Fünfte Geschichte

[58] Die Markgräfin von Montferrat weist die törichte Liebe des Königs von Frankreich durch ein Hühnergericht und ein paar hübsche Worte zurück.


Die Mädchen, die dem Dioneo zuhörten, schämten sich anfangs ein wenig ob seiner Erzählung, wie die sittsame Röte bekundete, die ihre Wangen überflog. Allmählich indes blickten sie bei steigender Aufmerksamkeit einander mit heimlichem Lächeln verstohlen an und unterdrückten kaum ein lautes Gelächter. Als die Geschichte zu Ende war, ließen sie ihn durch neckenden Tadel und Spott empfinden, daß solche Geschichten vor Damen zu erzählen ungeziemend sei. Dann aber gebot die Königin, zu Fiammetta gewandt, die neben Dioneo im Grase saß, dieser, in der Reihe fortzufahren. Fiammetta begann lächelnd und anmutig:

Nicht allein weil Geschichten mich ergötzen, welche, wie die zuletzt erzählten, die Wirkung schneller und treffender Antworten[58] schildern, sondern auch in der Überzeugung, daß es für Männer ebenso löblich ist, nur Frauen zu minnen, die höheren Standes sind als sie selbst, wie für Frauen verständig, die Liebe zu einem höherstehenden Mann von ihrem Herzen fernzuhalten, kommt es mir, da mich die Reihe des Erzählens trifft, in den Sinn, euch durch ein Beispiel zu zeigen, wie eine adelige Dame durch Wort und Tat sich vor solcher Gefahr zu schützen und den Mann, der sie gefährdete, umzustimmen wußte.

Der Markgraf von Montferrat, ein kühner und ritterlicher Mann und Bannerherr der Kirche, war mit einem der Kreuzzüge übers Meer ins Morgenland gefahren. Als nun am Hofe König Philipps des Einäugigen, der eben damals im Begriff stand, Frankreich zu verlassen, um sich jenem Kreuzzuge anzuschließen, von seiner Tapferkeit die Rede war, äußerte ein Ritter, es sei doch unter der Sonne kein schöneres Paar zu finden als der Markgraf und seine Dame. Denn wie er unter allen Rittern seiner adeligen Tugenden halber gerühmt werde, so sei die Dame vor allen Frauen schön und sittsam. Auf den König machten diese Worte solchen Eindruck, daß er, ohne je die Dame gesehen zu haben, sie sogleich inbrünstig zu lieben begann und beschloß, sich nirgendwo anders als in Genua zu der erwähnten Überfahrt einzuschiffen, um auf der Landreise nach jenem Hafen schicklichen Vorwand zu einem Besuch bei der Markgräfin zu haben, wobei er hoffte, daß es ihm vielleicht in Abwesenheit ihres Gemahls gelingen werde, zum Ziel seiner Wünsche zu kommen.

Wie er sich's vorgenommen, setzte er's auch ins Werk. Er schickte sein ganzes Gefolge voraus und machte sich im Geleit einiger Edelleute allein auf den Weg. Als er sich dem Gebiet des Markgrafen näherte, ließ er der Dame einen Tag zuvor ansagen, daß sie ihn am andern Mittag zum Essen erwarten möge. Die Dame, die klug war und einen schärferen Blick besaß als die meisten andern, erwiderte, daß es ihr eine besonders hohe Gnade sein werde und sie ihn im voraus willkommen heiße. Dann aber sann sie nach, was es bedeuten solle, daß ein so mächtiger König sie in der Abwesenheit ihres Mannes besuchen käme, und sie irrte sich nicht, indem sie den Grund eines solchen Besuchs in dem Ruf erkannte, den ihre Schönheit genoß.[59] Nichtsdestoweniger war sie, ihren feinen Sitten gemäß, entschlossen, ihn ehrenvoll aufzunehmen. Sie ließ diejenigen unter ihren Edelleuten rufen, die nicht mit ihrem Gemahl gezogen waren, und hieß sie, nachdem sie mit ihnen Rat gepflogen hatte, alle notwendigen Anordnungen treffen. Nur die Besorgung des Mahls und der Gerichte behielt sie sich vor. Zu diesem Ende ließ sie in der Eile alle Hennen zusammenbringen, die in der Umgebung zu finden waren, und wies ihre Köche an, nur aus diesen verschiedene Gerichte für die königliche Tafel vorzubereiten.

Am bestimmten Tage kam der König, und die Dame empfing ihn auf das festlichste und ehrenvollste. So hoch die Meinung war, die er nach den Worten des Ritters von ihr gefaßt hatte, in Wirklichkeit schien ihm die Dame noch um vieles schöner, anmutiger und sittsamer, und in Wohlgefallen und Bewunderung wuchs seine Leidenschaft für sie im selben Maße, in dem er die gehegten Erwartungen übertroffen sah. Nachdem er einige Zeit in reichgeschmückten Gemächern, wie sie zum Empfang eines so mächtigen Königs sich ziemen, geruht, setzten sich, als die Essensstunde gekommen war, König und Gräfin an eine Tafel, und die übrigen wurden nach ihrem Range an anderen Tischen bewirtet. Die zahlreichen Schüsseln, die einander folgten, die leckeren und erlesenen Weine, vor allem aber der entzückende Anblick der schönen Dame gewährten dem König großes Behagen.

Als jedoch ein Gang nach dem andern aufgetragen wurde, fing der König an, sich einigermaßen zu wundern, denn er bemerkte, daß alle Gerichte, ihrer Mannigfaltigkeit unerachtet, aus nichts als Hühnerfleisch bereitet waren. Obgleich er nun wohl wußte, die Gegend, in der er sich befand, müsse reich an allerlei Wild sein, und obgleich seine vorhergegangene Anmeldung der Dame volle Zeit gewährt haben mußte, um jagen zu lassen, unterdrückte er doch seine lebhafte Verwunderung und wollte sie nur veranlassen, sich über die Hühner zu äußern. »Schöne Dame«, sagte er, mit heiterem Antlitz ihr zugewandt, »werden hierzulande denn nur Hennen gebrütet, ohne einen Hahn?« Die Dame, die den Sinn der Frage wohl verstand und der Meinung war, daß Gott ihr nun nach ihrem Wunsche Anlaß geboten habe, ihre Gesinnung kundzutun, antwortete, den fragenden König[60] unbefangen anblickend: »Nein, Sire, doch sind die Frauen, wenngleich sie sich in Sitten und Kleidung ein wenig unterscheiden, hier aus dem gleichen Stoffe geschaffen wie anderswo.«

Als der König diese Worte vernahm, begriff er wohl die Absicht der Hennenmahlzeit und der Rede verborgenen Sinn. Er sah ein, daß Worte nichts fruchteten, und da Gewalt hier nicht am Platze war, löschte er denn dies übel angefachte Feuer um seiner Ehre willen mit ebensoviel Weisheit wieder aus, als er es mit Übereilung angezündet hatte. Aus Furcht vor ihren Antworten enthielt er sich aller weiteren Anspielungen und endigte die Mahlzeit, ohne weitere Hoffnung zu nähren. Dann begab er sich, um durch schnelle Abreise den unreinen Grund seines Besuchs zu verhüllen, nachdem er ihr für die genossene Ehre gedankt und sie dem göttlichen Schutze empfohlen hatte, alsbald auf den Weg nach Genua.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 58-61.
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