590. An Friedrich August von Kaulbach

[243] 590. An Friedrich August von Kaulbach


Wiedensahl 24. Dec. 83.


Lieber Kaulbach!

Sei bedankt für deinen Brief, obwohl du mir nur so Trauriges berichten konntest! – »Sonderbare Menschheit!« Ja, sehr! – daß dem Einen nicht erlaubt ist, die Schmerzen des Andern durch den Tod zu verkürzen, wie man's dem Thier zu thun keine Bedenken trägt, scheint mir doch nicht so verwunderlich. Der Gesetzgeber mußte die niederträchtige subjektive Willkühr zu verhindern suchen; und wollte der Staat in solchem Falle selbst eintreten, so würde die wissenschaftliche Leidensverkürzungskommißion vermuthlich vor dem Wer weiß? zurückschrecken. – Ferner, Thier und Mensch sind dem Grade nach himmelweit verschieden. So ein Menschenschädel hat seine aparten Winkel. Nicht einmal zu der zweifelhaften Freiheit des gewöhnlichen Selbstmörders, der meint, daß er ewig weg ist, wenn er's Licht ausputzt, vermag sich unser Bruder Schlängel- oder Plätscher- oder Flattermann empor zu schwingen; ganz abgesehen von demjenigen, welcher untertaucht in der Hoffnung, an einer günstigeren Stelle wieder aufzutauchen, wobei er dann die Rechnung ohne den Wirth macht, indem kein altes Übel so groß ist, daß es nicht von einem neuen übertroffen werden könnte. Zu dem Gedanken aber, das Dasein überhaupt sei Irrthum oder Schuld, hat sich selbst der Intellekt des Menschen erst mühsam hindurch gearbeitet. Den Irrthum hebt die Erkenntniß auf, die Schuld wird getilgt durch freiwillig auferlegte Buße. Das erste versuchte der große Weise in Indien mit der Versenkung in die vier heiligen Wahrheiten, das andere war von jeher die Aufgabe der Asketen. Beiden wäre der voreilige Schnitt durch den Lebensfaden eine empörend zwecklose That. Eine Sekunde noch kann für ihr Heil entscheidend sein. – Ich schweige von der höchsten Auffaßung. Der Christ betet bekanntlich um Abwendung eines plötzlichen Todes. –

Mit meiner guten Schwester und den drei tüchtigen Neffen beseh ich heut Abend den Lichterbaum. Denkst du noch an die prächtige Weihnacht, mit der uns einst Freund Lorenz bezauberte? In unserer Welt wird's ein bedenkliches Loch geben, wenn er draus ist. – Gehab dich wohl mit deiner Frau, lieber Fritz!

Und schreib mal wieder an deinen

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 243-244.
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