29.

[141] Und sie sehn fünf Sonnen im Nebel stehn,

von Glanz umzingelt vier blasse kleine

im Kreise um die große eine;

der stille Kreis scheint den Nebel zu drehn.

Und im Dünensand hat im Windeswogen

jeder Halm um sich einen Kreis gezogen.

Plötzlich lacht der Mann zu dem Phänomen:


Ist's nicht, als will uns der Himmel aus seinen Schätzen

rings deinen verkauften Perlring ersetzen,

von dem wir die tolle Überfahrt bezahlten!

O, wie deine Augen herzehell strahlten,

deine dunkeln Augen im Sturm neben mir,[142]

daß ich kämpfte, dich nicht auf offnem Schiff zu umarmen!

Und da lagen diese Mitmenschlein zum Erbarmen

und waren seekrank! – Hah: da dankt'ich dir,

Du, für deine wellenwild schwungvolle Körperschwere,

die mich auf den Grund aller irdischen Rhythmen tauchte!

Da fühlt'ich wie ein sintflutlich Tier

unsre Urverwandtschaft mit dem Meere!

Ja, meine Erlauchte:

Was ist denn diese äußere Welt,

dies öde Eiland um uns her?

nur was die Seele davon hält,

das Ufer für das innre Meer!


Er hat sich erhoben. Der Dünensand

fegt singend über den feuchten Strand.

Die vier Sonnen im Nebel verschwimmen zu blassen Axen,

die sacht der leuchtenden Mitte zuwachsen.

Das Weib streckt die Hand:


Zieh mich hoch – ja, rück es mir ins reinste

Licht, daß deine Welt meine umspannt!

O, wie schmückt unsre Sonne mein schlicht Gewand!

Und jeder Flimmer, jeder kleinste,

verflicht uns mit ins Allgemeinste

und hat doch hell für sich Bestand –


sieh! – Zwei Menschen umschlingt ein Strahlenband.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 141-143.
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