHRERE. Schneehühner gibt's?

KRÖJER kommt zurück und sagt schon in der Tür. Ich muß bedauern ... ich war in Küche und Speisekammer; es ist nichts zu finden – und kein Mensch ist da.

BREJ. Keine Menschenseele?

FALK. Und ich habe so schauderhaften Hunger.

DER BISCHOF. Wir dürfen auch keine gar zu komische Rolle spielen, lieben Freunde. – Wir müssen uns ins Unvermeidliche schicken. Also, fangen wir an. Setzt Euch bitte! Er selbst setzt sich aufs Sofa; die andern auf Stühle. In aller Kürze denn und in aller Stille – wir wissen ja, dieses Haus beherbergt eine Kranke, – wollen wir zusammen beraten, wie wir uns hier zu verhalten haben. – Ich habe immer die Ansicht vertreten: die Kirche hat sich angesichts einer solchen Bewegung – in der Regel – neutral zu verhalten. Weder Zustimmung, noch Widerspruch – bis sich die Bewegung so weit verlaufen hat, daß man sie beurteilen kann. – Von ganzem Herzen also hätt' ich heut gewünscht, wir wären unseres Weges gefahren. Aber es wurde nichts aus dem Weiterfahren.

DIE PASTOREN murmeln unter sich. Es wurde nichts aus dem Weiterfahren ... nichts aus dem Weiterfahren ...!

DER BISCHOF. Alles wollte hierher, wo sich das[41] Wunder sozusagen niedergelassen haben sollte. Und ich mache ihnen auch keinen Vorwurf daraus. – Aber da wir dabei sind, und zwar auf demselben Schiff, so will man unsere Meinung hören. Wenn wir auf den Missionstag kommen, will man dort auch unsere Meinung hören. – Was ist nun aber unsere Meinung?

KRÖJER. Bitte um das Wort in aller Ergebenheit: entweder glauben wir an das Wunder und handeln dementsprechend; oder wir glauben nicht daran und handeln dementsprechend.

DER BISCHOF. Hm! – Es gibt ein Drittes, junger Freund!

DIE PASTOREN murmeln unter sich. Es gibt noch ein Drittes! Wahrlich, es gibt noch ein Drittes!

DER BISCHOF. Je älter und erfahrener man wird, desto schwieriger bildet man sich eine Überzeugung, – besonders in übernatürlichen Dingen. – Hier würden Zeit und Verhältnisse auch nicht einmal eine Untersuchung gestatten. Und gesetzt den Fall, wir kämen zu verschiedenen Meinungen? Wie würde sich in diesen Läuften des Zweifels ein Priesterstreit über das Wunder ausnehmen? Ob es da irgendwo oben im Norden Wunder gebe oder nicht. – Ich sehe, unser alter Blank verlangt das Wort.

BLANK. Wenn ich Hochährwörden richtig vers-tanden habe, so haben wir in ärster Linje nich zu entscheiden, ob hier 'n Wunder vorliecht oder nich. Das is dem lieben Gott seine Sache!

DER BISCHOF. Ist Gottes Sache! Das ist das rechte Wort! Ich danke Dir, mein Alter!

BLANK. Ich meine, Wunder unterliechen äbenso entschiedener Jesetzmäßigkeit wie alle andern Dinge, obwohl wir das Jesetz nich erkännen. Ich bün dersälben Meinung wie Professer Pätersen.

FALK. In dem Buch, das nie herauskommt?

BLANK. Aber das in einige Jahren 'rauskommen wird. – Wenn däm nu so is, – was für ein Jewicht hat dann das einzelne Wunder, – ob wir Kurzsichtigen[42] es nu sehen oder nich? – Glaubt die Jemeinde es zu sehen, so loben wir den Herrn mit ihr.

DER BISCHOF. Du willst also doch, wir sollen das Wunder anerkennen?

BLANK. Weder anerkännen noch auch nicht anerkännen. Wir loben den Herrn einträchtiglich mit der Jemeinde.

DER BISCHOF. Nein, mein alter Blank, mit Lobliedern kommen wir nicht weiter.

DIE PASTOREN murmeln unter sich. Mit Lobliedern kommen wir nicht weiter. Nein, mit Lobliedern kommen wir nicht weiter.

DER BISCHOF. Herr Brej hat das Wort.

BREJ. Ich begreife wirklich nicht, was im Wege stehen sollte, das Wunder jetzt gleich anzuerkennen. Ist es denn etwas so Seltenes? Ich sehe immer Wunder. Wir sind in unserer Gemeinde so daran gewöhnt, daß sie nicht zu sehen das Ungewöhnliche wäre.

FALK. Will Brej nicht so liebenswürdig sein, uns etwas von den Wundern daheim in seiner Gemeinde zu berichten?

DER BISCHOF. Nein, – sonst kommen wir vom Thema ab. Zu Jensen. – Sie sind aufgestanden? Wünschen Sie das Wort?

JENSEN. Ja. Alles ist in diesem Fall durch das Faktum bedingt, vor das wir gestellt sind. Ist es ein Wunder – am Ende gar mehrere –; oder ist es kein Wunder?

KRÖJER. Sehr richtig.

JENSEN. Jedes einzelne Wunder wäre zu untersuchen. Aber dann müßten wir ein technisches Gutachten und ein sicheres medizinisches Gutachten haben und vielleicht auch die Bescheinigung des Vorgangs durch einen ordentlichen Notar. Das sind die Voraussetzungen, unter denen die Pastoren erst mit Sicherheit ihr geistliches Urteil abgeben können. – Unter »geistlich« verstehe ich nicht das, was wir hier von Laienpredigern und anderen sogenannten Erweckten und[43] Erleuchteten sehen und hören. – Ich denke hier, wie überall, an eine schlichte, runde, trockene Wahrheit, – um so »geistvoller«, je schlichter, runder, trockener sie ist.

FALK. Hört, hört!

JENSEN. Dann wird es sich vielleicht zeigen, daß es hier niemals ein Wunder gegeben hat. Niemals! – Ein Wunder kommt nicht, wenn es erwartet und von Hunderten, ja Tausenden in Erregung und Neugier erwartet wird. – Ja, Neugier! – Nein, das Wunder kommt echt, schlicht, still, trocken zu den echten, schlichten, stillen, trockenen Menschen.

FALK. Das ist mir wirklich aus dem Herzen gesprochen.

KRÖJER. Wenn Falk erlaubt, so möcht' ich doch eine Bemerkung machen. Seit ich als Pfarrer hier ins Land kam, hab' ich's erlebt, daß gerade die trockensten Menschen am leichtesten eine Beute des Aberglaubens werden.

BREJ. Ich habe ganz dieselbe Erfahrung gemacht ist wirklich und wahrhaftig!

KRÖJER. Aus Mißtrauen bestreiten sie oft das, nur so klar wie der Tag ist. Aber dann werden sie, gewissermaßen im Rücken, von einer unerklärlichen Furcht überfallen und so durch Dinge beeinflußt, die für uns andere in tiefes Dunkel gehüllt sind. – Ich denke mir, das Übernatürliche ist in höchstem Grade ein ererbter Trieb der Menschen geworden – und widerstehen wir diesem Trieb auf die eine Art –

BREJ. – so kommt er auf die andere Art wieder! So hab' ich mir's auch gedacht!

FALK. Ja, mag dieser Trieb nun von den Trockenen kommen oder von den Saftigen, so möchte ich mir doch einmal die Frage erlauben, ob Sie der Meinung sind, daß wir nun all die Errungenschaften der Vernunft und Ordnung opfern sollen, die wir innerhalb der Kirche gemacht haben, und wieder schwärmen sollen wie ordinierte Nachteulen?[44]

BREJ. Warum sehen Sie mich dabei an! Die Pastoren brechen in ein schallendes Gelächter aus.

DER BISCHOF. Psssst! Vergeßt nicht, im Haus ist eine Kranke!

FALK. Die Sehnsucht nach Wundern ist ebenso sehr ein Auswuchs am Stamm des Glaubens wie das ganze Laienpredigerwesen am Stamm der Verkündigung, – ein Unfug, eine Krankheit, ein Atavismus, ein Schluckauf. Die Pastoren lachen leise und geraten dadurch ins Husten.

DER BISCHOF. Psssst!

FALK. Das Wunder, das nicht von der Kirche anerkannt, – sozusagen von der obersten Kirchenbehörde unter dem Vorsitz Seiner Majestät des Königs angestellt und eingesetzt ist, das ist in meinen Augen ein Strolch, ein Landstreicher, ein Einbrecher. Der Bischof lacht leise, und die Pastoren auch, zum Bischof hinüberschielend.

FALK. Es mag etwas Schönes sein um die Naivetät. Auch ich bin naiv gewesen. Aber wenn man als Pfarrer um ein Uhr am Grabe trauern soll mit den Trauernden, – um drei Uhr fröhlich sein mit fröhlichen Hochzeitsgästen, – dann um vier Uhr vielleicht am Totenbette eines Armen stehen und um fünf Uhr im Schloß zu Mittag essen soll – da lernt man die menschliche Gebrechlichkeit kennen. Da lernt man, sich nicht zu verlassen auf Menschen und desto mehr auf Institutionen. – Wenn das Wunder erscheint, so geht alles, was Institution heißt, im Aufruhr der Gefühle unter. Darum hat die katholische Kirche versucht, aus dem Wunder eine Institution zu machen. Aber deshalb hat sie auch die Achtung aller Verständigen eingebüßt und ist wieder auf die Einfältigen und Eigensüchtigen angewiesen. – Ich war einmal in einer Damengesellschaft, unter ungefähr zwanzig Damen der einzige Mann. Heiterkeit. Eine Dame bekam Krämpfe. Sofort eine zweite, und wieder eine, – im ganzen sechs. Die Heiterkeit steigert sich. Da nahm ich Wasser und begoß damit erst diese sechs und dann noch einige andere; denn dergleichen steckt an. Stürmisches Gelächter.[45]

DER BISCHOF faßt sich zuerst. Pssssst! Darauf bricht er wieder in Lachen aus, die andern mit; faßt sich. Psssst!

FALK. Das Mittel kann ich empfehlen. Kalten Wasserstrahl! Die Herren lachen noch und husten in ihre Taschentücher. Einige danken Falk herzlich.

KRÖJER. Wir kennen Falk ja und wissen, er ist ein braver Mann – trotz seiner wunderlichen Art. Ich glaube, sähe er die alte Pfarrerswitwe hier – sie ist nun an die hundert Jahr alt –, er wäre der letzte, der sie mit Wasser begösse, – obwohl sie als lebendiges Wunder unter uns wandelt und alle mit ihrem Glauben ansteckt. Dasselbe gilt von der jungen Aagot Florvaagen, die die Alte pflegt. Das Wunder, das sie zum Leben erweckte, das hab' ich mit eigenen Augen gesehen, und viele mit mir. Für unsere Augen, für unsere Hände war sie tot und kalt. Und er betete über ihrer Lagerstatt und richtete sie auf, und sie erhob sich. Ihr werdet dem Zeugnis eines Mannes glauben! Überraschung. Sie sind! zur Stelle.

MEHRERE. Sind zur Stelle?

KRÖJER. Sie kommen vielleicht hier herein. Sie steuern gerad' auf das Haus zu, – es geht freilich nur langsam. Die Alte will schauen – will die schauen, die der Felsendonner nicht wecken konnte. – Seht Euch die Alte nur an! Sprecht mit ihr! Sprecht mit dem Mädchen, das sie begleitet! Euch wird Antwort werden, – Antwort, so unzweideutig und klar, wie ihr Antlitz ist. – Dies fördert uns mehr als alle Eure doktrinären Erwägungen. – Ich sage das nicht, um anzuklagen. Ich habe selbst gedacht wie Ihr, – bis ich Pfarrer hier oben wurde. Keiner hat es schmerzlicher empfunden als ich immer, welche Einbuße die Kirche erlitten hat, und wie armselige Doktrinen und Wegdeutungen uns geblieben sind. – Wir sind arm ohne das Wunder, – ohne den Mut, für das Wunder zu beten, und müssen uns so stellen, als könnten wir es entbehren oder als hätten wir es und wären reich! – Ich kenne Euch alle soweit, um zu wissen: dürftet Ihr, – ja[46] wäret Ihr nur sicher, hier ein Wunder zu erleben, so groß, daß die unsterbliche Anschauung der Bibel Wahrheit würde: »Alle, die es sahen, glaubten es« – o, so ohnmächtig auch sonst ein jeder von Euch sein mag, Ihr würdet wie die Kinder, Ihr würdet ganz Hingebung sein, Ihr würdet all die Lebenstage opfern, die Euch noch geschenkt sind, um das Wunder zu verkünden. Bewegung, besonders bei den älteren Männern. – Ich darf diese Zugeständnisse wohl in Eurem Namen machen, Brüder, weil ich innerhalb des geistigen Ringes stehe – des Ringes, von dem es heißt: entweder drinnen oder draußen. Ist man einmal drinnen, so fallen alle Vorspiegelungen der Armseligkeit von selbst, und wir haben den Mut, die Wahrheit zu bekennen. – Was wäre vom Christentum wohl übrig, wenn die Kirche das Wunder eingebüßt hätte?

ELIAS kommt von draußen. Verzeihung! – Hier ist eine Frau, die meine Mutter zu sehen wünscht. Es ist die alte Pfarrerswitwe. Alle stehen auf. Sie erblicken in der Tür die Pfarrerswitwe und Aagot. Elias öffnet die Tür, die nach rechts führt, und geht selbst hinein. Die Pastoren haben ihre Stühle genommen und sind ehrfürchtig zurückgetreten.

DIE PFARRERSWITWE. Nun laß mich, Aagot! – Ich will jetzt allein sein. – Allein. – Denn hier, wo der Herr gewesen, ist heiliger Grund. – Hier ist heiliger Grund. – Hier steht man Aug' in Auge. – Und da ist es besser, allein zu sein. Sie steht jetzt so, daß sie hineinblicken kann. Dann verneigt sie sich. Sie streckt ihre beiden Hände empor in tiefer Verzückung. Dann blickt sie wieder hinein und verneigt sich. Wendet sich um und geht. Sie war weiß. – Schimmernd weiß. – Ich konnt' es mir denken. – Schimmernd weiß. – Und schlief wie ein Kind. – Nun hab' ich es gesehen. – So etwas bringt Erleuchtung. – O, welche Erleuchtung! – Ich danke Dir, daß Du mich ließest allein sein.

AAGOT. Warst Du denn allein?

DIE PFARRERSWITWE. Ganz allein. – Außer mir keiner. – Sie war schimmernd weiß. Beide sind schon draußen.[47]

ELIAS kommt jetzt von rechts herein. So, – nun sind beide Türen wieder geschlossen. Und jetzt will ich auch diese schließen. Ab. Die Pastoren stehen noch immer schweigend da.

KRÖJER. Ihr spracht nicht zu ihr?

DER BISCHOF. Nein.

KRÖJER. Es ist ein Sonnenstreif auf aller Angesicht. – Ich will Euch sagen, warum: – von den Menschen, die das Wunder bestrahlt hat, geht ein Abglanz aus. – Laßt uns davon reden! – Die Pastoren treten wieder zusammen und setzen sich.

JENSEN. Darf ich eine Frage stellen? – – Halten Sie die Bekehrungen nicht auch für ein Wunder?

KRÖJER. Das, was wir das Wunder der Bekehrung nennen, läßt sich psychologisch verfolgen, Schritt für Schritt; also ist es kein Wunder. – Es hat sein Gegenstück in anderen großen Religionen und in der rein moralischen Bekehrung, obwohl sie sich im stillen vollzieht. – Ein Christentum aber, das auf dem Wunder beruht und im Lauf der Zeit die Kraft zum Wunder verloren hat, – was ist es? – Moralvorschriften!

FALK. Das Merkmal des Christentums ist nicht das Wunder – vielmehr der Glaube an die Auferstehung.

KRÖJER. Den alle großen Religionen haben? Den alle Menschen mit religiöser Empfindung haben?

DER BISCHOF. Was verstehen Sie denn unter Christentum?

KRÖJER. Für mich ist das Christentum unendlich mehr als eine Moralvorschrift. Dergleichen haben wir anderswo ausführlicher wie auch feiner als im Neuen Testament. Für mich ist es unendlich mehr als die Kraft zur Hingebung; sonst wäre ihm manches andere im Range gleich. – Entweder ist das Christentum ein Leben in Gott, weit hinaus über diese Weltlichkeit und alle ihre Vorschriften; oder es ist es nicht. Entweder ist es mehr als bloße Hingebung an eine Idee, nämlich eine neue Welt, ein Wunder; oder es ist es nicht. [48] Er setzt sich, ergriffen und matt. Da ist noch so manches, ... was ich zu sagen hätte; ... aber ich kann nicht ...

DER BISCHOF. Als Sie heut an Bord kamen, lieber Kröjer, da sah ich gleich, daß Sie überanstrengt und krank sind. Aber das sind ja wohl alle, die Pfarrer Sang folgen?!

DER UNBEKANNTE hat die Tür nach dem Söller geöffnet, ohne sie wieder zu schließen. Er hat sich schrittweise genähert. Darf ich ums Wort bitten?

DER BISCHOF. Bratt, – Du bist es?

ANDERE. Pastor Bratt?

WIEDER ANDERE. Bratt?

DER BISCHOF. Uns hast Du Dich nicht angeschlossen! Wie kamst Du her?

BRATT. Übers Gebirge.

DER BISCHOF. Übers Gebirge? – Zum Missionstag willst Du dann wohl nicht?

BRATT. Nein, hierher wollt' ich.

DER BISCHOF. Ich verstehe.

BRATT. Zum Wunder will ich. – Und so kam ich gestern an, gerade als der Berg niederging. Ich stand auf dem Felsen, ein Stück weiter, und sah. Und ich hörte den Glockenklang. – Und ich bin geblieben – und ich habe heut Morgen gesehen, wie man einen Kranken zur Kirche trug, und wie der Mann beim Hochgesang des Pfarrers aufstand, Gott dankte und von dannen ging. Hab' ich das Wort?

DER BISCHOF. Natürlich.

BRATT. Denn ich bin ein Mensch in Nöten, der kommt und Euch um Hilfe bittet.

DER BISCHOF. Sprich, mein lieber Bratt!

BRATT. Ich sage mir: hier stehe ich endlich vor dem Wunder. Und im nächsten Augenblick: ja, ist denn auch ein Wunder? – Denn dies ist nicht der erste Ort, zu dem ich gewandert bin, es zu sehen. Ich bin von allen Wunderorten Europas enttäuscht heimgekehrt. Hier – das muß man sagen – ist der Glaube größer und einfältiger; dieser Mann ist groß. Es hat mich mit[49] übernatürlicher Macht gepackt, was ich hier gesehen. Und im nächsten Augenblick der Zweifel! Seht, das ist mein Fluch. Ich habe diesen Fluch auf mich geladen, weil ich sieben Jahre lang als Pfarrer den Gläubigen das Wunder versprochen habe. Es ihnen versprochen habe, weil es so geschrieben stand, – versprochen, obwohl ich selber zweifelte: denn ich hatte noch keinen Gläubigen gekannt, dem das Wunder geworden wäre! Sieben Jahre hab' ich verkündigt, was ich selbst nicht glaubte. – Sieben Jahre hab' ich darum auch, immer wenn die schweren Tage kamen (und sie kamen oft, ebenso wie die schlaflosen Nächte!) in heißem Gebet gelegen: – wo ist die Macht der Wunder, die Du Deinen Gläubigen gelobt hast? Bricht in Tränen aus.

DER BISCHOF. Du redest von der Leber weg! Das hast Du stets getan.

BRATT. In bindenden Worten – eins immer stärker als das andere – hat er gesagt: der Gläubige habe diese Macht. Ja, die Macht noch größere Dinge zu vollbringen, als der Menschensohn vollbracht hat. – Was ist aus dieser Macht geworden? – Gibt es nach der unermessenen Glaubensarbeit von achtzehnhundert Jahren keinen Gläubigen von solcher Kraft, daß er ein Wunder in unserer Mitte verrichten könnte? Ist Gottes eigenes Gelöbnis noch immer nicht eingelöst? – Die Glaubensfähigkeit kann nicht vermindert sein. Es kann dieser Fähigkeit nicht umgekehrt ergangen sein wie allen andern Fähigkeiten der Generationen, – so zwar, daß sie durch beständigen Gebrauch abgenommen hätte. Nein. – Nach einer Verkündigung von mehr als achtzehnhundert Jahren muß diese Fähigkeit in vielen, vielen Geschlechtern ein tausendjähriges, wachsendes und wachsendes Erbteil geworden sein, multipliziert mit der Erziehung. – Und doch ist das Erbe nicht mächtig genug, das Wunder zu spenden? Die Sehnsucht aller Gläubigen zusammengenommen kann noch nicht ein Individuum gebären, das, begabt mit der Macht des Wunders, in den Bann seines Glaubens alle die zwingt, so das Wunder[50] sehen. Denn die Versicherung der Bibel muß sich erfüllen: »Alle, die es sahen, glaubten es.« – Also ein Wunder, das alle, so es sehen, zu Gläubigen macht. Und doch fallen Tausende und aber Tausende ab; denn ungeachtet es gelobt ist, kommt es nicht. – Ein Mann mit dem Wissen unserer Zeit, ein aufgeklärtes Weib unserer Tage begnügt sich nicht mit dem, was ein Mann oder ein Weib in früheren Zeiten ohne weiteres glaubte. Nicht weil ihre Glaubensfähigkeit geringer ist, sondern weil zu ihrem besseren Schutz ein Wall um sie gezogen ist. Ihre Hingebung ist von einer so viel tieferen und innerlicheren Art, daß es natürlich und erklärlich ist, wenn sie schwieriger zu erobern. Wer sie besitzt, der besitzt das beste, was die Welt zu bieten hat! – Also: Ihr müßt den Gegenwert riskieren, sonst gewinnt Ihr sie niemals. Die Pastoren unterhalten sich mit gedämpfter Stimme. Die Religion ist nicht mehr der Menschen einziges Ideal. Soll sie ihr höchstes sein, so bewahrheitet es. Sie können leben und sterben für das, was sie lieben, – für Vaterland, Familie, Überzeugung. Und da dies das Höchste ist, das es innerhalb der Grenzen des Natürlichen geben kann, und da du ihnen etwas noch Höheres zeigen sollst, – nun wohl, so mußt du hinaus über diese Grenzen! Zeig' ihnen das Wunder! Starke Bewegung unter den Pastoren.

FALK steht auf. Irgendwo steht geschrieben ein Wort des Zornes über das Geschlecht, das nicht glaubt, wenn es nicht Zeichen sieht.

BRATT. Und wissen Sie auch, was das Geschlecht antwortet? – »Wir bitten nur um die Zeichen, die Gott selber gelobt hat, – gelobt denen, die da glauben! Oder habt Ihr noch keinen einzigen Gläubigen unter Euch? – Was wollt Ihr dann von uns?« – Ja, so antwortete das Geschlecht. – Aber gebt eben diesem Geschlecht ein Wunder, – eines, das die schärfsten Werkzeuge des Zweifels nicht zu zerstückeln vermögen, – eines, von dem es heißen kann: »alle, die es sahen, glaubten«, dann werdet Ihr's erleben, daß nicht die [51] Glaubensfähigkeit fehlt; – das Wunder ist's, was fehlt. Bewegung bei den Pastoren. Die Verkündigung braucht keine Prämie für die Leichtgläubigkeit auszusetzen. Des Glaubens Ahnen leben als die zahlreichsten und stärksten selbst in den scharfsinnigsten Zweiflern! Gibt es jemand, der den zivilisierten Menschen kennt und das nicht wüßte? Gibt es einen Geistlichen, der nicht die Erfahrung gemacht hätte, daß im allgemeinen die Gefahr gerade die entgegengesetzte ist: weil ihnen das Echte fehlt, so verfallen sie dem Glauben an das Unechte.

MEHRERE leise. Das ist wahr.

BRATT. Und wenn nun das Wunder unter uns träte, – so gewaltig, daß alle »die es sehen, glauben«? – Zunächst würden Millionen herbeiströmen – alle, die in Not und Sehnsucht leben, – die Enttäuschten, die Beladenen, die Leidenden, alle, die Gerechtigkeit heischen. – Und hörten sie, das Gottesreich sei wieder in des Wortes alter Bedeutung auf Erden errichtet, ... gleichviel an welcher Stätte, – in Tränen, in Jubel, – ja, auch wenn die meisten von ihnen wüßten, auf diesem Wege lauere Todesgefahr, – sie würden lieber hier sterben, als auf einem andern Wege leben. Sie kröchen herbei aus ihren Städten, aus Hütten, Betten, die Kranken voran, entgegen der Gottesoffenbarung. – Aber sie würden nicht allein bleiben! Alle, die die Wahrheit suchen auf Erden, kämen nach. Zuerst die mit dem stärksten Wahrheitsdrang, die tiefen, ernsten Forscher, die erhabenen Geister. Ihr Feuer wäre das schönste, ihr Glaube der wichtigste. Nicht der Wahrheitsdrang, nicht die Glaubensfähigkeit fehlt ihnen; – sondern das Wunder. – Alle wünschen Gewißheit und Frieden in dieser größten Frage der Welt. Selbst die Leichtsinnigen, – sie, die diese Frage als nutzlos oder unmöglich umgehen! Sie alle, ohne Ausnahme, haben dank ihrer Erziehung die Sehnsucht nach mehr, denn sie wissen: das heißt nach dem Glauben. Aber schafft ihnen das Unterpfand! – Ein Unterpfand, daß[52] die Verkündigung wahr ist. Sehen sie das Pfand, so glauben sie auch, was sie nicht sehen. – So ist es von Anbeginn gewesen. – Die Menschen, die sich jetzt mit dem Geringeren zufrieden geben, – mit ihrer persönlichen Erfahrung: – die handeln wie die Muhammedaner, Juden und Buddhisten. Auch diese berufen sich alle auf ihre persönliche Erfahrung! – Daß diese persönliche Erfahrung allgemeine Wahrheit ist, – dafür aber haben sie kein Unterpfand. – Das eben suche ich! Denn es ist mir verheißen! – Gott, mein Gott! Hier stehe ich vor der letzten Probe!

DER BISCHOF. Bratt, Bratt!

BRATT. Vor meiner letzten Probe. Denn der Kampf übersteigt meine Kräfte. Ich nehme Abschied von meinem Priesteramt, – Abschied von der Kirche, Abschied vom Glauben, – wenn, wenn, wenn –! Bricht in Tränen aus.

DER BISCHOF. Mein teurer Sohn, Du darfst nicht: –

BRATT. Nein – sprechet nicht zu mir! – Ich bitte Euch! – Helft mir zu Gott beten! Denn ist das Wunder nicht hier, so kann es kein Wunder geben! Dieser Mann ist ja doch mehr als andere Männer; er ist der edelste, den die Erde trägt! Einen Glauben wie seinen hat die Welt noch nicht gesehen. Und einen solchen Glauben an seinen Glauben hat auch noch kein Mensch gesehen.

ALLE. Das ist wahr!

BRATT. Und ist es nicht begreiflich? Er hatte ein großes Vermögen, als er herkam. Er hat alles hingegeben. Zahllose Male hat er sein Leben gewagt, um anderen zu helfen. Und zahllos sind die Wunder, die er nach der Meinung der Leute vollbracht hat. Gerade weil es so viele waren, glaubt' ich nicht an sie.

DIE PASTOREN leise. Auch mir ist es so ergangen.

BRATT. Aber vielleicht hätten wir gerade umgekehrt denken müssen?! Denken, daß hier das ist, was man unter »Glauben« versteht?! Des Glaubens Existenz ist das Wunder. Er, der Glaube, muß das[53] Wunder bewirken! Vielleicht hätten wir so denken sollen! – Aber Denken hin, Denken her, – wir hätten nicht mit diesem professionellen Zweifel ihn anschauen dürfen, wie ich leider getan habe. Seine Liebe und sein Glaube hätten mich demütig machen sollen. Ich klage mich selbst an und bitte ihn in meinem Herzen inbrünstig um Verzeihung!

ALLE PASTOREN ausnahmslos. Ich auch! Ich auch!

BRATT. Einen besseren Mann als ihn kennen wir nicht; keines Menschen Glaube ist stärker als der seine; – wenn nun hier das Wunder wäre ... Bewegung.

JENSEN flüsternd. Seht das Kreuz dort über der Tür! Ist es die Abendsonne – oder was sonst??

BRATT. Ich weiß nicht. Aber seid überzeugt: tritt das Wunder in die Erscheinung, so werden Tausende Zeugen des Vorgangs sein, die wir nicht sehen. – Wenn wir es doch auch miterleben dürften! – Wenn wir es doch erleben dürften! Denkt nur, ein so Erhabenes erleben, daß »alle, die es sehen, glauben«! – Dessen sollten wir Zeuge sein dürfen! – Du, Du, ich? Das ist zu viel; das kann nicht möglich sein! – – Wir haben ja in unseren Tagen viel Menschen von derselben Gebrechlichkeit, Kleingläubigkeit, Lieblosigkeit wie wir, –

ALLE. – Ja, ja! – –

BRATT. – doch so hoch Begnadete wie wir gibt es in unseren Tagen nicht. Und gerade wir Unwürdigen müssen dazu berufen sein. Tiefe Bewegung. Und blick' ich hinaus auf dieses enge, nackte Fjordgestade, das erfüllt ist vom Schrei der Möven, so kommt mir der Gedanke: das Gottesreich begann einst in einer üppigen Ebene an der Heerstraße ins Sonnenland, – welch ein Zeugnis, wenn es in seiner ganzen Größe wiedererstände, hier auf einem entlegenen, armseligen Gestade am ewigen Eis –

FALK steht auf, leichenblaß, und flüstert. Ja, ja!

MEHRERE. Ja, ja!

BRATT. – und da will es mich bedünken, es treffe alles zusammen, das Wunder müsse kommen! Alle sind aufgestanden.[54]

DER BISCHOF leise. O, wollt' es doch kommen, auf daß ich alter Mann es schauen dürfte!

BRATT. Ja, würden wir doch aufgenommen in den Schoß des starken Glaubens! – Nicht weil wir verdienen, das Wunder zu schauen, – sondern weil wir sein bedürfen. Der alte Blank sinkt in die Knie; andere mit ihm.

BRATT. Weil das ganze Geschlecht sein bedarf. Und dringender, je weiter das Zeitalter fortschreitet. Weil es uns gelobt ist. Weil es hier sein muß, wenn es ist! Kniet nieder. Sein Glaube muß es erwirken können! Sein Glaube ist der stärkste auf Erden! Und der Glaube kann es! Kann es!

ALLE. Der kann es, – kann es!

BRATT. – könnte der es nicht – so wäre das Ganze unmöglich. – Dann wäre das andere auch nicht wahr! Dann wäre in alledem ein Grenzenloses ...! Etwas, das über die Kraft ...!


Quelle:
Björnson, Björnstjerne: Gesammelte Werke. Berlin [1911], Band 5, S. 40-55.
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