Zweite Geschichte

[46] Der Jude Abraham geht auf Antrieb des Jeannot von Sevigné nach Rom und kehrt, als er die Schlechtigkeit der Geistlichen dort kennengelernt hat, nach Paris zurück, um Christ zu werden.


Die Geschichte des Panfilo ward von den Damen im ganzen gelobt, wie sie im einzelnen belacht worden war. Nun aber, als sie unter steter Aufmerksamkeit der Zuhörer ihr Ende erreicht hatte, gebot die Königin der Neifile, die ihr zunächst saß, mit einer neuen Geschichte in der angefangenen Art die Unterhaltung fortzusetzen. Neifile, durch Anmut des Betragens nicht minder reizend als durch Schönheit der Gestalt, antwortete, dazu sei sie gerne bereit, und begann folgendermaßen:

Panfilo hat in seiner Geschichte gezeigt, wie Gott in seiner Huld unsere Irrtümer, an denen wir keine Schuld haben, uns nicht anrechnet, und ich gedenke, in der meinigen ein Beispiel davon zu geben, wie eben diese göttliche Huld sich uns untrüglich durch die Langmut offenbart, mit welcher sie die Fehler derjenigen erträgt, die vielmehr berufen wären, durch Wort und Tat von Gott zu zeugen. Solche Einsicht möge uns alsdann mit um so größerer Festigkeit unserem Glauben nachleben lassen.

In Paris lebte, wie mir erzählt worden ist, vor Zeiten ein reicher Kaufherr und wackerer Mann, Jeannot von Sevigné genannt, der, seiner Redlichkeit unbeschadet, einen großen Tuchhandel trieb. Dieser war eng mit einem steinreichen Juden namens Abraham befreundet, der gleichfalls Kaufmann und dabei ehrlich und unbescholten war. Wenn Jeannot nun den tadellosen Lebenswandel seines Freundes betrachtete, so ging es ihm sehr zu Herzen, daß ein so wackerer, verständiger und guter Mann verdammt sein sollte, weil der wahre Glaube ihm fehlte. So bat er ihn denn als Freund, er möge den Irrtümern des jüdischen Glaubens entsagen und zu dem allein wahren christlichen übertreten, dessen Heiligkeit und Güte sich schon durch sein fortwährendes Wachsen und Gedeihen kundgäben, während das Judentum immer mehr verfalle und seinem nahen Ende zueile.[47]

Der Jude erwiderte, daß er keinen Glauben als allein den jüdischen für gut und heilig halte: in dem sei er geboren, in dem gedenke er zu sterben und davon werde ihn nichts jemals abbringen können. Jeannot ließ sich dadurch nicht abhalten, nach Verlauf einiger Tage auf denselben Gegenstand zurückzukommen und ihm, so gut oder auch so schlecht, wie es die Mehrzahl der Kaufleute versteht, auseinanderzusetzen, daß und warum der christliche Glaube besser ist als der jüdische. Sei es nun, daß die große Freundschaft für Jeannot ihn bewog oder daß vielleicht Worte, die der Heilige Geist dem unwissenden Manne in den Mund gelegt, ihn überzeugten, genug, obwohl Abraham ein großer jüdischer Schriftgelehrter war, fing er dennoch an, einigen Gefallen an Jeannots Reden zu finden; indes ließ seine Hartnäckigkeit ihn seinen Glauben immer noch nicht aufgeben.

Wie er nun in seiner Verstocktheit beharrte, Jeannot aber nie abließ, ihm zuzureden, sagte der Jude endlich, von den dringenden Bitten des anderen bewogen: »Jeannot, du wünschst, daß ich Christ werden soll, und ich bin gesonnen, es zu werden, doch unter der Bedingung, daß ich zuvor nach Rom gehe, um den zu sehen, der, wie du versicherst, der Statthalter Gottes auf Erden ist, und um sein und seiner Brüder, der Kardinäle, Leben und Betragen kennenzulernen. Ist es dann so beschaffen, daß ich teils daraus, teils aus deinen Worten mich überzeugen kann, euer Glaube sei wirklich besser als der meinige, wie du dich mir zu beweisen bemüht hast, dann werde ich tun, wie ich dir gesagt habe. Trifft dies aber nicht zu, dann will ich bleiben, wie ich bin.«

Als Jeannot diesen Entschluß vernahm, ward er über die Maßen betrübt und sprach bei sich selbst: »Nun ist alle Mühe umsonst, die ich für trefflich angewandt hielt, wenn ich meinen Freund bekehrte; denn geht er nach Rom an den Hof und sieht dort das ruchlose Leben der Geistlichen, so wird er niemals vom Juden zum Christen werden, ja, wenn er sich schon hätte taufen lassen, kehrte er gewiß zum Judentum zurück.« Zu Abraham aber sagte er: »Ach, lieber Freund, wozu willst du dir so viele und so große Kosten machen, wie die Reise nach Rom sie erforderte? Abgesehen davon, daß ein reicher Mann,[48] wie du es bist, mag er zu Wasser oder zu Lande reisen, immer in Gefahr ist. Denkst du denn, dich kann hier niemand taufen? Und wenn du ja noch Bedenken über den Glauben hast, den ich dir verkündige, so gibt es ja nirgends größere Gelehrte, verständigere Männer als eben hier, um dich über alles, was du willst oder verlangst, genügend aufzuklären. Darum ist diese ganze Reise meiner Meinung nach vollkommen überflüssig. Denke dir, daß die hohe Geistlichkeit ebenso ist, wie du sie hier gesehen hast, und nur noch um soviel besser, als sie dem obersten Hirten näher steht. Willst du also meinem Rate folgen, so versparst du dir diese Mühe auf ein andermal zu einer Wallfahrt, und alsdann ist es leicht möglich, daß ich selbst dich begleite.«

Der Jude antwortete ihm: »Jeannot, ich bin überzeugt, daß es sich verhält, wie du sagst. Ich bin aber, um es mit einem Worte zu sagen, völlig entschlossen zu reisen, wenn anders du noch wünschst, daß ich deinen vielen Bitten nachgebe. Ohne das werde ich mich niemals taufen lassen.« Als Jeannot sah, daß er auf seinem Willen beharrte, sagte er: »Nun, so reise mit Gott.« Bei sich aber dachte er, Abraham werde, wenn er erst den römischen Hof gesehen habe, nie und nimmer ein Christ werden. Da es ihn aber weiter nichts anging, so ließ er ihn gewähren.

Der Jude stieg zu Pferde und eilte nach Rom, so rasch er konnte. Am Ziel angelangt, ward er von seinen Glaubensgenossen auf das ehrenvollste empfangen. Er aber begann, ohne über den Zweck seiner Reise jemandem etwas zu sagen, mit aller Vorsicht das Leben des Papstes, der Kardinäle und der übrigen Prälaten und Hofleute zu beobachten. Was er, von einem nicht gewöhnlichen Scharfblick unterstützt, selbst wahrnahm, und was er hier und da von andern erfuhr, überzeugte ihn nun bald, daß sie allesamt der Wollust, und zwar nicht nur der natürlichen, sondern auch der sodomitischen, frönten, ohne sich irgend Zaum und Zügel von Scham oder Schande anlegen zu lassen, so daß in den wichtigsten Angelegenheiten der Einfluß der feilen Dirnen und der Knaben von nicht geringer Wichtigkeit war. Außerdem fand er in ihnen insgeheim Schlemmer, Säufer, Trunkenbolde und Geschöpfe, die nach Art der[49] unvernünftigen Tiere nächst der Wollust mehr dem Bauche als irgend etwas anderem gehorchten. Bei genauerer Betrachtung lernte er sie noch außerdem als so geizig und geldgierig kennen, daß sie mit Menschen-, ja mit Christenblut und mit den heiligsten Dingen, Opfern, geistlichen Pfründen oder welcher Art sie immer sein mochten, um Geld einen abscheulichen Handel trieben. Ärger sah er sie dabei markten und mehr Makler beschäftigen als jemals in Paris beim Verkauf der Tücher oder irgendeiner andern Ware. Offenbare Bestechung hörte er Fürsprache und unverschämte Gierigkeit Diäten nennen, als ob Gott nicht den bösen Willen im verworfenen Herzen, geschweige denn den wahren Sinn der Worte erkennte und nach Art der Menschen sich durch den Namen der Dinge täuschen ließe. Alles dies und noch manches andere, das ich besser verschweige, mißfiel unserem Juden, der ein sittenreiner und gesetzter Mann war, auf das äußerste, und da er genug gesehen zu haben glaubte, beschloß er, nach Paris zurückzukehren, und tat also.

Sobald Jeannot seine Rückkehr erfahren hatte, besuchte er ihn, ohne einige Hoffnung, daß Abraham Christ würde, und beide freuten sich herzlich des Wiedersehens. Als er indes sich einige Tage ausgeruht hatte, fragte ihn Jeannot, was er nun von dem Heiligen Vater, von den Kardinälen und anderen Hofleuten denke. Schnell antwortete der Jude: »Nichts Gutes denke ich von ihnen, und nichts Gutes haben sie von Gott zu erhoffen. Und ich sage dir, ich müßte mich sehr getäuscht haben, aber ich habe dort an keinem Geistlichen eine Spur von Frömmigkeit, Andacht, guten Werken, musterhaftem Wandel oder dergleichen mehr bemerkt. Wohl aber sah ich, wie Wollust, Geiz, Völlerei und andere und schlimmere Laster, wenn es schlimmere gibt, bei ihnen so beliebt waren, daß ich jene Stadt eher für eine Werkstätte des Teufels als Gottes halte. Auch scheint es mir, nach meinem Dafürhalten, daß sowohl euer Oberhirt als auch die übrigen insgesamt nach seinem Beispiele mit allem Eifer, allem Scharfsinn und aller Mühe bestrebt sind, die christliche Religion, deren Grundpfeiler und Stützen sie zu sein berufen wären, ganz zu zerstören und aus der Welt zu vertreiben.[50]

Da ich nun aber sehe, daß nicht geschieht, worauf jene hinarbeiten, sondern daß eure Religion sich vielmehr täglich weiter ausbreitet, glänzender und herrlicher erscheint, so muß ich wohl zu erkennen glauben, daß der Heilige Geist sie als heilig und wahrhaftig vor allen andern stützt und aufrecht erhält. Aus diesem Grunde sage ich dir jetzt klar und offen: so wenig ich früher deinen Aufforderungen, Christ zu werden, Gehör schenkte, so wenig kann mich jetzt etwas auf der Welt von meinem Vorsatz abhalten, den christlichen Glauben anzunehmen. Laß uns also schnell in die Kirche gehen und mache, daß ich dort nach dem Gebrauche eures heiligen Glaubens die Taufe empfange.«

Jeannot, der das genaue Gegenteil dieses Schlusses erwartet hatte, war nun der froheste Mensch von der Welt. Sogleich ging er mit Abraham nach der Kirche Unserer lieben Frauen in Paris und bat dort die Geistlichkeit, daß sie seinen Freund taufen möchten. Kaum hatten sie seine Bitte vernommen, so waren sie schnell bereit, sie zu erfüllen, und Jeannot vertrat bei ihm Patenstelle und nannte ihn Johannes. Dann ließ er ihn von tüchtigen Meistern in unserem Glauben unterrichten. Abraham aber lernte schnell und war ein wackerer, tüchtiger Mann von frommem Wandel.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 46-51.
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