Erster Auftritt.

[52] Don Rodrigo. Chimene.


CHIMENE.

Rodrigo! Wie! Am hellen Tag! Welch Wagnis!

Du tötest meine Ehre! Geh! Ich bitte!

DON RODRIGO.

Ich geh' zu sterben und will, eh' der Streich

mich trifft, ein letztes Lebewohl Euch sagen.

Wagt meine treue Liebe doch nicht, in

den Tod zu gehn, ohn' Euch dafür zu danken.

CHIMENE.

Du gehst zu sterben!

DON RODRIGO.

Sel'ger Augenblick,

der naht, mein Leben Eurem Groll zu liefern!

CHIMENE.

Du gehst zu sterben! Ist Don Sancho denn

so furchtbar, deinen Heldenmut zu schrecken?

Was machte dich so schwach? Was ihn so stark?

Rodrigo glaubt, zum Kampf geh'nd, sich schon tot?

Der nicht die Mauren scheut' noch meinen Vater,

verzweifelt vor dem Kampfe mit Don Sancho!

So kann dein Mut im Notfall auch verzagen!

DON RODRIGO.

Ich geh' zum Richtplatz, nicht zum Zweikampf; wehrt

doch meine Liebe, da Ihr meinen Tod

verlangt, dem Wunsch, mein Leben zu verteid'gen;

den allen Mut hab' ich, doch keinen Arm,

den zu beschützen, der Euch nicht mehr teuer,

und diese Nacht schon hätt' mich sterben sehn,[52]

kämpft' ich für meine eigne Sache; aber

verteid'gend König, Volk und Vaterland,

übt' ich Verrat, hätt' ich mich schlecht verteidigt.

Mein Hochsinn haßt das Leben nicht genug,

daß als Verräter ich es wollt' verlassen.

Jetzt, da es mir nur gilt und meinen Tod

Ihr wollt, nehm' ich das Todesurteil an.

Da ich nicht wert, von Eurer Hand zu sterben,

erwählt die eines andern Euer Groll,

des Streiche ich nicht abzuwehren denke.

Ich achte den, der für Euch kämpft, zu hoch,

und froh zu denken, daß von Euch sie kommen,

weil er für Eure Ehre führt die Waffen,

biet' ich ihm meine Brust – in seiner Hand

die Eure ehrend, welche mich vernichtet.

CHIMENE.

Wenn einer ernsten Pflicht gerechte Strenge,

die zur Verfolgung deiner Tapferkeit

mich leider drängt, solch hart Gebot dir vorschreibt,

das widerstandslos gegen den dich macht,

der für mich kämpft – gedenk in der Verblendung,

es gilt, gleichwie dein Leben – deine Ehre!

Und daß, wie ruhmvoll auch Rodrigo lebte,

weiß man ihn tot – man ihn besiegt wird glauben.

Teurer wie ich dir bin, ist dir die Ehre,

weil deine Hand in meines Vaters Blut

sie tauchte, und dich läßt, trotz deiner Neigung,

dem liebsten Wunsch, meinem Besitz, entsagen.

Doch zeigst du's wenig, wenn du, ohn' zu kämpfen,

dich willst besiegen lassen! Deine Tugend

erniedrigt sich zu schwanken? Weshalb schmückt sie

dich nicht mehr, oder weshalb schmückte einst

sie dich? Bist du nur tapfer, mich zu kränken,

doch ohne Mut, gilt's nicht mich zu beleid'gen?

Und, grausam gegen meinen Vater, duldest

du doch, der ihn besiegt, einen Besieger?

Geh! Laß, ohn' daß du sterben willst, dich strafen,

und schütz, willst du nicht leben, deine Ehre![53]

DON RODRIGO.

Was fehlt, da tot der Graf, besiegt die Mauren,

zu meinem Ruhm noch? Wozu mich verteid'gen?

Man weiß, mein Mut wagt jeglich Unternehmen,

alles glückt meiner Tapferkeit, und nichts

auf Erden ist mir teurer wie die Ehre.

Nein, was Ihr glaubt, in diesem Kampfe darf

Rodrigo sterben, ohne daß sein Ruhm

gefährdet, ohne daß man wagt, ihn mangels

an Mut zu zeihn; ohn' für besiegt zu gelten,

ohn' daß er seinen Sieger dulden muß!

Man wird nur sagen: »Er vergötterte

Chimene, wollt', von ihr gehaßt, nicht leben.

Er beugte sich dem Schicksal, welches seine

Geliebte zwang, nach seinem Tod zu streben.

Sie wollt' sein Haupt, und es ihr zu verweigern,

schien seinem großen Herzen ein Verbrechen.

Zu rächen seine Ehre, gab die Liebe

er hin – zu rächen die Geliebte, ging

er aus dem Leben, zog, was er auch hoffte,

Chimenen seine Ehre – seinem Leben

Chimene vor.« So trübt mein Tod nicht, nein,

erhöht nur meinen Ruhm in diesem Kampfe,

und ehrenvoll sagt mein freiwill'ges Sterben,

daß ich nur Euch Genugtuung konnt' geben.

CHIMENE.

Wenn Ehr' und Leben allzu schwache Lockung,

am Sterben dich zu hindern, so verteid'ge,

teurer Rodrigo, weil ich dich geliebt,

jetzt als Entgelt dich, Sancho mich zu rauben!

Kämpf, mich von der Verpflichtung zu befrein,

die dem mich zuspricht, der mir widerwärtig.

Was sag' ich mehr noch! Geh, dich zu verteid'gen!

Geh, mich zur Pflicht zu zwingen – mach mich schweigen,

und fühlst dein Herz du noch für mich entbrannt,

so siege in dem Kampf, des Preis Chimene!

Leb wohl! Dies Wort, das mir entschlüpft, beschämt mich![54]


Quelle:
Corneille, Pierre: Der Cid. Leipzig 1945, S. 52-55.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Cid
Three Masterpieces:
Le Cid and the Liar (Paperback) - Common
Le Cid (German Edition)
Le Cid
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