Siebente Geschichte

[63] Bergamino beschämt auf feine Weise Herrn Cane della Scala wegen einer plötzlichen Anwandlung von Geiz, indem er ihm eine Geschichte von Primasseau und dem Abt von Clugny erzählt.


Die Königin und alle andern mußten über Emilias spaßhafte Geschichte lachen und den lustigen Einfall des Kreuzträgers loben. Als aber das Gelächter vorüber war und ein jeder sich beruhigt hatte, fing Filostrato, an dem die Reihe war, wie folgt zu reden an:

Lobenswert ist es, ihr schönen Damen, wenn jemand ein festes und unveränderliches Ziel zu erreichen weiß. Fast einem Wunder gleich ist aber die Geschicklichkeit des Schützen zu achten, der einen unerwarteten und plötzlich erscheinenden Gegenstand sogleich zu treffen vermag. Das lasterhafte und schmutzige Leben der Geistlichen ist in vielen Dingen ein so bestimmtes Anzeichen ihrer inneren Schlechtigkeit, daß es zu Spott und Tadel einem jeden, der ihn nur immer suchen mag, leicht genug Anlaß gibt. Obgleich also jener Biedermann recht daran tat, daß er dem Inquisitor die heuchlerische Wohltätigkeit der Mönche vorhielt, die als Almosen verteilen, was sie den Säuen geben oder auf die Straße werfen sollten, so scheint mir doch ein anderer, von dem ich euch, durch die vo rige Geschichte veranlaßt, erzählen will, noch viel größeres Lob zu verdienen. Dieser nämlich beschämte Herrn Cane della Scala, der sonst ein freigebiger Herr war, wegen einer völlig ungewohnten und plötzlichen Anwandlung von Geiz dadurch, daß er ihm eine scherzhafte Geschichte erzählte, in welcher er von fremden Personen berichtete, was er von sich und jenem Fürsten verstanden wissen wollte. Damit verhielt es sich nun also:

Herr Cane della Scala, in vielen Dingen ein Liebling des Glücks, war, wie der glänzendste Ruhm fast durch die ganze Welt von ihm berichtet, einer der angesehensten und freigebigsten Fürsten, welche seit Kaiser Friedrich II. in Italien gesehen worden waren. Dieser hatte einmal beschlossen, in Verona ein Fest von wunderbarer Pracht zu geben. Schon waren dazu aus allen Himmelsrichtungen Menschen herbeigeströmt, vor allem[64] solche, die durch allerhand Geschicklichkeiten Höfe zu unterhalten imstande sind, als er plötzlich aus irgendeinem Grunde seinen Willen änderte und die meisten der Gekommenen mit Geschenken verabschiedete.

Nur einer unter ihnen namens Bergamino, der im Reden soviel Gewandtheit und Anmut besaß, wie niemand, der ihn nicht kannte, sich einzubilden vermag, blieb in der Hoffnung, daß es ihm mit der Zeit noch zum Vorteil gereichen werde, in Verona zurück, ohne Geschenke oder Urlaub erhalten zu haben. Herrn Cane aber war es in den Sinn gekommen, daß jedes Geschenk an Bergamino schlechter angewendet wäre, als was man ins Feuer wirft, und so achtete er ihn denn keines Wortes und keiner Botschaft wert. Als Bergamino nach einigen Tagen noch immer nicht an den Hof gerufen und keine Probe seiner Kunst von ihm begehrt worden war, zugleich aber die Zeche für ihn selbst, für Diener und Pferde beim Gastwirt immer mehr anwuchs, fing er an, mißmutig zu werden. Dennoch verweilte er, in der Meinung, daß jetzt zu reisen nicht geraten sei.

Um bei dem Feste ehrenvoll erscheinen zu können, hatte er drei kostbare und schöne Anzüge mitgebracht, die ihm von anderen Fürsten geschenkt worden waren. Von diesen hatte er dem Wirt, der bezahlt sein wollte, zuerst einen gegeben, dann nach längerer Zeit den zweiten hinzufügen müssen, und nun war er entschlossen, sich die Sache noch so lange mit anzusehen, wie der dritte vorhielte, von dem er bereits zu zehren begonnen hatte, und dann abzureisen. Nun geschah es, daß er eines Tages, noch ehe das dritte Kleid aufgegessen war, mit betrübtem Gesicht Herrn Cane gegenüberstand, der gerade bei Tische saß. Als Herr Cane es bemerkte, sagte er, mehr um Bergamino zu kränken, als um etwa einen guten Einfall von ihm zu hören: »Bergamino, was fehlt dir, du siehst so verdrießlich aus? Erzähle uns doch etwas.« Bergamino begann darauf, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, folgende Geschichte, die für seine Lage so berechnet war, als hätte er lange Zeit darüber nachgedacht:

»Mein Gebieter, Ihr müßt wissen, daß Primasseau des Lateinischen besonders kundig war und größere Fertigkeit im Dichten[65] besaß als irgendeiner. Diese Fähigkeiten machten ihn so berühmt, daß, wenn man ihn gleich nicht überall von Person kannte, doch schwerlich jemand zu finden war, der nicht dem Namen und dem Rufe nach gewußt hätte, wer Primasseau war. Als er sich nun einst zu Paris in dürftigen Umständen befand, wie es ihm meist zu geschehen pflegte, weil die Vermögenden seine Vorzüge selten zu würdigen wußten, geschah es, daß er von dem Abte von Clugny reden hörte, von dem man behauptet, daß er nächst dem Papst von allen Prälaten der Kirche Gottes das höchste Einkommen habe. Von diesem erzählte man ihm Wunder an Freigebigkeit, wie er immer Hof halte und wie niemand, der dorthin käme, wo er eben verweilte, Essen und Trinken je verweigert worden sei, nur vorausgesetzt, daß er den Abt darum angesprochen habe, während dieser speiste. Als Primasseau, der an der Bekanntschaft ausgezeichneter Männer und hoher Herren besonderes Wohlgefallen fand, diese Nachrichten vernahm, beschloß er, hinzugehen, um die Freigebigkeit des Abtes mit eigenen Augen zu schauen, und fragte daher, wie weit sein jetziger Aufenthaltsort von Paris entfernt sei. Man erwiderte ihm, er wohne jetzt auf einem seiner Güter, etwa sechs Meilen vor der Stadt, und Primasseau dachte, wenn er des Morgens beizeiten aufbräche, könne er bis zur Tafelzeit dort sein.

Da er keinen Begleiter finden konnte, ließ er sich den Weg beschreiben; doch fürchtete er, diesen unglücklicherweise verfehlen und an einen Ort geraten zu können, wo er nicht so bald etwas zu essen bekäme. Um in einem solchen Falle nicht Hunger leiden zu müssen, beschloß er, drei Brote mit auf den Weg zu nehmen, denn Wasser, das er freilich nicht besonders gern trank, dachte er wohl überall zu finden. So steckte er die Brote zu sich, machte sich auf den Weg und traf diesen so gut, daß er noch vor der Essenszeit dort ankam, wo der Abt wohnte. Wie er nun eintrat, sich überall umsah und die große Menge gedeckter Tische wahrnahm und die gewaltigen Zurüstungen in der Küche und was sonst alles zu dem Mittagsmahle bereitet wurde, da sagte er zu sich selbst: ›Wahrlich, dieser Abt ist wirklich so freigebig, wie man mir erzählt hat.‹ Eine Weile war seine Aufmerksamkeit so beschäftigt, als des Abtes Seneschall,[66] weil die Essensstunde gekommen war, das Wasser zum Händewaschen herumreichen ließ. Nachdem dies geschehen war, setzten sich alle zu Tische, und dabei traf es sich von ungefähr, daß Primasseau den Platz genau gegenüber der Tür bekam, wo der Abt heraustreten mußte, um in den Speisesaal zu gelangen.

Am Hofe des Abtes war es Sitte, weder Brot noch Wein noch sonst etwas Eßbares auf den Tisch zu bringen, ehe der Abt sich an der Tafel niedergelassen hatte. Darum ließ der Seneschall, als die Tische gedeckt waren, dem Abt sagen, das Essen sei bereit, sobald er befehlen werde. Der Abt ließ die Tür des Speisesaals öffnen, und weil er beim Gehen geradeaus sah, war von ungefähr der erste Mensch, der ihm in die Augen fiel, Primasseau, den er nicht von Angesicht kannte und dessen Kleidung armselig genug war. Kaum hatte er ihn erblickt, so fuhr ihm plötzlich ein unwürdiger und sonst ganz fremder Gedanke durch den Sinn, und er sagte bei sich: ›Solchem Volke soll ich zu essen geben!‹ Und damit kehrte er um, ließ die Saaltür hinter sich schließen und fragte seine Begleiter, ob keiner von ihnen den Unverschämten kenne, der gegenüber der Tür des Gemaches an einem Tische sitze. Alle antworteten mit Nein.

Primasseau, der schon eine gute Strecke Wegs zurückgelegt hatte und ans Fasten nicht gewöhnt war, bekam solche Lust zu essen, daß er, als der Abt noch immer nicht wiederkommen wollte, eines der drei mitgebrachten Brote hervorholte und es zu verzehren an fing. Der Abt befahl nach einer Weile einem seiner Diener nachzusehen, ob unser Primasseau weggegangen sei. ›Nein, Herr‹, antwortete der zurückkehrende Diener, ›vielmehr verzehrt er ein Stück Brot, das er sich mitgebracht haben muß.‹ ›So mag er denn sein Brot essen, wenn er welches hat‹, sprach darauf der Abt, ›denn das unsrige wird er heute nicht kosten.‹ Der Abt hätte es gern gesehen, wenn Primasseau von selbst gegangen wäre, denn ihn ausdrücklich gehen zu heißen, ziemte sich seiner Meinung nach doch nicht. Als Primasseau indessen das erste Brot verzehrt hatte und der Abt noch ausblieb, begann er vom zweiten zu essen. So ward dem Abte berichtet, der wieder hatte nachsehen lassen, ob er nicht fortgegangen sei.

Endlich fing Primasseau, als der Abt noch immer nicht kam,[67] das dritte Brot zu essen an, und als auch das dem Abt gemeldet wurde, fing dieser an, nachdenklich zu werden, und sprach bei sich selbst: ›Was ist mir denn heute Neues in den Sinn gekommen? Woher dieser Geiz, woher der Ärger? Und wer hat ihn erregt? Schon seit Jahren speise ich von meinem Tische jeden, der gespeist werden will, ohne zwischen vornehm und gering, arm oder reich, Kaufmann und Betrüger zu unterscheiden. Oftmals habe ich ausgemachte Taugenichtse mein Essen verschlucken sehen, und niemals ist mir ein Gedanke wie der heutige in den Sinn gekommen. Wahrlich, das kann kein gewöhnlicher Mensch sein, um dessentwillen der Geiz sich meiner bemächtigt hat. Und sieht er gleich einem Taugenichts ähnlich, so muß doch etwas Besonderes an ihm sein, daß er mich so gegen die Höflichkeit zu verhärten imstande war.‹

Nach diesem Selbstgespräch verlangte er zu wissen, wer es sei, und er schämte sich sehr, als er vernahm, es sei Primasseau, der ihm schon seit langem rühmlich Bekannte, der gekommen sei, um selbst zu sehen, was er von des Abtes Freigebigkeit vernommen hatte. Um das Versehen wiedergutzumachen, erwies er ihm nun desto größere Ehre. Nach dem Essen ließ er ihn mit edlen Stoffen reichlich bekleiden, wie es dem berühmten Primasseau zukam. Dann schenkte er ihm Geld und ein Reitpferd und überließ es ihm, nach seinem Belieben zu gehen oder zu bleiben. Nachdem Primasseau dem Abte auf das herzlichste gedankt hatte, kehrte er endlich, erfreut über solche Gunst, zu Pferde nach Paris zurück, von wo er zu Fuß ausgegangen war.«

Herr Cane, der ein kluger Herr war, verstand ohne jede weitere Erläuterung genau, was Bergamino sagen wollte, und erwiderte ihm lächelnd: »Bergamino, gar treffend hast du deinen Mißmut, deine Geschicklichkeit, meinen Geiz und deine Wünsche bezeichnet. Und wahrlich, noch nie, außer jetzt in bezug auf dich, hat der Geiz sich meiner bemeistert. Aber ich will ihn mit dem Stocke vertreiben, den du mir geschildert hast.« Wirklich ließ er den Wirt Bergaminos bezahlen, bekleidete diesen mit einem köstlichen Gewand, schenkte ihm Geld und Roß und stellte es ihm frei, zu bleiben oder zu gehen.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 63-68.
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