Sechster Auftritt.

[42] Ehrenwehrt, Carolina, die Vorigen.


SITTENREICH zum Gutherz. Lieber Oheim, da ist der Herr Ehrenwehrt und seine Jungfer Schwester. Zum Ehrenwehrt. Lieber Bruder, das ist meine Mutter, und das ist der Herr Gutherz, mein Oheim.

EHRENWEHRT. Ich schätze mich glücklich, sie kennen zu lernen.

AGNETA neigt sich. Ich bedanke mich.

CAROLINA. Ich erfreue mich gleichfals, mit ihnen bekannt zu werden.[42]

AGNETA. Ich bedanke mich.

EHRENWEHRT. Wir beklagen, daß wir ihrer Gesellschaft bey der Tafel haben entbehren müssen.

AGNETA. Ich bedanke mich.

CAROLINA. Man sagte uns, daß sie unpäßlich wären, und es soll mir lieb seyn zu hören, daß es sich gebessert.

AGNETA. Ich bedanke mich.

EHRENWEHRT. Wir bedauren inzwischen, daß wir Ungelegenheit verursachet haben, doch es ist auf Befehl des Herrn Liebsten geschehen.

AGNETA. Ich bedanke mich.

CAROLINA. Wir haben die Güte zu rühmen, so uns dero Herr Liebster erwiesen.

AGNETA. Ich bedanke mich.

EHRENWEHRT. Die Bekanntschaft mit dem Herrn Sohne, so ich zu Leipzig erhalten, hat mich begierig gemacht, auch dessen wehrte Angehörige zu kennen.

AGNETA. Ich bedanke mich.

CAROLINA. Sie haben ein überaus wohleingerichtetes Haus.

AGNETA. Ich bedanke mich. Ich bitte gleichwol nicht übel zu deuten, daß es so unrein aussiehet, und daß die Vorhänge abgenommen sind. Wir haben mit der Wäsche zu thun.

EHRENWEHRT. O, das haben wir nicht einmal bemerket. Der Umgang mit wackern Leuten ist alles, was wir suchen.

GUTHERZ. So ist ihnen die heutige Tischgesellschaft, ohne Zweifel, sehr angenehm gewesen?

EHRENWEHRT. O ja, wenn man einen alten Bekannten zum erstenmale wieder siehet, und ein artiges Frauenzimmer zugleich antrifft, da kann es nicht anders seyn.

AGNETA. Mein Herr, sie müssen sich in Hamburg verheirathen, weil ihnen unser Frauenzimmer so wohl gefällt.

EHRENWEHRT. Ich höre, es werden hier viele Umstände dazu erfordert.[43]

AGNETA. Ach nein; wenn ich zum Exempel meine Tochter verheirathen sollte, dazu würde nicht viel Weitläuftigkeit gehören. Ihre ganze Aussteuer ist fertig. Ich gebe ihr von jedem Stücke sechs Dutzend mit, und am baaren Gelde, 20000. Rthlr. Das ist fürwahr keine schlechte Parthie. Und wenn ein braver Mann käme, der uns gefiele: so sollte er noch heute das Jawort haben.

EHRENWEHRT. Das Glück wollte ich wohl einem Menschen gönnen, der ihrer wehrt wäre.

AGNETA. Ach ja, mein Herr, wenn sie etwa einen guten Bräutigam für sie wissen; so will ich bitten, uns solchen vorzuschlagen.

EHRENWEHRT. O, da wird sich leicht einer finden. Ich will mich nur ein wenig besinnen.

AGNETA. Vor ihre Ehrlichkeit stehe ich ein. Hier kommt keine fremde Mannsperson ins Haus, ausser ein Paar von unserer Freundschaft, und von denen ich nichts zu befürchten habe.

EHRENWEHRT. Ey, solche Gedanken muß man sich nicht in den Kopf setzen. Das Vertrauen zu einer wohlerzogenen Tochter muß stärker seyn, als die Furcht für alle Mannspersonen in der Welt.

AGNETA. Ja, ja, aber Gelegenheit macht doch Diebe. Ich weiß, was ich in meiner Jugend für Anfechtung gehabt habe. Und wenn ich von meiner Tochter Ehre, Rede und Antwort geben soll, so muß ich sie selbst hüten. Dieses habe ich auch so viel möglich gethan. Wenn ich sie aber unumgänglich aus den Augen habe lassen müssen; so habe ich ihr eine alte Amme zur Aufseherin bestellet. Dieses Mensch ist mir so getreu, daß sie eher ihr Leben liesse, als zugäbe, daß einer meine Tochter nur anrührete.

EHRENWEHRT. Auf diese Weise ist sie in guten Händen gewesen.

AGNETA. O ja, die gute Amme ist in ihrer Jugend selbst ... betrogen worden, und also kann sie aus der Erfahrung warnen.[44]

EHRENWEHRT. Die Eltern sind glücklich, welche Freude an ihren Kindern erleben.

AGNETA. Meine Tochter hat sich von Jugend auf bemühet, mir ähnlich zu werden. Das ist alles, was man mit Recht von Kindern fodern kann, und ich versichere ihnen, sie ist gar nicht aus der Art geschlagen. Der Verstand aber kommt nicht vor den Jahren; und das Gute, so sie noch nicht von mir angenommen hat, wird sie gewiß mit der Zeit kriegen.

EHRENWEHRT. O, so wird sie vollkommen so werden, als ihre Mutter ist.

AGNETA. Ich bedanke mich.

EHRENWEHRT zur Carolina. Liebe Schwester, verweilet ein wenig hier, und höret, was die Frau Agneta euch vor gute Lehren giebt, ich will nur ein paar Worte mit Herrn Sittenreich allein reden.

GUTHERZ. Ich werde sie begleiten, denn ich habe ihnen beyden etwas zu sagen.


Ehrenwehrt, Sittenreich und Gutherz gehen ab.


AGNETA. Nun meine liebe Jungfer Carolina, wie gefällt es ihnen in unserer Stadt?

CAROLINA. Ich kann noch nicht viel davon sagen. Ich bin eine sehr kurze Zeit hier.

AGNETA. Aber wie gefällt es ihnen denn in meinem Hause?

CAROLINA. Was ich bishero gesehen, gefällt mir sehr wohl.

AGNETA. Sie werden einen grossen Unterscheid finden, wenn sie erst zu andern Leuten kommen werden. In unserm Hause gehet alles ganz ordentlich zu. Solten sie nur in unsers Nachbarn Haus kommen; sie würden eine Lebensart finden, daß sie sich wundern müsten. Fremde Leute kommen da mehr, als Verwandte; in unserm Hause darf kein Fremder riechen. Hunderterley Essen wird da gekocht, wovon wir unser Lebtage nicht einmal den Namen gehöret haben. Da wird der beste Wein getrunken, wenn wir uns mit Bier vergnügen. Da sind[45] die neuesten Moden von Kleidungen. Wenn wir einmal zur Hochzeit oder auf eine Gasterey gehen; so borgen wir den Schmuck von den Galanteriehändlern, unter dem Vorwande, als wollten wir ihn kaufen, schicken ihn aber des andern Tages wieder hin, und lassen sagen: er hätte uns nicht angestanden. Uns darf niemand was übel nehmen, denn wir sind reiche Leute. Wenn wir nun des Abends gewöhnlichermassen um neun Uhr, um das Licht zu ersparen, zu Bette gehen; so sitzen sie noch ein paar Stunde und lachen. In unserm Hause wird gar nicht gelacht. Wenn vor den Armen gesammlet wird, geben wir einen Sechsling, und sie einen Gulden. Mein Mann kann sich nicht genug darüber verwundern. Er hat vor zehn Jahren schon prophezeyet, daß diese Leute zum Thore hinaus gehen würden; sie leben aber noch auf eine Weise, und bleiben doch im Lande.

CAROLINA. Ohne Zweifel werden die Leute sehr reich seyn.

AGNETA. O nein! Sowohl der Mann als die Frau haben wenig Vermögen gehabt, als sie sich geheirathet haben; und dieses verdriesset eben meinem Manne, daß er von seinem grossen Gelde das nicht thun kann, was diese Leute von ihrem mittelmäßigen Vermögen thun.

CAROLINA. So werden sie ihre Kinder sonder Zweifel auch wohl erziehen?

AGNETA. Sie haben nur eine Tochter, der halten sie wohl ein halb Dutzend Lehrmeister. Mein Mann hat ausgerechnet, wenn man jährlich hundert Reichsthaler an einem Kinde ersparet, daß solches in einer Zeit von zwölf Jahren, nebst der Zinse, die er mit diesem Gelde erwerben kann, wenigstens dreytausend Reichsthaler betrüge. Wenn man die zum Brautschatze legt, ist das nicht besser als alle Wissenschaften?

CAROLINA. Ja, ja, mit Geld kann man vieles ausrichten, aber Geld und gute Erziehung kann auch wohl beysammen stehen.

AGNETA. In unserer Verwandschaft werden alle[46] Töchter nach einer Weise erzogen. Und denken sie nur, wenn wir zusammen kämen, und ein Mädgen wollte es dem andern in der Lebensart zuvor thun; würde es nicht hundert Stichelreden, ja gar eine ewige Feindschaft setzen?

CAROLINA. Hievon zu urtheilen, bin ich zu ungeschickt.

AGNETA. Wenn man sich in allen Fällen nach seinen Verwandten richtet, das träget viel zum Hausfrieden bey. Man hat einerley Ordnung, einerley Gewohnheit, einerley Lebensart. Wir halten so streng darüber, daß wir unter uns verabredet, keinen Fremden in unsere Gesellschaft zu bringen. Wer Henker wollte sich alle Augenblicke auslachen lassen? Es kommen so viele neue Redensarten, so viele neue Moden bey Tische und andern Gelegenheiten vor, daß man bis an sein Ende lernen müste. Wozu soll die Unglegenheit? Wenn man bleibt, wie man ist, so darf man sich den Kopf nicht zerbrechen.

CAROLINA. Ganz recht.

AGNETA. Ueberdem sagt mein Mann immer, daß man von Fremden die Verschwendung lernet; und wenn wir allein sind, so reden wir von nichts, als von der Sparsamkeit.

CAROLINA. Solche reiche Leute, wie sie sind, haben ja nicht nöthig, sich unnöthige Sorgen zu machen. Was sollen denn die Armen thun?

AGNETA. Ey, sagen sie das nicht. Es läßt sich ein Königreich verzehren. Mein Mann spricht immer von schlechten Zeiten. Er hat das letzte Jahr 50. Reichsthaler weniger eingenommen, als das vorige; die habe ich müssen in der Haushaltung ersparen, kostet das kein Kopfbrechen? Der Himmel gebe meinem Sohne eine Frau, die es mit ihm so redlich meinet, als ich mit meinem Manne; so wird es ihm fest wohlgehen. Denn das ist schon bey meinen Voreltern ein Sprichwort gewesen: Daß der reichste Mann verarmen muß, wenn ihm die Frau nicht sparen hilft. Und, die Wahrheit zu gestehen,[47] mein Sohn ist eben nicht der Sparsamste. O Himmel! sollte ich das Unglück erleben, daß mein Sohn verarmete, ich thäte mir zu nahe.


Fängt an zu weinen.


CAROLINA. Ey, wie kann ihnen solches einfallen?

AGNETA. Ja, ja, das ist meine größte Sorge, von meinem Wochenbette an bis hieher gewesen, daß meine Kinder nicht an den Bettelstab gerathen möchten.

CAROLINA. Das wäre ganz gewiß ein grosses Unglück, wenn es sich zutragen sollte. Allein von einer solchen Vermuthuug ist ja nicht die allergeringste Wahrscheinlichkeit, und also thut man unbillig, wenn man durch dergleichen Vorstellung sich niederschlägt, an statt daß man sich, um seiner eigenen Gesundheit willen, aufmuntern und das Leben versüssen soll.

AGNETA. Ja, ja, wer beständig mit solchen ernsthaften Gedanken umgehet, als mein Mann und ich, dem soll die Süßigkeit des Lebens und die Aufmunterung wohl vergehen; und es wäre zu wünschen, daß alle Leute so für ihre Wohlfahrt sorgen möchten, als wie wir, so würden wir nicht so viele traurige Exempel haben.

CAROLINA. Daß man für seine Erhaltung Sorge trägt, ist billig; aber diese Sorge muß sich nicht so weit erstrecken, daß man darüber krank oder mißvergnügt wird Denn das Vergnügen und die Gesundheit sind doch nicht mit Gelde zu bezahlen.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 42-48.
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