Zweite Scene.

[6] Wagner, Faust's Famulus tritt ein.

Er geht höflichst grüßend langsam an ein Tischchen vorne links und läßt sich nieder. Annchen stellt ihm einen Krug hin.


WEINHOLD.

Sieh da, Freund Wagner, seltner Gast!

WAGNER bringt es ihnen.

Euer Wohlsein!

WEINHOLD

Ich glaube gar, in Bier!?

Wahrhaftig!


Ihm seinen Becher reichend.


Da!

WAGNER ablehnend.

Wein schadet mir.

WEINHOLD.

Schad't euch? der Wein? Ich denk', ihr spaßt?

Na, wie ihr wollt! Doch nun sagt an,

Wie lebt der Doctor, euer Herr,

Der große Faust, der Wundermann?

Man sieht und hört von ihm nichts mehr,

Denn, was von ihm der Leumund sagt,

Das glaub' ich nicht, doch thut's mir leid;[7]

Von allen Lehrern meiner Zeit

Hat keiner noch mir so behagt.

Welch' tiefer Sinn, welch stolzer Geist;

Wie edel; trotzig und wie frei,

Ich traf, so weit ich auch gereist,

Den Kopf nicht und die Phantasei,

Nur paßt das in die Stube nicht,

Gehört heraus an's Lebenslicht,

An's goldne Sonnenlicht heraus;

Da sollte Faust mit vollen Händen

Die Gaben seiner Thatkraft spenden,

Statt daß er sie vergräbt zu Haus.

WAGNER.

So schön auch euer Mund da spricht,

Ihr kennet meinen Doctor nicht;

Auch liebet Haft

Die Wissenschaft,

Verflüchtigt sich im Leben nur;

So ist die Kunst auch nicht Natur.

WEINHOLD.

Nun, wenn sein Kopf,

Wie eine arme Flasche Wein,

Braucht einen Pfropf,

Den Geist sich zu erhalten fein,

Reut's mich, daß ich gedachte sein,

Ich war ein Tropf!


Wirft sich in den Stuhl und trinkt.
[8]

WAGNER.

Es ist die Welt darin sehr unbescheiden,

Will Alles in dieselbe Jacke kleiden;

Will, was vom Narren, auch vom Weisen,

Die Lebensart des Jünglings auch vom Greisen

Und fodert, daß die schattende Steineiche

Auch Blumen und Maulbeeren reiche:

Ja, ja, das kennen wir schon Alles

Und bieten ihm die Stirne nöth'gen Falles!


Trinkt.


ZUNDER lachend.

Seid nur darob nicht ungehalten,

Wir lassen euch schon beim Alten.

WAGNER.

Das Alte war das Bessere,

Und was wir Jüngern auch wirken je,

Am Alten hat sich's erstärkt,

Wohlgemerkt!

KERN.

Recht so, die Geschichte lehrt es uns!

Nur ist nicht der Neue just immer ein Duns.

WEINHOLD.

Schwatzt nicht so in's Gelage,

Das ist ja gar nicht die Frage;[9]

Mich ärgert nichts, als daß ein Mann wie Faust,

An unerfreulich dunkelm Wissenskram

Geld und Zeit wie seine Federn zerzaust,

Und möchte fragen, wie das so kam?

ZUNDER.

Freilich, stand's um ihn stets nicht so!

Er war, gleich uns, sonst lebensfroh,

Hat eine reiche Erbschaft verfreudet,

Wol auch falsche Freunde kennen gelernt,

Das hat ihm zuletzt die Welt verleidet,

Und von der Geselligkeit ihn entfernt.

Weil er die trugvollen Heuchler haßt,

Sagen sie nun schändlich von ihm,

Der Faust hab' in seinem stillen Grimm,

Das Studium der Magie erfaßt,

Und suche Gemeinschaft mit höllischen Geistern,

Sich des Glückes auf's neue zu bemeistern.

KERN.

Hast Recht, Bruderherz! Es darf nur Einer

Versuchen, was vor ihm noch Keiner,

Gleich steckt man dem verwegnen Mann

Sein Haus an allen vier Ecken an:

Ich liebe die Menschen, aber die Leute!

Sie lästern, sie müssen, sonst war's wie heute,

Fragt die Geschichte darüber nur.


Trinkt.


Ja, das ist der Menschheit traurig Loos;[10]

Der Faust führt mich eben auf die Spur,

Daß Alles, was ein Mann, der groß,

Für seine Brüder arbeitet und meint,

Zuletzt als Teufelswerk erscheint.

Pfui! über die Philisterseelen,

Die sich in matter Alltäglichkeit,

Lieber erbärmlich hinunterquälen,

Als geistiger Größe huld'gen zur Zeit!

Pfui! allen Schneckennaturen, allen,

Die, klebend am angestammten Blatt,

Gleichgültig über Steigen und Fallen,

An der Erd' sich fressen und saufen satt.

Und pfui Denen, die einen Faust verlassen,

Ihn verhungern lassen ganz und gar!

Da, Brüder! reicht nicht aus das Hassen,

Verachtung dem Gesindel! –

WAGNER.

Fürwahr!

Er verdient solch Eifern; fast rührt's mich zu Thränen,

Den großen Mann oft so leiden zu seh'n;

Mag man dies und das von ihm auch wähnen,

Er schreitet vorwärts, bleibt nicht steh'n.

Ihr, guter Freund, habt es errathen:

Mein Doctor kennt und treibt Chemie,

Und die dumme Welt nennt seine Saaten

Verruchte Werke der Höllenmagie.[11]

NASE herübernäselnd.

Wie aber kommt das seltsame Feuer,

Das widerlich grüne, in seine Fenster?

Ich glaube just nicht an – Gespenster,

Allein bei Fausten ist's nicht geheuer.

MURRNER herüberbrummend.

Flammende Katzen schießen oft

Aus dem Schornstein seines Hauses,

Und des Gesurres und des Gebrauses

Hat man Nachts manchmal ganz unverhofft.

KERN über die Achsel.

Darum lege sich auf die Ohren,

Wer für Katzenmusik nicht geboren!

NASE den Becher niederstoßend.

Wir bezahlen, wie ihr, unsern Becher Wein,

Und wollen nicht gehänselt sein.

KERN.

Dann plaudert nicht drein!

MURRNER.

Gesprochen ganz studiret fein!

NASE.

Ihr könnt es wol auch noch mit der Zeit,

Wie euer Faust bringen so weit!


Die Bürger lachen.


WEINHOLD auffahrend.

Alle Wetter! Händel? –[12]

KERN.

Schäme dich!

Mit solchem Kramvolk befassen sich –

WIRTH ängstlich beilegend.

Werthe Herrn, o lieben Gäste,

Ach, nur keine Zänkerei! –

DIE BÜRGER aufstehend.

Dulden keine Hudelei –

WAGNER will fort.

Sich entfernen ist das Beste.

WEINHOLD ihn haltend.

Bleibt Wagner! – Wollt gehudelt nicht werden,

Spießbürger ihr? allein besudeln

Wollt ihr, was schön und groß ist auf Erden?

Bleibt, Wagner, s'gilt Faust, den wollen die hudeln!

KERN zu den Bürgern.

Zahlt eure Zeche und macht fort! –

DIE BÜRGER.

Unerhört!

KERN auf und nieder.

Nur fort!

NASE.

Mit der Wache zu kommen?

KERN wüthend.

Droh'n?! Nun die Finger in die Hand genommen,

Weil ihr pariren nicht wollt auf Wort.


Er greift sie an.
[13]

WIRTH abwehrend.

Ums Himmelswillen – in meinem Haus!

Ihr schlagt ihnen ja das Hirn heraus!

WEINHOLD.

Sie haben keins!

GESCHREI DER STUDENTEN.

Hinaus! Hinaus!

GESCHREI DER BÜRGER.

Zurück! Weh euch! ihr bezahlt nur den Strauß!

WIRTH die Thür aufreißend.

Weil's denn schon sein muß, hinausgeschmissen;

Macht's kurz, ich verwahr' mein Gewissen.

STUDENTEN sie gegen die Thüre drängend. Sie werfen sie unter wildem Gelächter hinaus und Krüge, Becher und Gläser nach.

KERN die Thüre zuschlagend.

So, wieder was gethan!

WIRTH.

Was euch hoch zu stehen kommen kann.

WEINHOLD.

Ihr meint die zerbroch'nen Krüg' und Flaschen?

Brüder, auf alle Taschen!

ALLE STUDENTEN zusammenschießend.

Da ist Geld, da ist Geld![14]

KERN.

Macht euch bezahlt für Alles, was fehlt!


Sie geben dem Wirthe Geld.


ANNCHEN zu Wagner.

Was halft ihr denn nicht, was saht ihr denn zu?

WAGNER.

Ich prügle mich nie; laß mich in Ruh'!

KERN während die Studenten ihre Becher ergreifen, halb singend.

Wann ein Weinjahr gesegnet,

Hat's Prügel geregnet!


Trinkt.


WEINHOLD singt.

Schon ist die Laterne herabgebrannt,

Kaum findet mehr in's Gesicht die Hand!

ALLE STUDENTEN den Becher schwingend.

Erst, wann die Laterne löscht völlig aus,

Verlassen wir illuminirt das Haus!


Sie jubeln, stoßen an und bringen es Wagner.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 6-15.
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