Zweites Buch.

Berlin!

[47] Das Leben wogte vielgestaltig mit Ebbe und Fluth. Aber die Stadtbahn überbrückte und übertönte die Brandung mit ihren donnernden Flügen.

Die Rauchwolken, bald senkrecht aufsteigend, bald sich kräuselnd, schienen vom elektrischen Licht der Plätze durchschimmert. Es war, als ob der Dämon des elektrotechnischen Dampf-Jahrhunderts mit lüsternem Fauchen die ihm geweihte Stätte fieberhafter Geld-und Genußgier als Schirmgeist umkreise; als ob die Schlachtmusik seiner ehernen Lokomotivräder aufmuntere zu rüstigem Fortwürgen im Daseinskrieg, der in der Reichsweltstadt seine entscheidende Hauptschlacht schlägt.

Von den unruhigen Athemzügen der Lokomotiven erschüttert, flackerten die Lichtreflexe der Gasflammen wie unstete Irrlichter über den schwarzen Tiefenflächen der Kanäle.

Ein eigenthümlicher silberiger Schein zittert kegelförmig[48] über den Trottoirs oder über den Sandwegen der »Linden«, wo elektrische Strahlencentren wirken.

Wo ist das Gewimmel, wo der Lärm am ärgsten? Am Alexanderplatz, wo aus den Hallen und Bogengängen des Sedanpanorama-Restaurants es huscht und drängt? Am Potsdamerthor, wo die grünen, rothgrünen und gelben Lichter der Tramway-Wagen sich kreuzen? In der Passage, durch deren gelbe Steinmassen sich das elegante Bummelleben der Linden dem burschikosen oder geschäftlichen Treiben der Friedrichstraße entgegenwälzt?

Das weißgelb-röthlich schillernde Uhr-Auge des Rathhausthurms – stier und allsehend wie immer, als könne vor ihm das Verborgenste nicht in dunkle Schlupfwinkel sich bergen – blinkt einsam über die mählich entschlummernde Weltstadt hin. Nur die Wiener Cafés und wenige röthliche Laternen zweifelhafter Spelunken glitzern noch. Letztere erlöschen bald; alle Vorhänge Berlins werden geschlossen. Alles so still. Das Museum und das Schloß in majestätischen Schatten getaucht, von dem schwarzen faltigen Mantel der Nacht umwallt, dessen sternbestickter Hermelinsaum über den mondscheinhellen Lustgarten hinschleift. Die ganze breite Front – rechts von der Schloßbrücke, wo der Große Kurfürst in eherner Ruhe als Schutzgenius über Altberlin hinschaut, und links vom Dom über den Schloßplatz hin – eine schnurgerade Linie von Laternen. Sie laufen direkt am Palais des greisen Kaisers vorüber auf die Reiterstatue Friedrichs des Großen zu, als ob sie Rauch von Schlüter grüßen wollten. Sie pflanzen sich ununterbrochen fort bis zum Brandenburger[49] Thor, wo die Siegesgöttin droben Parade abzuhalten scheint über diese Licht-Gardisten, die steif und stramm zwischen den Menschen- und Wagenknäueln Spalier bilden. Sinnbilder des Preußenthums, so gut wie die Blücher, Scharnhorst und Yorks an der Hauptwache.[50]

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 47-51.
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