16.

[39] Zwischen zwei Rappen jachtert ein Schimmel.

Sonne glitzert auf Schneestaubgewimmel:

ein Schlitten stiebt mit zwei Menschen dahin.

Schwarz funkeln die Schellen der silbernen Bügel.

Ein Weib schwingt die Peitsche, der Mann führt die Zügel.

Jetzt reckt er das Kinn:


Lea! seit meinen Jugendjahren

bin ich nicht so im Fluge gefahren,

so rasend noch nie.

Aber noch rasender war's gestern Morgen,

als ich im Sturm deinen Namen schrie

und, als wäre mein Gott drin verborgen,[40]

mit ihm rang um dich, Knie an Knie:

schleife mich, Sturmgott, um die Erde,

sei sie unrein, sei sie rein!

gönne mir nur kein Glück am Herde,

hingerissen will ich lein!

Sage mir – Du! ich frage dich: schreit

Dein Gott auch so Meinen Namen?

Peitscht dich der Schnee auch wie Frühlingssamen?

Kennst du den Wahnsinn dieser Seligkeit?!


Er reißt ihr die Peitsche weg; die Rappen schäumen schon.

Die Zügel schlackern; die Bügel bäumen schon.

Das Weib umschlingt ihn fallbereit:


Nenn's nicht Wahnsinn, nenn's lieber Ahnsinn!

Lukas: ich hab in manchen furchtbaren Wochen

dagelegen wie zerbrochen

und wußte doch: ich will, muß, willmuß fliegen!

Ja, Lux: rase! laß brechen, laß biegen!

Mir wiegt ein Gefühl der Erleuchtung die Brüste,

als ob es die Sonne blindmachen müßte!

Und wenn mir der Schneestaub die Augen zerstäche,

und wenn mir dein Sturmgott den Atem bräche,

ich lasse mich wiegen, du – wiegen – wiegen –


Sie starrt verzückt in das wilde Gewimmel.

Zwei Menschen glauben sich im Himmel.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 39-41.
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