Luise Büchner

Weihnachtsmärchen für Kinder

»Liebe Tante,« sagte eines Abends, grade acht Tage vor Weihnachten, die kleine Mathilde, »du erzählst mir immer von dem Christkindchen, aber gar nichts von seiner Mama. Sage mir doch, wer sie gewesen ist und wo sie gewohnt hat.«

»Nun, wenn du hübsch ruhig sitzen und zuhören willst und der Georg auch, dann will ich euch alles erzählen, was ich von dem Christkindchen, von seiner Mama, dem Knecht Nikolaus und dem Eselchen weiß.« – Es war sehr still und behaglich in Tantens Zimmer; im Ofen knisterte das Feuer und draußen auf der Straße der Schnee, wenn jemand vorüberging. Die Lampe brannte noch nicht, aber es war doch nicht ganz dunkel im Zimmer, denn die Gasflamme vor dem Fenster warf ihren flackernden Schein herein und malte bald tiefe Schatten, bald bunte Lichter auf die Wände und streifte mit glänzendem Schimmer die grünen Pflanzen und Sträucher des Blumentisches. Eine bessere Stunde zum Geschichtenerzählen als diese gibt es nicht. So rückten denn Mathildchen und Georg ihre kleinen Stühle ganz dicht an den Stuhl der Tante, und sie begann ihre Märlein und erzählte jeden Abend ein neues, bis endlich am neunten Abend und nachdem das letzte Märlein erzählt war, das liebe Christkind selber kam, um alle Märchen und Träume der Phantasie zu verwirklichen und überflüssig zu machen.[5]

Quelle:
Luise Büchner: Weihnachtsmärchen aus Darmstadt und dem Odenwald, Darmstadt 1980, S. 5-7.
Erstdruck:
Glogau (Flemming) [1868].
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