1624. An August Gruber

1624. An August Gruber


Wiedensahl 20 Aug. 1874.


Geehrtestes Fräulein Auguste!

Also Auguste und nicht August? – Gut! – Aber wer ist Bürge dafür, daß hier nicht im Flackerlichte einer scheinbaren Aufrichtigkeit so ein Wesen vor mir sitzt, welches die Naturverständigen mit dem wohlklingenden Namen Chamäleon benennen? Könnte nicht das trügerische Menschenkind, welches Gestern August und Heute Auguste heißt, könnte das nicht Morgen Petrus und am künftigen Donnerstag Annegrethlieschen heißen? Wohl Denen, welche die Wahrheit reden! Indeßen aber, wo sind sie? Suche sie nicht, mein Kind, denn sie sind in den Wald gegangen, Brommbeeren zu pflücken, und werden vor Dunkelwerden nicht wieder daheim sein. – Also das wäre nicht so gar erschrecklich schlimm! Ich habe selber schon öftermals geflunkert; und ferne sei es von mir, in den schönen Augen meiner liebenswürdigen Mitschwester den Splitter zu sehen, während im eigenen Glotzauge ein bedenklicher Balken schwimmt. – Ein schönes biblisches Bild das! – Dahingegen, man will doch nicht gern dupirt sein. – Sie sagen, das wäre Eitelkeit. – Ganz recht! – Ich könnte allerdings, zufolge der oben erwähnten Herzenstugend, gar leicht ein Dutzend Ausflüchte finden – aber nein! Es bleibt dabei; es ist Eitelkeit! Ist nicht dieser zierliche Eudämon unser beständiger Begleiter? Er war's, der uns heraus geführt aus der Dunkelheit des Vordem; er ist's, der uns im Jetzt so freundlich lächelnd putzt, der uns ermahnt zu löblichem Thun, der die Wunden heilt der verschmähten Liebe, der uns tröstet, wenn wir von lasterhaften Menschen verläumdet werden; – und wenn er auch mal vor den Leuten ein Bißel blöde ist, so schmückt er uns doch dafür das stille, verborgene Kämmerlein der Seele mit tausend Kränzen und Lichtern aus. Ich bin der Meinung, er wird uns selbst dann nicht verlaßen, wenn wir hinunterwallen zu jenem öden Nebellande, genannt Nachdem. – Ich sage: wir. – Denn, Hand auf's Herz, auch Sie fühlen sich nicht ohne Begleitung. Darum, im Namen des vorhin erwähnten Bibelspruchs, drohen Sie mir nicht mit Ihrer weißen Hand, sondern sprechen Sie lächelnd mit König Salomo: Alles ist eitel. – Verzeihen Sie vor allen Dingen auch Ihrer Freundin auf dem Lande; seien Sie wieder gut mit ihr, damit Sie beide wieder so hübsch zusammen kosen können, wie dereinst. [Doch Scherz beiseit! Es wird mich immer herzlich freuen, von Ihnen zu hören; es wird mich intereßiren, wenn ich erfahre, wie Sie Ihr schönes Talent mit Lust und Fleiß zu fördern streben, und halten Sie sich versichert, daß ich stets bin Ihr ganz ergebenster]

[Wilhelm Busch.][278]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968.
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